Krisentreffen soll Spannungen in Brexit-Saga lösen

Johnson möchte sich über den Vertrag hinwegsetzen
Nach dem jüngsten Vorstoß Londons zum Aushebeln des Brexit-Vertrags versuchen Großbritannien und die EU in einem Krisentreffen die Differenzen beizulegen. Dazu ist in London am Donnerstagmittag ein Gespräch zwischen dem Vizechef der EU-Kommission, Maros Sefcovic, und seinem britischen Kollegen Michael Gove geplant.

Ein EU-Sprecher betonte, die Europäische Union bestehe auf einer Klarstellung mit Blick auf eine vollständige und rechtzeitige Umsetzung des Austrittsvertrages. Wie aus EU-Kreisen verlautete, könnte der britische Vorstoß ein juristisches Nachspiel haben, falls London nicht ausreichend darlege, dass es mit dem geplanten Gesetz zum britischen Binnenhandel nicht gegen den bereits ratifizierten Brexit-Vertrag verstoße.

Eine Entscheidung über den Rechtsweg werde die EU-Kommission letztlich aber erst fällen, wenn das Gesetz vom Parlament in London gebilligt worden sei: Diese Überlegung erfolge auch vor dem Hintergrund, dass die Vorlage noch nachgebessert werden könne, sagten EU-Vertreter, die nicht genannt werden wollten.

Der britische Premier Boris Johnson will sich in einem geplanten Gesetz für den britischen Binnenhandel in Teilen über den Scheidungsvertrag mit der EU hinwegsetzen. Dies gilt als Affront gegenüber der EU, der die laufenden Gespräche mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen stark belastet.

Knackpunkt ist, dass in dem geplanten Gesetz der Provinz Nordirland auch nach dem Auslaufen der Brexit-Übergangsfrist zum Jahresende ein "uneingeschränkter Zugang" zum britischen Markt garantiert werden soll. Im sogenannten Nordirland-Protokoll hatte sich London jedoch zur Einhaltung von EU-Vorschriften verpflichtet - insbesondere soll der Zollkodex der Europäischen Union für alle von der Insel nach Nordirland verbrachten Waren gelten.

Die Brexit-Verhandlungen werden nach Einschätzung der deutschen Industrie durch den Zick-Zack-Kurs Großbritanniens belastet. "Die britische Regierung verliert massiv Glaubwürdigkeit", sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Joachim Lang. "Es führt kein Weg daran vorbei, dass das Vereinigte Königreich seine Verpflichtungen aus dem EU-Austrittsabkommen erfüllt." Vertragstreue sei unabdingbar, um ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union zustande zu bringen.

Der irische Ministerpräsident Micheal Martin äußerte sich skeptisch, dass es sich unter den derzeitigen Begleitumständen gelingen werde, sich auf ein solches Abkommen zu einigen. Die spanische Außenministerin Arancha Gonzalez Laya warnte im Hörfunk, wenn es keine Übereinkunft gebe, werde dies für Großbritannien sehr viel mehr Schaden bedeuten als für die EU - Dies gelte auch für die britische Exklave Gibraltar im Süden Spaniens.

Großbritannien ist Ende Jänner aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt aber noch eine Übergangsphase, in der die künftigen Beziehungen etwa im Bereich Handel geklärt werden sollen. Gelingt keine Einigung, droht ein ungeregelter Austritt. Experten warnen in einem solchen Fall vor schweren wirtschaftlichen Folgen für beide Seiten.

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