APA - Austria Presse Agentur

Landesumweltanwalt: Kaum Chancen für Tiroler "Gletscher-Ehe"

In Tirol wird wieder über den umstrittenen geplanten Zusammenschluss der Gletscherskigebiete im Pitz- und Ötztal diskutiert. Eine Bürgerinitiative will am Freitag 168.000 Unterschriften von Gegnern an die Politik übergeben. Im Mai wird der Tiroler Landtag das Thema behandeln. Während das Ötztal nach über zehn Jahren noch "zu 120 Prozent dafür" ist, scheinen die Pitztaler auf der Bremse zu stehen. Landesumweltanwalt Walter Tschon sah die Chancen für das Projekt "gegen Null".

Die Gletscher-Ehe liegt schon seit Jahren auf Eis. Eine für Anfang 2020 anberaumte mündliche Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) war zuletzt vertagt worden. Die UVP ist ruhend gestellt, aber - weil einige Unterlagen nicht mehr dem neuen Stand entsprächen - nicht abgeschlossen worden, teilte Tschon auf APA-Anfrage mit. Über 40 Gutachten wurden im Laufe der Jahre erstellt. Die Pitztaler Bergbahnen hatten während der Coronapandemie um einen weiteren Aufschub angesucht. Ob das Projekt in der derzeitigen Form "überhaupt weiter betrieben" werden könnte, bezweifelte Tschon. "Mit den derzeitigen Unterlagen geht keine Behörde in die Verhandlung", stellte er klar.

Jakob Falkner, Geschäftsführer der Bergbahnen Sölden im Ötztal, zeigte sich im APA-Gespräch hingegen noch immer vom Zusammenschluss überzeugt. Er sei "zu 120 Prozent dafür", die Entscheidung über einen Zusammenschluss liege nun beim Partner Pitztaler Bergbahnen. Dieser hatte Bedenkzeit erbeten, bis dato habe er noch keine Antwort aus dem Nachbartal erhalten, führte der Seilbahnchef aus. Spräche sich das Pitztal gegen die Gletscher-Ehe aus, wäre das Projekt gestorben. Ist das Pitztal dafür, "wird es wohl weitergehen", glaubte Falkner. Dass die Gutachten, die in der Vergangenheit erstellt wurden, veraltet sein könnten, darüber machte sich der Seilbahner keine Sorgen: "Irgendwas davon wird ja schon noch gültig sein".

"Wir stellen die Kundenwünsche in den Vordergrund", argumentierte er für die Gletscher-Ehe und führte diese - in Berufung auf österreichweite Umfragen - aus: "Das wichtigste ist die Schneesicherheit, gefolgt von der Größe des Skigebiets und der Modernität der Anlagen". Diese Kriterien würden mit dem Zusammenschluss "perfekt erfüllt", unterstrich Falkner. Man müsse an die nächste Generation denken und nicht immer nur das Argument "Klima Klima Klima" in den Vordergrund stellen - die Skigebiete der Zukunft lägen jedenfalls über 2.000 Meter.

Der Zusammenschluss würde unter anderem drei zusätzliche Gondelbahnen, eine Vergrößerung der Pistenfläche um 64 Hektar und ein gemeinsames Seilbahnzentrum vorsehen. Kritiker führten insbesondere die Zerstörung hochalpiner Landschaft - etwa durch die über 80 Meter hohen Seilbahnstützen, künstlich eingeebnete Gletschervorfelder und ein zusätzliches Speicherbecken - ins Treffen. Zudem sei aufgrund des Klimawandels die Wirtschaftlichkeit des Großprojekts grundsätzlich in Frage zu stellen, hieß es.

Strikt gegen einen Zusammenschluss ist auch der Aktivist Gerd Estermann. Die herrschende "Eiszeit" rund um den Gletscherzusammenschluss reklamierte er zum Teil als Erfolg der von ihm initiierten Bürgerinitiative "Feldring", die in den letzten Jahren über 168.000 Unterschriften gegen das Projekt einsammelte. Am Freitag möchte Estermann diese im Rahmen einer Kundgebung vor dem Tiroler Landhaus an Umweltlandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) und den für Raumordnung zuständigen Landesrat Johannes Tratter (ÖVP) übergeben. Estermann glaubt, dass die Stimmung mittlerweile gekippt ist. "Wir sprechen hier von einer Entwicklung in der Bevölkerung, über die auch die etablierten Parteien nicht mehr hinwegsehen können", fand er.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) verwies in puncto Gletscher-Ehe im Rahmen einer Pressekonferenz im Anschluss an die Regierungssitzung am Dienstag in Innsbruck auf die "Rahmenbedingungen", die "in der Koalition abgesteckt" worden waren. Das bleibe "in dieser Legislaturperiode auch so", hielt Platter fest. Die Umsetzung eines "größeren Projekts" bedürfe eines UVP-Verfahrens (einer Umweltverträglichkeitsprüfung, Anm.). Momentan liege kein Projekt vor.

Umweltlandesrätin LHStv. Ingrid Felipe von den Grünen hielt indes fest, dass "de iure" ein Moratorium nicht möglich sei, "de facto" aber in den letzten Jahren keine großen Zusammenschlüsse realisiert wurden. Sie glaube deshalb, dass der "Tiroler Naturschutz in dieser Frage gut aufgestellt ist und mit den bestehenden Gesetzen sehr gut arbeiten kann".

Der ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesende Söldener Bürgermeister Ernst Schöpf (ÖVP) pochte unterdessen darauf, dass der Zusammenschluss zwar "auf Eis gelegt, aber noch nicht zu Grabe getragen" sei. Die zwei Projektbetreiber hätten "bei der Behörde um Aufschub im Genehmigungsverfahren gebeten, weil sie sich selbst noch finden wollen und müssen", sagte Schöpf. Den Zusammenschluss an sich begrüße er "natürlich".

Im Mai wird sich auch der Tiroler Landtag mit dem Thema Skigebietserweiterungen und -zusammenschlüssen beschäftigen. Die oppositionelle Liste Fritz hatte im März einen Antrag für ein fünfjähriges Moratorium - also einer de facto Pause - eingebracht, dem die Dringlichkeit zuerkannt wurde. Der Antrag wird Anfang Mai im Ausschuss behandelt, informierte Klubobmann Markus Sint die APA. Zudem forderte die Partei eine Novellierung des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms (TSSP), das 2023 ausläuft. Estermann unterstützt ein Moratorium. Ein solches sei zwar rechtlich nicht bindend, aber: "Wir wollen ein Signal aussenden: Jetzt ist einmal Pause". Tirol zählt fast 90 Skigebiete, über 1.000 Liftanlagen und fast 5.000 Hektar beschneite Flächen.

Besonders wichtig sei es, den "absoluten Gletscherschutz" gesetzlich zu verankern. "Konkret heißt das: es darf keine Erschließungen über die definierten Grenzen geben, außerdem muss auch das Gletschervorfeld geschützt werden". Es gehe nicht nur um den Schutz von Gletschereis, sondern um den Schutz hochalpiner Landschaften per se, stellte Estermann klar. Das bedeute aber nicht, dass man sich "gegen eine qualitative Weiterentwicklung" der (Gletscher-)Skigebiete stemme.

Glaziologin Andrea Fischer von der Akademie der Wissenschaften in Innsbruck machte im APA-Gespräch auf bestehende gesetzliche Instrumentarien für den Gletscherschutz aufmerksam, zudem hätte Skitourismus in (ehemaligen) Gletscherskigebieten auch ökologische Vorteile gegenüber niedriger gelegenen Gebieten, die man in die Abwägung einbeziehen könne.

Bis zum Ende des Jahrhunderts werden von aktuell 4.000 Gletschern im Alpenraum noch etwa 700 übrig sein, zog die Glaziologin düstere Prognosen heran. Doch auch wenn Gletscher schmelzen - darauf errichtete Skigebiete hätten noch immer einen "Schneevorteil". Es liegt länger und mehr Schnee als in niedrigeren Gebieten. Skitourismus in (ehemaligen) Gletschergebieten stufte Fischer als "nicht von vornherein unvernünftig" ein. Durch kältere Temperaturen und längere Winter wäre "weniger Energie für die Beschneiung" nötig, führte sie einen konkreten Grund ins Treffen.

Als Wissenschafterin hätte sie keine Meinung zum Ausbau bestehender Skigebiete. Ihre Aufgabe sei es, "konkrete gletscherkundliche Fragen, die sich aus der Gesetzeslage zum Gletscherschutz ergeben im Zuge eines Gutachtens als Basis für die Entscheidungsfindung der Behörden" zu beantworten, so Fischer. Die Bildung von Meinungen erfolge durch "öffentlichen Diskurs", es handle sich immer um eine "Abwägung verschiedener Werte und Tatsachen", die "klar und transparent" dargestellt werden müsse.

In der Vergangenheit wurden Skigebietserweiterungen oft als "Zusammenschlüsse" bezeichnet. Ob Vergrößerungen aus ökonomischer Sicht überhaupt Sinn machen, bezweifelte Volkswirt Gottfried Tappeiner, Studienbeauftragter des Masterstudiums "Nachhaltige Regional- und Destinationsentwicklung" an der Universität Innsbruck gegenüber der APA. "Übergroße Skigebiete kommen bei Konsumentinnen und Konsumenten nicht gut an", wusste Tappeiner. "Gerade Gruppen mit Kindern schätzen die Übersichtlichkeit".