Kulturhauptstadt 2024: "Kein Feuerwerk, sondern Startschuss"

Das Kulturhauptstadtjahr rückt immer näher
Eine Europäische Kulturhauptstadt braucht internationale Präsenz. Nach der Leipziger Buchmesse präsentierte sich die Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 gestern auf der Architekturbiennale in Venedig. Das APA-Interview mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hannes Heide wurde in Straßburg geführt. Der Ex-Bürgermeister von Bad Ischl ist EU-Abgeordneter und gilt als einer der Väter der erfolgreichen Bewerbung. Kulturhauptstadt sei ein Prozess und kein Festival, betont er.

APA: Herr Heide, ohne Sie würde es die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 kaum geben - kann man das so verkürzt sagen?

Hannes Heide: Es gibt ein paar Menschen, die letztendlich dafür verantwortlich waren, aber dass ich die Idee, die Kandidatur zu wagen, von Anfang an initiativ mitgetragen habe, stimmt.

APA: Nicht alle Salzkammergutgemeinden machen mit. So wollte man etwa am Wolfgangsee die Ansage, Alternativen zum Overtourism aufzeigen zu wollen, nicht mittragen.

Heide: Manche haben gesagt: Kulturhauptstadt klingt ja gut, aber wir wollen gar nicht urban werden. Aber schon in unserer Bewerbung ging es um eine Stärkung des ländlichen Raums, weil sich dort die Zukunft Europas entscheidet. Der Brexit ist im ländlichen Raum entschieden worden, allgemein ist dort die EU-Skepsis am größten, und in den USA sieht man, wie sich der Stadt-Land-Konflikt politisch auswirken kann. Wir wollen einen nachhaltigen Tourismus entwickeln. Aufenthaltsdauer und Wertschöpfung kann man am besten mit Kultur vergrößern. Es gibt viele kulturelle Schätze zu heben. Wir wollen den bestehenden Bildern über das Salzkammergut neue hinzuzufügen, die für die Menschen dort stehen.

APA: Ist es nicht ein bisschen absurd, dass man in St. Wolfgang 2024 ein "Wolfgangjahr" zum 1.100. Geburtstag des Hl. Wolfgang feiert - parallel und nicht gemeinsam mit dem Kulturhauptstadtjahr ...

Heide: Ich war bei der Konferenz zum Wolfgangjahr, wo sie sich europäisch vernetzen, was ich sehr positiv finde. Ich höre auch, dass das Programm durchaus modern und zeitgemäß gestaltet wird und dass man ein Pop-Oratorium macht und nicht ein "Wolfgangspiel". Ja, es ist schade, dass man nicht zusammengekommen ist, aber letztlich wird die gesamte Region von der Kulturhauptstadt profitieren - und das weiß man auch am Wolfgangsee. Beim Erarbeiten einer Struktur für die Zusammenarbeit ab 2025 werden sie sicher dabei sein. Das ist vielen zu wenig klar: Man wird nicht dafür ausgezeichnet, was man ist, sondern wo man hinwill - und ob das auch ein Leitmodell für andere europäische Regionen sein kann.

APA: Und wo will man hin? Was soll über 2024 hinaus bleiben?

Heide: Die kulturelle Infrastruktur wie kleine Museen oder Veranstaltungsorte ist in einem Zustand, der durchaus eine Belebung braucht. Das war ja eine der Ideen der Bewerbung: Nicht Neues zu bauen, sondern Vorhandenes zu bewegen und zu beleben. In der ganzen Region gibt es Investitionsbedarf im Kulturbereich. Der Europäische Rechnungshof hat darauf hingewiesen, dass die Mittel zur regionalen Entwicklung nirgendwo so gut eingesetzt werden wie in der Kultur. Ihre sozioökonomischen Effekte sind so hoch wie in keinem anderen Bereich.

APA: Beim Instandsetzen des Lehartheaters gab es Verzögerungen, wie ist der Stand?

Heide: Mein Wissensstand ist, dass der Kauf der Liegenschaft über eine Gesellschaft der Stadt unter Dach und Fach ist. Es gibt seit Jahren klare Konzepte zu einer vielfältigen Nutzung, und dafür muss ein gewisser Mindeststandard an Technik und Struktur her. Es wird nächstes Jahr eine Form der Bespielung geben, die große Lösung wird erst nach der Kulturhauptstadt umgesetzt werden können. Unter anderem, weil es früher ein reines Sommertheater war, sind dafür 19 Mio. Euro kalkuliert. Das wurde teilweise heftig kritisiert. Aber in Salzburg reden wir über 350 Millionen für einen Festspielbezirk, das Festspielhaus Bregenz kostet um die 60 Millionen und die Sanierung bespielter Theater in Wien zwischen 20 und 60 Millionen - in diese Relation muss man das bringen und keine provinzielle Diskussionen führen.

APA: Diskussionen haben auch die künstlerische Intendanz seit Anfang an begleitet - von Stephan Rabl und seiner kaum verständlichen Wortmarke "Die Originale 2024" über seine Ablöse bis zu den jüngsten Debatten um das Programm von Elisabeth Schweeger, inklusive des Austritts von Hannes Androsch aus dem Komitee oder einer Christian Rainer in einem Ebenseer Wirtshaus verpassten Ohrfeige.

Heide: Ich halte Kritik und Reflexion für unverzichtbar in so einem Prozess, wenn wir über uns selber und unsere Region nachdenken. Zu Stephan Rabl bringe ich immer einen Fußballvergleich: Es gibt gute Trainer, die können trotzdem nicht immer mit der vorhandenen Mannschaft gute Ergebnisse erzielen. Im Salzkammergut ist es halt so, dass man die Mannschaft nicht auswechseln kann. Denn das waren ja die Spieler, die die Europa League erkämpft haben.

APA: Eine Kritik ist, dass so viele Projekte eingereicht wurden, aber nur so wenige zum Zug kommen.

Heide: Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das estnische Tartu, 2024 gemeinsam mit uns und der norwegischen Stadt Bodø Kulturhauptstadt Europas, immerhin eine Universitätsstadt mit knapp 100.000 Einwohnern, hat bei dem von der EU eingeforderten Call an die 100 Einreichungen gehabt. Wenn wir 1.000 Einreichungen hatten, zeigt es, wie viele Menschen bereit sind, das Salzkammergut neu zu denken. Nur hat das halt auch ein entsprechend großes Enttäuschungspotenzial. Viel davon muss aber nicht unbedingt ins Kulturhauptstadtprogramm und kann auch später stattfinden. Darum müssen wir uns kümmern.

APA: Sie sind total happy mit dem, was Intendantin Schweeger da schnürt?

Heide: Happy? Ich sehe, dass der Prozess läuft. Ich meine, Frau Schweeger hält viel aus, ist mit vielem konfrontiert und bewältigt das auf ihre Weise. Ich sehe Möglichkeiten für alle, sich einzubringen. Manche erwecken aber den Eindruck, dass schon 2022 Kulturhauptstadtjahr war, weil jetzt abgerechnet wird. Ich sag immer: Nicht jedes Projekt muss mir gefallen, weil sich ja auch nicht jedes an mich richtet. Aber ich habe meine Favoriten.

APA: Die da wären?

Heide: Als erstes muss ich immer das Schultheaterprojekt "Der kleine Prinz" nennen, weil da mein achtjähriger Sohn beteiligt ist. Mein absolutes Lieblingsprojekt ist aber das Wirtshauslabor, weil die Wirtshauskultur eines der bedeutendsten Themen im ländlichen Raum ist. Dafür braucht es aber vernünftige Arbeitsbedingungen, damit junge Leute wieder einen Spaß haben, das zu machen. Zum Zusammenleben braucht es einen Ort, wo gestritten und diskutiert wird. Demokratiepolitisch hat das eine riesengroße Bedeutung zum Frustablassen ...

APA: In Ebensee dürfte sich das noch nicht herumgesprochen haben ...

Heide: ... aber auch als ein Ort der Kultur. Ob in Schottland, Wales, Nordirland oder der Bretagne - alle sagen, dass dieser Ort zunehmend fehlt, ob der nun Pub heißt oder anders.

APA: Gibt es Überlegungen in der EU, das Label "Kulturhauptstadt" aufzulassen und in ein Instrument zur Förderung des ländlichen Raums umzufunktionieren?

Heide: Die Ausschreibungsbedingungen sind in einem Wandel. Es gibt eine Weiterentwicklung. Ursprünglich wurden das die großen Städte. Da ist man für das, was man ist, ausgezeichnet worden. Dann waren es die mittelgroßen, aufstrebenden Städte. Essen/Ruhr ist ebenso ein Musterbeispiel wie Marseille/Provence, dass die Region immer einzubeziehen ist. Das machen wir, vielleicht mehr als die anderen. Aber der Zuschlag geht an die Bannerstadt - und das ist Bad Ischl. Aber ohne gemeinsames Auftreten hätten wir den Titel nicht bekommen. 2024 ist eben nicht ein Kulturfestival als Feuerwerk, das abgeschossen wird und von dem nur Rauch bleibt. 2024 ist kein Feuerwerk, sondern ein Startschuss für einen Prozess.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - www.salzkammergut-2024.at/)

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