APA - Austria Presse Agentur

Knesset berät über "Angemessenheitsklausel" von Justizreform

Israels Parlament hat am Montag in erster Lesung über die "Angemessenheitsklausel" beraten, ein Kernelement der umstrittenen Justizreform. Dem Gesetzentwurf zufolge soll dem Obersten Gericht künftig die Möglichkeit entzogen werden, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" einzustufen. Kritiker fürchten eine willkürliche Besetzung hochrangiger Posten und eine Begünstigung von Korruption. Am Wochenende hatten landesweit über 350.000 Menschen gegen die Reform protestiert.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu argumentiert mit einer unverhältnismäßigen Einmischung der Justiz in politische Entscheidungen. Nach der Abstimmung in erster Lesung, die in der Nacht zum Dienstag erwartet wurde, sind noch eine zweite und eine dritte Lesung nötig, um das Gesetz zu verabschieden.

Die Justizreform der rechts-religiösen Regierungskoalition aus konservativen, ultra-orthodoxen und rechtsextremen Parteien zielt darauf ab, die Befugnisse der unabhängigen Justiz einzuschränken und die Stellung des Parlaments und des Ministerpräsidenten zu stärken. Das Vorhaben spaltet die Gesellschaft - seit Jahresbeginn demonstrieren landesweit immer wieder zehntausende Menschen dagegen. Daraufhin legte Netanyahu die Pläne Ende März auf Eis. Ein Kompromiss mit der Opposition unter Vermittlung von Präsident Isaac Herzog kam nicht zustande.

Vor der Knesset demonstrierten am Montag mehrere hundert Gegner der Justizreform. Vor Beginn der Debatte drangen auch einige Demonstranten in das Parlamentsgebäude ein. Bevor sie den Plenarsaal erreichten, wurden sie von Sicherheitskräften aus dem Gebäude geschleift. Für Dienstag kündigten die Organisatoren der seit Monaten andauernden Proteste weitere Massenkundgebungen an.

In einem auf Facebook-Video verteidigte Netanyahu am Montag erneut die umstrittene Reform. Sie sei "nicht das Ende der Demokratie", sondern werde die "Demokratie stärken". "Die Rechte israelischer Gerichte und Bürger werden in keiner Weise beeinträchtigt", versicherte der Regierungschef. Das Oberste Gericht werde auch weiterhin "die Rechtmäßigkeit von Regierungsentscheidungen und -ernennungen überprüfen", sagte er.

Israels Oppositionsführer hatte vor der Abstimmung über einen Teil der Justizreform die Regierung zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert. "Es ist noch nicht zu spät", sagte Jair Lapid von der Zukunftspartei laut Medienberichten am Montag in Jerusalem. Voraussetzung sei jedoch, dass die Regierung das umfassende Vorhaben nicht weiter vorantreibe.

Am Abend sollte dem Parlament ein Gesetzesentwurf der umstrittenen Pläne zur ersten von drei Abstimmungen vorgelegt werden. Unklar war zunächst, wann die Abstimmung sein wird, die Plenarsitzung könnte sich bis in die Nacht ziehen.

Auch Oppositionspolitiker Benny Gantz zeigte sich bereit, Verhandlungen mit der Regierung wieder aufzunehmen. Medienberichten zufolge soll er am Montag den israelischen Präsidenten, Yitzhak (Isaac) Herzog, um ein Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanyahu und Lapid gebeten haben, um dies zu besprechen.

Gantz und Lapid hatten vor wenigen Wochen die von Herzog vermittelten Verhandlungen im Streit mit der Koalition um die Besetzung des Richterwahlausschusses ausgesetzt. Daraufhin kündigte Netanyahu an, das Vorhaben wieder auf die Agenda zu setzen.

Der jüngste Entwurf ist Teil eines umfassenden Gesetzesvorhabens der rechts-religiösen Regierung von Netanyahu, das seit Monaten große Teile der israelischen Gesellschaft spaltet. Er sieht vor, dass es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich sein soll, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten.

Lapid warf der Regierung am Montag laut Medienberichten vor, mit dem Gesetz Korruption zu fördern und zu ermöglichen, dass entscheidende Posten mit "gehorsamen und unterwürfigen Marionetten" besetzt werden.