APA - Austria Presse Agentur

Kusej ortet Situation wie "kurz vor der Machtergreifung"

Der neue Burgtheater-Direktor Martin Kusej hat "die Befürchtung, dass man hier richtig eins auf die Rübe kriegt. Dass man also konkret körperlich attackiert werden könnte." Das sagt er in einem großen Interview mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit", in dem er sich auch zur aktuellen politischen Lage in Österreich äußert.

"Ich habe überhaupt keine Skrupel, mich gegen Tendenzen in der FPÖ oder der AfD laut und eindeutig zu äußern", so Kusej. Er bemerke allerdings "ein deutliches Sinken der Schwelle von Gewaltbereitschaft, zur Skrupel- und Respektlosigkeit, zur Diktatur der Meinung des 'Volkes'. Ich erlebe das gerade bei der Kunstauktion 'For Forest' in Klagenfurt; da versetzt der Schweizer Kunstvermittler Klaus Littmann einen echten Wald in ein Fußballstadion. Es ist unfassbar, wie dieser Mann von einer Clique aus rechten Idioten und aufgebrachten Provinzlern attackiert wird."

Er glaube, "da besteht Gefahr, dass man verprügelt wird. Ich bin entsetzt darüber", so der 58-Jährige. "Wenn man die Gewaltbereitschaft spürt, die aus den Blogs und sozialen Medien herausquillt, dann fürchte ich, dass die wirklich ernst machen. Und dass man in einer Situation ist wie früher, kurz vor der Machtergreifung. Das hätte ich vor zehn Jahren nicht gedacht, dass ich jemals über so etwas nachdenken würde. Das tut verdammt weh, dass das überhaupt im Bereich des Möglichen ist."

Er würde seine Position "vehement vertreten, aber ich habe keine Lust, zum Märtyrer zu werden. Was mich fast noch ein bisschen mehr verunsichert und irritiert ist, dass einem wahrscheinlich niemand helfen würde", so der Burg-Direktor.

Er glaube, "dass man sich gegen diese Menschen schlussendlich intellektuell nicht wehren kann. Rein künstlerisch geht es nicht. Wenn der Rechtsstaat versagt, geht es irgendwann um die Frage: Hast du einen Knüppel in der Hand, oder hat er einen Knüppel in der Hand?" Kusejs Burgtheater-Direktion wurde vor wenigen Tagen mit einer "Bakchen"-Inszenierung von Ulrich Rasche eröffnet, bei der Gott Dionysos als rechter Verführer gezeigt wurde, der mit seiner martialisch auftretenden Gefolgschaft den von Theben-Herrscher Pentheus aufgebauten Verfassungsstaat bedroht.

"Wir sind deswegen furchtlos, weil wir Gott sei Dank immer noch in demokratischen Umständen leben und weil wir uns drauf verlassen können, dass im Falle von Gewalt ein Staat uns schützt", so Kusej in dem am Donnerstag veröffentlichten Interview. "Umso alarmierter sollte man sein, wenn diese rechte Regierung versucht, den Rechtsstaat auszuhöhlen. Das müsste doch alle hier total auf die Barrikaden treiben."

Man werde "später nicht sagen können: Das haben wir nicht gewusst! Es ist da, wir erleben es, ganz deutlich wissen wir, was kommen wird - und wir unternehmen nichts." Es gebe zwar eine intellektuelle Opposition wie etwa André Heller, Michael Köhlmeier, Robert Menasse und Franz Schuh, "aber dafür, dass es so viele Künstler hier gibt, ist die Opposition viel zu leise. Man muss konstant dagegenhalten - bis sie einem die Fresse einschlagen, und dann kann man eh nichts mehr sagen."