Leichtfüßige "Anastasia"-Musicalpremiere in Linz

Anja soll die Zarenmutter um den Finger wickeln
Ein schillerndes Society-Gerücht, das Lebensgefühl im Paris der 1920er, mitreißende Musik und eine witzige Choreografie nebst einem perfekt harmonierenden Ensemble - das Linzer Musiktheater ist Samstagabend mit klassischen, aber bewährten Zutaten in die Musical-Saison gestartet. Die Österreichische Erstaufführung von "Anastasia" rund um das angebliche Überleben einer Zarentochter ist leichte Kost, jedoch perfekt umgesetzt und war dem Publikum Standing Ovations wert.

Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Zeichentrickfilm, wurde aber von seinen Schöpfern um die himmelschreiendsten historischen Fehler bereinigt - so wurde Rasputin, der zum Zeitpunkt des Zarensturzes bereits tot war, als Bösewicht gestrichen, und durch den Politkommissar Gleb ersetzt. Die Zarenmutter, die sich nach der Revolution nach Dänemark abgesetzt hatte, lebt im Musical allerdings nach wie vor in Paris, wofür Musiker, Choreografie und Ausstattung wohl recht dankbar waren.

Im ersten Teil muss viel an Handlung abgespult werden: Der Zar wurde gestürzt und später samt Familie umgebracht. In St. Petersburg, das neuerdings Leningrad heißt, raunt man sich hinter vorgehaltener Hand das heißeste Gerücht zu: Die Zarentochter Anastasia habe das Blutbad überlebt und sei auf der Flucht. Während die Bolschewiken versuchen, den Mythos samt etwaiger Anastasias aus dem Weg zu schaffen, hat die Zarenmutter in Paris eine satte Belohnung ausgelobt, sollte jemand die echte Anastasia finden. Die beiden Gauner Dimitri und Wlad wollen sich mit Anja, einer an Amnesie leidenden Straßenkehrerin, das Geld holen. Anja weiß zwar nicht, wer sie ist, überrascht aber immer wieder mit Flashbacks, die sie und ihre Begleiter manchmal glauben lassen, sie könnte es tatsächlich sein. Auf abenteuerlichen Wegen schlägt man sich nach Frankreich durch, verfolgt von Gleb, der Anja den Garaus machen soll.

Der zweite, längere aber wesentlich kurzweiligere Teil spielt im Paris der Zwischenkriegszeit. Dominierten im tristen Russland rote Fahnen, graue Menschen in abgerissenen Kleidern und Schnee das Bild, so ist Paris die Stadt der rosa Sonnenaufgänge, der glitzernden 1920er-Jahre-Mode, der frivolen Lebensfreude und - natürlich auch für Anastasia und Dimitri - der Liebe. Im Newa-Club feiern die Exilrussen als wäre der alte Glanz nicht längst verblichen und reihenweise defilieren Anastasia-Hochstaplerinnen an der Zarenmutter vorbei. Als Anja vor sie tritt, ist die adelige Schreckschraube mit weichem Kern angesichts der Dichte an Schmierenkomödiantinnen schon ziemlich verbittert.

Das Musical ist ein sehr klassisches. Die walzerselige Dekadenz am Zarenhof in ihrem kitschigen Pastell könnte einer Operette entsprungen sein, das Training, das aus der erinnerungslosen Anja eine Prinzessin machen soll, erinnert stark an die "Mein Gott, jetzt hat sie's"-Szene aus "My fair Lady" und wenn die Genossen geschlossen aufmarschieren, denkt wohl so mancher an "Les Miserables". Die Musik deckt die volle Bandbreite von russischer Schwermut über Kosaken-Folklore bis zu schmissigen 1920er-Jahre-Klängen ab. Das "Newa-Cluborchester" unter Tom Bitterlich spult die zweidreiviertel Stunden bravourös ab.

Hanna Kastner als Anja gibt das liebe Mädel, die Unschuld vom russischen Land, Lukas Sandmann den Softie-Gauner Dimitri, Karsten Kenzel als Wlad einen alternder Filou mit Bauchansatz und Witz. Stimmlich wie schauspielerisch herausragend Danela Dett als Zarenmutter, die sich nur dank ihres Stocks und ihrer Hoffnung aristokratisch kerzengerade aufrecht hält. Nikolaj Alexander Brucker ist ein von Gewissensbissen geplagter Gleb und Judith Jandl die lebenslustige Hofdame Lily, die dem bürgerlichen Charme Wlads nicht widerstehen kann.

Die Inszenierung von Mattias Davids und Andrew D. Edwards verzichtet darauf, Anspielungen auf das Russland von heute zu machen, es wäre auch unpassend, man müsste den Handlungsbogen wohl zu sehr verbiegen. Kim Duddy zeichnet für die leichtfüßige Chorografie mit Witz und Tempo verantwortlich, Lebensgefühl des Paris der Zwischenkriegszeit und Akrobatik-Einlagen inklusive. Davids und Edwards schaffen es, die anfangs etwas sperrige Handlung kurzweilig unterzubringen. "Anastasia" mag keine tiefschürfende Geschichte sein, aber das Publikum durfte einfach einen Abend unbeschwerter Unterhaltung genießen.

(S E R V I C E - "Anastasia" (ÖE) von Terrence McNally (Buch), Stephen Flaherty (Musik) und Lynn Ahrens (Gesangstexte). Musikalische Leitung: Tom Bitterlich, Inszenierung: Matthias Davids, Choreografie: Kim Duddy, Bühne & Co-Regie: Andrew D. Edwards, Kostüme: Aleš Valášek, Lichtdesign: Michael Grundner. Mit Hanna Kastner (Anja), Lukas Sandmann (Dimitri), Karsten Kenzel (Wlad), Nikolaj Alexander Brucker (Gleb), Daniela Dett (Zarenmutter), Judith Jandl (Lily). Weitere Vorstellungen am 13., 19., 23., 28., 30. September, 1., 5., 13., 16., 21., 23., 28. Oktober, 4., 10., 13., 14., 17. November im Musiktheater Linz, Großer Saal. https://www.landestheater-linz.at)

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