Ljuba Arnautović legt mit "Erste Töchter" neuen Roman vor

Ljuba Arnautovic blickt erneut zurück
Die unfassbare Familiengeschichte von Ljuba Arnautović kennt man seit 2018. In ihrem Romandebüt "Im Verborgenen" erzählte die 1954 in Kursk geborene und seit 1987 in Wien lebende Autorin vom Schicksal der in den 1930ern als vermeintliche Rettung vor dem sich ausbreitenden Faschismus nach Moskau verschickten "Schutzbundkinder". In "Junischnee" (2021) führte sie die Geschichte weiter bis ins Wien der 50er-Jahre. Nun erzählt sie in "Erste Töchter" von sich und ihrer Schwester.

Was die Großeltern, Eltern und auch sie selbst und ihre Schwester erlebt haben, bietet wahrlich Stoff für mehrere Romane und ist auch filmreif: Goran Rebić bereitet derzeit die Verfilmung von "Im Verborgenen" vor, für die er zusammen mit Arnautović auch das Drehbuch verfasst hat.

Wer die beiden vorangegangenen Bücher kennt, dem wird in "Erste Töchter" vieles wiederbegegnen. Schlaglichtartig werden die wichtigsten Etappen der Vorgeschichte miteinbezogen, um sich auf die Schwestern Lara und Luna, die eigentlich anders heißt, sich in der Schule aber zur Unterscheidung von einer gleichnamigen Mitschülerin einen anderen Namen aussuchen darf, zu konzentrieren. Luna ist wohl Ljuba und Lara ihre Schwester Larissa, "die ich zur Romanfigur gemacht habe", wie sie in der Danksagung schreibt: "Sie ist ganz anders!"

Ob auch die Autorin ganz anders ist, lässt sich nur erraten. In "Erste Töchter" bleibt sie nämlich auch bei den Geschehnissen, die sie aus erster Hand erzählen könnte, ihrem distanzierten Protokoll-Stil treu, der sich auf die äußeren Umstände konzentriert und sich der Ausschmückung des Innenlebens der Figuren weitgehend verweigert, um die Leser nicht zu bevormunden oder einzuengen. Die beiden Schwestern werden zum Spielball in Familienverhältnissen, die vom Vater Karl autoritär bestimmt werden. Dieser kommt gar nicht gut weg.

Die schrecklichen Umstände, unter denen das Schutzbundkind Karl im Gulag nur überleben konnte, indem er sich Kriminellen anschloss, haben bei ihm nachhaltige Spuren hinterlassen. Bei dem erstrebten sozialen Aufstieg sind ihm wechselnde Ehefrauen Mittel zum Zweck und die Töchter meist im Weg. So wachsen sie schließlich voneinander getrennt in München und Wien auf und können erst als Erwachsene wieder eine enge Verbindung zueinander aufbauen. Wie es den beiden dabei geht, erfährt man indirekt - in ein paar einander geschriebenen Briefen.

Die plastischste Szene des Buches findet sich gleich zu Beginn. Sie ist dem Vater gewidmet und beschreibt ihn als "Frank-Sinatra-Typ", der in einem Wiener Kaffeehaus ein Teilzeit-Bohemien-Leben führt und dabei seine spätere dritte Ehefrau, eine junge deutsche Medizinstudentin, kennenlernt. Als hätte Ljuba Arnautović es mit dem konventionellen Erzählen versucht, dabei aber festgestellt, dass zu viel Erfindung nicht das Ihre ist, wechselt sie jedoch bald in den gewohnten Stil, der sich weitgehend an Fakten orientiert.

Die sind bedrückend und abenteuerlich genug. Sie erzählen von repressiven politischen Umständen im Österreich und Deutschland der 1960er- und 1970er-Jahre, von der Suche nach RAF-Sympathisanten und der Schleifung der Arena. Vor allem aber erzählen sie von Männern, die ihre Unzufriedenheit mit ihrem eigenen Leben an Frauen auslassen. "Und so vermittelt Karl, ohne dass es jemals seine Absicht gewesen wäre, seinen Töchtern feministische Werte. Lass nie einen Mann über dich bestimmen."

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Ljuba Arnautović: "Erste Töchter", Zsolnay Verlag, 156 Seiten, 24,70 Euro)

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