Bisher 400 Millionen Menschen mit Long Covid

Berechnung von US-Experten
Die Welt hat seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie ein riesiges Long-Covid-Problem.

Bisher waren von diesen anhaltenden und oft schweren Komplikationen weltweit bereits mehr als 400 Millionen Menschen betroffen. Das haben jetzt führende US-Wissenschafter errechnet. Sie fordern mehr Anstrengungen zur Bewältigung dieses Problems.

"Die kumulative globale Inzidenz (Häufigkeit; Anm.) von Long Covid liegt bei 400 Millionen Menschen. Das hat einen jährlichen ökonomischen Effekt von rund einer Billion US-Dollar minus - entsprechend etwa einem Prozent des weltweiten Wirtschaftsaufkommens", schrieben jetzt Ziyad Al-Aly (Washington University in St. Louis/USA) und seine Co-Autoren, unter ihnen der in Fachkreisen weltbekannte Kardiologe Eric Topol (Scripps Institute/San Diego), in "Nature Medicine" (https://doi.org/10.1038/s41591-024-03173-6). 

Ziyad Al-Aly hat am vergangenen Donnerstag auch im "New England Journal of Medicine" eine ähnliche Übersichtsarbeit veröffentlicht.

Patient:innen schufen Begriff

Die Medizin selbst wäre wohl erst spät auf Long Covid aufmerksam geworden, hätten nicht zunächst die Betroffenen Alarm geschlagen. "Long Covid wird am besten durch den Zustand von post-akuten und gesundheitlichen Langzeitfolgen durch eine SARS-CoV-2-Infektion definiert. Long Covid wurde ursprünglich von den Patienten berichtet, die den Begriff schufen. Sie haben durch eigene Recherche und Patientenvertretung viel zum Verstehen dieses Problems in den vergangenen Jahren beigetragen", stellten die Fachleute fest.

Die Experten führen in einem Zeitverlauf zum Beispiel an, dass Patienten nach SARS-CoV-2-Infektion bereits im März 2020 von langen gesundheitlichen Problemen berichtet hätten. Nur ein Monat später, im März 2020, schrieb die New York-Times-Journalistin Fiona Lowenstein erstmals von den Erfahrungen der Betroffenen. Patienten organisierten in den USA Selbsthilfegruppen und erfanden buchstäblich den Namen "Long Covid".

Long Covid ist komplex

Long Covid ist unheimlich komplex, wie die Fachleute feststellen: Alle Altersgruppen sind betroffen. Herz-Kreislauf-, Immun-, Nerven- und Verdauungssystem können genauso in Mitleidenschaft gezogen sein wie die Fortpflanzungsorgane. "Brain Fog", kognitive Störungen, fehlendes Konzentrationsvermögen, Erschöpfungszustände, Herzrhythmusstörungen, mangelnde körperliche Belastbarkeit und vieles mehr an physischen und psychischen Problemen sind nur einige der Symptome.

Die Sache endet sicher nicht so schnell bei weltweit anhaltender SARS-CoV-2-Verbreitung. "Die Omikron-Varianten von SARS-CoV-2 wurden mit einem geringeren Risiko für Long Covid in Verbindung gebracht als die Delta- und die Prä-Delta-Varianten. Die Impfstoffe (vor einer Infektion) und antivirale Medikamente (während der Akutphase der Infektion) könnten das Risiko für Long Covid verringern. Aber auch Personen, die nach einer ersten SARS-CoV-2-Infektion kein Long-Covid-Syndrom entwickelt haben, bleiben bei weiteren Infektionen gefährdet", stellten die Fachleute fest. So könne eine Zweitinfektion erstmals zu Long Covid führen oder noch bestehende Symptome verstärken. Zwei Infektionen verursachen nach dem Stand der Wissenschaft ein erhöhtes Risiko, drei Ansteckungen ein noch höheres.

Die, wie die Autoren ausführen, konservativen Schätzungen: Im Jahr 2020 gab es weltweit 65 Millionen Patienten mit Long Covid, kumulativ stieg das im Jahr 2021 auf 211 Millionen Personen mit dieser Erfahrung an. 2022 waren es bereits 337 Millionen Betroffene, im vergangenen Jahr 409 Millionen.

Rund 6 Prozent leiden an Longcovid

Daten aus den USA mit groß angelegten Gesundheitsumfragen in Haushalten und statistische Auswertungen in Großbritannien sprechen eine deutliche Sprache. Die Wissenschafter: "Insgesamt kommt man auf eine geschätzte Häufigkeit (Prävalenz; Anm.) von Long Covid in der Gesamtbevölkerung von um die sechs bis sieben Prozent bei Erwachsenen und von rund einem Prozent bei Kindern."

Auch bei den Ursachen für Long Covid sind die Hintergründe komplex. Andauerndes Vorhandensein des Virus im Körper (vom Immunsystem nicht ausreichend beseitigt), Fehlregulationen des Immunsystems, Defekte der Kraftwerke der Zellen (Mitochondrien-Fehlfunktion), Neigung zu Thrombosen und Entzündungsreaktionen und vieles mehr spielt offenbar eine Rolle. Unterschwellige chronische Entzündungen können Long Covid langfristig aufrechterhalten.

Einfache Lösungen gibt es laut den Fachleuten nicht: Die Vermeidung von Infektionen durch Maskentragen etc. reduziere quasi automatisch auch die Ansteckungsraten und damit auch die Gefahr von Long Covid. "Covid-19-Impfstoffe können teilweise Long Covid bei Erwachsenen um 15 bis 70 Prozent reduzieren. Nicht ganz klar ist, wie stark eine sofortige Behandlung mit antiviralen Medikamenten im Akutfall auch das Long-Covid-Risiko reduziert.

Schwere Diagnose

Die Kritik der Experten: "Ein großer Teil der Long-Covid-Belastung weltweit bleibt ohne Diagnose, besonders in Gesellschaften mit weniger Ressourcen. Fälschlicherweise werden auch oft psychosomatische Ursachen vermutet."

Gesundheitswesen und Gesellschaft insgesamt sollten sich demnach dem Problem intensiv und umfassend widmen. Dafür sprechen auch die wirtschaftlichen Konsequenzen. Al-Aly und seine Co-Autoren: "Laut dem US Brookings Institute waren im Jahr 2022 zwischen zwei bis vier Millionen US-Bürger wegen Long Covid arbeitslos." Betroffene in den USA in Beschäftigung kürzten ihre Arbeitszeit um ein Viertel bis die Hälfte.

Die Berechnungen über die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Long Covid liegen laut dem britischen Think Tank "Economist Impact" im Jahr 2024 für einige große Volkswirtschaften bei zwischen 0,5 bis 2,3 Prozent Bruttonationalprodukt (GDP) minus. Weltweit könne man von einem minus von rund einem Prozent ausgehen.

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