Klima-Störaktion bei "Jedermann"-Premiere in Salzburg

Maertens brillierte in Sturmingers Neuinszenierung
Mit seiner bereits dritten Neuinszenierung des Traditionsstücks "Jedermann" setzt Regisseur Michael Sturminger auf apokalyptische Düsternis in einer von Klimawandel und Kapitalismus zersetzten Welt. Daher war es zunächst nicht ganz klar, ob die Störaktion zu Beginn des Fests, zu der sich die "Letzte Generation" nach der Premiere am Freitagabend auf Twitter bekannte, nicht vielleicht zur Inszenierung gehörte, die wetterbedingt vom Domplatz ins Festspielhaus verschoben wurde.

Schließlich hatte der zweistündige Abend bereits mit einer - inszenierten - Störaktion begonnen, in der Aktivisten mit Warnwesten auf die Bühne stürmten und die Fassade von Jedermanns Villa mit oranger Farbe besprühten. Etwa zur Hälfte des Stücks meldeten sich dann im Saal verteilte Aktivistinnen und Aktivisten mit Rufen wie "Wir alle sind die Letzte Generation!" zu Wort, bevor sie aus dem Saal eskortiert wurden und das Geschehen auf der Bühne nahtlos weiterging.

Dort bevölkern der neue, famose Jedermann Michael Maertens und seine Gefolgschaft den von verdorrtem Gras geprägten Vorplatz des Hauses, wo die von der Gesellschaft Ausgespuckten in Plastikfetzen gehüllt aus ihren Löchern kriechen, um ein Stück vom Kuchen einzufordern. Doch dieser Jedermann scheint nicht so ganz zu verstehen, was die Leute wollen. Sein neoliberales Credo: selber schuld! Auch gegenüber seiner Buhlschaft Valerie Pachner, die in einer Doppelrolle auch den Tod gibt, findet er wenig er wenig glaubwürdige Emotion. Hier stehen sich eindeutig zwei Lebensabschnittspartner gegenüber, die genau zu wissen scheinen, dass das alles irgendwann ein Ende haben wird - egal was man im Rausch der Gefühle so von sich geben mag.

Michael Sturminger, der den "Jedermann" bereits seit 2017 verantwortet und ihm nun neuerlich ein gänzlich anderes Gesicht verpasst hat, beschäftigte diesmal, "wie die reichen Menschen sich hinter ihren Fassaden verschanzen, während die Welt da draußen für die anderen unerträglich wird", wie der Regisseur im Vorfeld bekannt gab. Neben der dominierenden Fassade, die das Geschehen in ein Drinnen und ein Draußen aufteilt, gab es eine weitere Neuerung: So ist man in der Vorbereitung auf ein Hofmannsthal-Gedicht gestoßen, das sich als Begründung dafür lesen lasse, warum Buhlschaft und Tod diesmal beide von einer Person gespielt werden müssen. Vorgetragen wurde dieser Text von Anja Plaschg, die unter dem Künstlernamen Soap&Skin bekannt ist und ihr Festspieldebüt als "Glaube" gab und auch das Gedicht intonierte. Ihr Auftritt mit Glatzkopf und einem frei liegenden Fake-Babybauch ist denkbar verstörend, der Aufzug dramaturgisch allerdings willkürlich.

Während die Inszenierung selbst nach der zweistündigen Premiere nur freundlichen Applaus einheimste, war es vor allem Mirco Kreibich als Mammon und Schuldknecht, der neben Maertens den meisten Jubel einfuhr. Auch die 86-jährige Nicole Heesters, die 1973 die Buhlschaft an der Seite von Curd Jürgens verkörperte und nun als Jedermanns Mutter nach Salzburg zurückkehrte, erhielt viel Applaus. Weniger anfangen konnten Teile des Publikums offenbar mit der Zeichnung des Teufels, den Sarah Viktoria Frick, die zu Beginn auch als Göttin wie ein Fisch an Land ums Überleben kämpft, als schrulligen Zwitter im Bischofskostüm gab. Pachner schließlich, die in ihrem roten, bauchfreien Mieder und Schlaghosen eine ironisch überlegene jüngere Liebhaberin gab, überzeugte überraschenderweise deutlicher in ihrer Rolle als Tod, den sie im Latex-Catsuit mit Heiligenschein verkörperte.

Vom guten Gesellen (Helmfried von Lüttichau) bis zu den herrlich schrägen Vettern (Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer) findet sich schließlich niemand, der Jedermann auf seinem letzten Weg begleitet. In Sturmingers Neudeutung sind es all die Wegbegleiter, die sich nun scheuen, selbst Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, die aus den Rudern gelaufen ist. Am Ende liegt die ganze Szenerie unter einem schwarzen Schleier. Hier stirbt nicht nur Jedermann, sondern die Zivilisation.

Offiziell eröffnet werden die Salzburger Festspiele am 27. Juli mit einem Festakt in der Felsenreitschule. Die Festrede hält der Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger. Das Hamlet-Zitat "Die Zeit ist aus den Fugen" steht in diesem Jahr als Motto über dem Programm. Bis 31. August gibt es 179 Aufführungen an 43 Tagen in 15 Spielstätten sowie 34 Vorstellungen im Jugendprogramm "jung & jede*r". Zu den Höhepunkten zählen Mozarts "Figaros Hochzeit" und die beiden Verdi-Opern "Macbeth" und "Falstaff" sowie Lessings "Nathan der Weise" und eine Bühnenfassung von Michael Hanekes Oscar-gekröntem Film "Amour".

(S E R V I C E - Salzburger Festspiele: "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal in der Regie von Michael Sturminger. Mit u.a. Michael Maertens, Valerie Pachner, Nicole Heesters, Helmfried von Lüttichau, Mirco Kreibich, Emanuel Fellmer, Birte Schnöink, Fridolin Sandmeyer, Bruno Cathomas, Anja Plaschg und Sarah Victoria Frick. Bühne und Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser. Komposition: Wolfgang Mitterer; Musikalische Leitung: Hannes Löschel. https://www.salzburgerfestspiele.at, Video zur Störaktion auf Twitter: https://twitter.com/letztegenAT)

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