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Leon Engler über Bachmann-Preis: "Habe natürlich Respekt"

Geboren 1989 in Osterzell/Bayern, studierte Leon Engler Theaterwissenschaften in Wien und Paris, Psychologie in Köln sowie Kulturwissenschaft und Psychoanalyse in Berlin. "Derzeit stellt er sich auf Cocktailpartys als Autor und angehender Psychologe vor", heißt es auf der Autoren-Seite des Bachmann-Preises, wo er auf Einladung von Philipp Tingler liest. Auch im Mail-Interview mit der APA sparte der (auch) in Wien lebende Deutsche nicht mit originellen Antworten.

APA: Herr Engler, wie sind Sie auf die Idee gekommen, beim Wettlesen um den Bachmann-Preis anzutreten - und wie ist Ihnen die praktische Umsetzung dieser Idee gelungen?

Leon Engler: "Schreiben können viele, lesen aber nur wenige... heute kommt auf fünf Autoren ein Leser", hat der portugiesische Dichter Teixeira de Pascoaes im letzten Jahrhundert schon behauptet. Und im Buhlen um Leser*innen, diese bedrohte Art, muss man sich um Sichtbarkeit bemühen, auch wenn mir das wirklich nicht liegt. Und in der Bewertung von literarischer Qualität ist es ja gar nicht so einfach zu sagen, was diese "gute Literatur" ist. Man kann das ja nicht einfach abmessen wie beispielsweise beim Hochsprung, wo man einfach schaut, wer am meisten ausrichten kann gegen die Erdanziehungskraft. Wer die Latte nicht reißt, der gehört jetzt zur Hochliteratur - so ein einfaches Maßnehmen gibt es nicht beim Schreiben. Wettbewerbsteilnahmen und Preise sind da sowas wie kleine Medaillen, die können Schreibende sich dann wie Fleißsternchen auf ihre Notizbücher kleben. Das beweist dann vielleicht: Das ist nicht ganz fürchterlich. Und darum habe ich ausgewählten Juror*innen ausgewählte Texte gesendet, von denen ich dachte, sie könnten in denen etwas auslösen.

APA: Sind Sie Novize der "Tage der deutschsprachigen Literatur", oder haben Sie diese bereits live oder vor Ort verfolgt?

Engler: Ich verfolge das schon immer wieder, denn ich bin ja vor allem auch Leser, nicht nur Schreiber, und darum immer auf der Suche nach interessanten Texten. Vor Ort war ich noch nie und ich habe auch noch nie ein Public Viewing mit Lindenblütentee und Madeleines veranstaltet.

APA: Was bereitet Ihnen, wenn Sie an die kommende Veranstaltung denken, die größte Freude, was das größte Unbehagen?

Engler: Ich freue mich auf die Zeit vor Ort und darauf, viele Menschen kennenzulernen. Ich war an keiner Schreibschule oder so etwas, kenne also nicht viele Literaturmenschen. Natürlich habe ich Respekt vor dem Vorlesen und der anschließenden Diskussion, hoffe aber, dass die Jury versucht, mit dem Text mitzugehen und sich um eine systematische Analyse bemüht und nicht einfach nach subjektivem Bauchgefühl oder Deckungsgleichheit mit der eigenen Weltanschauung geht.

APA: Das Besondere an Klagenfurt ist die Live-Arena, in der öffentlich über die gelesenen Texte diskutiert wird. Wie gut können Sie mit Kritik umgehen?

Engler: Es gibt Menschen, die behaupten, dass kein Mensch auf dieser Welt einen größeren Feind hat als sich selbst. In meinem Fall stimmt das. Darum glaube ich nicht, dass die Kritik der Jury schlimmer ausfallen könnte als meine Selbstkritik. Mir ist sozusagen ein dickes Fell gewachsen. Ich habe aber auch schon beim Berliner Theatertreffen miterleben dürfen, wie eine Jury meinen Text öffentlich seziert. Man überlebt die Obduktion, aber kleine Tode stirbt man schon.

APA: Ihre Kurzbiografie liest sich ziemlich bunt. "Praktikant, Lokaljournalist, Pommesverkäufer, Wildnisführer und Hotelier". Welche Bedeutung spielte in Ihrem bisherigen Leben die Literatur, welche das Schreiben?

Engler: Ich habe leider mit einer pathologischen Unentschiedenheit zu kämpfen, weil mich alles interessiert, ich würde gerne alle möglichen Lebensentwürfe ausprobieren. Aber was sich durchzieht: Seit 16 Jahren schreibe ich. Es ist mir ein Rätsel, wie das passiert ist, weil sich in meiner Jugend niemand um mich herum mit Literatur beschäftigt hat. Über Zufall bin ich zum Theater gekommen und habe jetzt sicher, eigentlich erschreckend, schon über 20 Theatertexte und Hörspiele geschrieben. Aber insgeheim wollte ich immer Romane schreiben. Das war, was mich als Rezipient am meisten berührt hat, aber auch die Form, vor der ich am meisten Demut habe. Mit 20 saß ich schon in Wien herum und las Roland Barthes "Vorbereitung eines Romans". Und noch immer stecke ich in der Vorbereitung. Jetzt liegen schon 7 Romananfänge in meiner Schublade, aber keiner überzeugt mich so ganz. Im Moment habe ich mich, weil ich mich nicht abhängig machen will vom Schreiben, der Psychologie verschrieben. Und die Psychologie und die Literatur sind seit jeher verbandet. Freud war der Meinung, der Therapeut und der Schriftsteller schöpften aus der gleichen Quelle, der Introspektion. Die Krankenberichte, die Freud schrieb, sollte man lesen wie kleine Novellen. Schreiben und in psychotherapeutischer Praxis tätig sein, das ist der Traum. Roland Barthes wurde übrigens von einem Lieferwagen überrollt, bevor er seinen Roman fertigstellen konnte. Ich hoffe, ich schaffe es, bevor ich tot bin.

APA: Was hat Sie nach Wien verschlagen? Ist dort derzeit Ihr Lebensmittelpunkt? Welche Bezüge gibt es zur zeitgenössischen österreichischen Literaturszene?

Engler: Nach der Schule wollte ich unbedingt weg aus München und in einer tolle Stadt wohnen, darum bin ich nach Wien. Dann habe ich geschaut: Was kann man hier studieren? Und landete bei der Theaterwissenschaft. Aber eigentlich wollte ich, Vorsicht: Klischee, immer Kunst machen. Mein Vater kommt aus Wien, mein Großvater hat schon nach allen Regeln der Kunst in Steinhof seinen Verstand verloren. Da gab es irrsinnig viel für mich zu entdecken autobiografisch. Und jetzt unterrichte ich an der Universität Wien zwei Seminare übers literarische Schreiben. Aber seit Jahren bin ich hin- und hergerissen zwischen Wien und Berlin und freue mich schon auf die neue Schnellstrecke, die irgendwann Mitte des 21. Jahrhunderts fertig sein soll. Bezüge zur lokalen Literaturszene gibt es auch ein paar: Ich habe ein Theaterkollektiv, Neues Theater Wien, und wir haben einige Stücke auf Off-Bühnen gebracht. Außerdem eine Literaturzeitschrift in einer Bim namens Biest. Das liegt aber im Moment auf Eis, weil ich mich in der Psychologie verheddert habe.

APA: Was können Sie über Ihren Text verraten, den Sie in Klagenfurt lesen werden?

Engler: Der Text klopft so ein paar Glaubenssätze unserer Zeit ab: die Vorstellung von permanenter Identität, authentischem Selbstsein und dem Imperativ der Selbstverwirklichung. Und die Kehrseite, falls das alles nicht gelingt: die Depression, die Schöpfungsunfähigkeit, die Identitätskrise. Es ist eigentlich ein für mich ungewöhnlicher Text, aber ich schreibe sehr verschiedenartige Texte und Stile (die angesprochene notorische Wankelmütigkeit). Der Text fordert aber eigentlich, was in der Philosophie und Psychologie als Ambiguitätstoleranz kursiert: aushalten zu können, dass die Dinge (und Menschen) eben nicht eindeutig sind. Das kann man auch auf mich als Autor und den Text selbst anwenden, der (mindestens) zwei Lesarten zulässt. Wenn man beim Lesen an der Oberfläche bleibt, meint man vielleicht, poppige Gegenwartsliteratur vor sich zu haben. Diese Lesart funktioniert. Gräbt man aber tiefer, dann stößt man auf die Ebene der Intertextualität, Motive und Symbole. Das eröffnet nochmal eine ganze andere Deutungsmöglichkeit. Und ich hoffe, dass die Jury Lust hat zu graben.

APA: "Klagenfurt ist so aufregend wie LA oder Tokio", heißt es in Ihrem Autorenvideo, in dem sich ein Bub zu einem zwischen romantisch und ironisch changierenden Lied für seine Reise nach Klagenfurt bereitmacht. Wer ist der Bub, gibt das Video Ihre derzeitige Stimmung wieder und wäre Singer-Songwriter nicht auch eine Karriere für Sie?

Engler: Der Darsteller ist Milo Eisenblätter, ein begabter, junger Schauspieler aus Berlin. Die Idee hinter dem Video war, mich weniger über biografische Details vorzustellen, sondern über Bande: Was finde ich ästhetisch, was komisch? So kann man einen Menschen ja auch zu greifen kriegen. Und die Karriere als Singer-Songwriter war nach der Schule eigentlich mein Plan A: Leonard Cohen, Loudon Wainwright III, Joan Baez, Georg Danzer - diese Leute waren für mich prägender als 13 Jahre Schule. Aber diese Karriere gibt es in unserem Breitengraden nur sehr selten - und was früher Singer-Songwriter*innen waren, sind heute wahrscheinlich eher DJs. Ich habe aber ein paar Platten rausgebracht und spiele immer noch alle heiligen Zeiten Konzerte, aber wenn man auf zu vielen Hochzeiten tanzt, dann kriegt man nur Leberzirrhose und Blasen an den Füßen.

APA: Der Bachmann-Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Hätten Sie schon eine Idee, was Sie damit anfangen würden?

Engler: Ich rechne zu 0,0 % damit, den Preis zu gewinnen. Aber falls das aus unerfindlichen Gründen doch passieren sollte, zum Beispiel weil alle anderen Kandidat*innen zurücktreten, wäre das ein willkommener Inflationsausgleich. Freie Künstler*innen haben ja leider nur indexierte Miet-, aber keine indexierten Arbeitsverträge und generell verkompliziert es das Dasein als Autor*in , wenn man nicht geerbt hat. Ich rate allen angehenden Schriftsteller*innen, sich reiche Eltern zu suchen.

(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)