APA - Austria Presse Agentur

Long Covid: Spezialist fordert mehr Aufklärung über Corona-Langzeitfolgen

Der Wiener Neurologe und Long Covid-Spezialist Michael Stingl fordert von der Politik mehr Aufklärung über die teils schweren Langzeitfolgen einer Corona-Infektion.

Es müsse klar gemacht werden, dass man auch bei einer symptomlosen oder harmlos verlaufenden Infektion Long Covid entwickeln könne, sagte er zur APA. Außerdem brauche es eine bessere Versorgung. Seitens des Gesundheitsministeriums betonte man, sich des Problems bewusst zu sein und verwies auf gesetzte Schritte.

Der Neurologe sieht die Politik vor allem darin gefordert, mehr Bewusstsein für Long Covid zu schaffen - es brauche eine "Aufklärungskampagne", sowohl in der Bevölkerung als auch in der Ärzteschaft, so Stingl im Gespräch mit der APA. Die Erkrankung sei in der Diagnose schwierig. In den Symptomen entspreche sie weitgehend der - ebenfalls in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten - Myalgischen Enzephalomyelitis (ME), auch Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) oder ME/CFS genannt.

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Long Covid kann auch nach asymptomatischen Verlauf auftreten

Auch werde beim Begriff Long Covid vieles in einen Topf geworfen. Klargemacht werden müsse, dass es sich dabei nicht nur um Langzeitfolgen nach einem schweren Verlauf (etwa nach einer schweren Lungenentzündung von älteren Personen) handelt. Vielmehr könne Covid auch bei auch symptomlosen oder leichten Verläufen zu anhaltenden Problemen führen, und das auch bei jungen PatientInnen.

Die Symptome seien teils gravierend und können auch zu schweren Einschränkungen der Lebensqualität sowie zur Arbeitsunfähigkeit führen. Stingl sprach vom "vierten G": "Grauslich chronisch krank". Hauptsymptom sei eine massive Einschränkung der Leistungsfähigkeit, schon geringste Anstrengungen können für die Betroffenen zu viel sein.

Laut WHO-Definition ist die Krankheit von Kurzatmigkeit, kognitiven Problemen und Erschöpfung gekennzeichnet. Problematisch bei dieser Definition sei, dass diese Symptome nicht messbar seien, so Stingl. Allerdings gebe es auch einen "klinischen Gradmesser", nämlich Kreislaufprobleme der Betroffenen, die laut aktueller Forschungslage durch Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems hervorgerufen werden.

Bisher vermisse er seitens der Politik eine deutliche Botschaft an die Bevölkerung, dass eine Corona-Infektion überhaupt zu Long Covid führen könne, sagte Stingl. Auch sei es "etwas irritierend, mit welcher Selbstsicherheit behauptet wurde, dass die Impfung Long Covid verhindern wird". Denn laut aktueller Forschungslage werde dadurch nur das Risiko reduziert. "Alle, die sich jetzt anstecken, haben ein gewisses Risiko, dass sie zumindest ein paar Monate krank sind - ob geimpft oder nicht geimpft", man könne es nicht verhindern. Relevant ist dies auch, da die Politik aufgrund der Omikron-Welle von einer breiten Ansteckung von großen Teilen der Bevölkerung ausgeht. Gleichzeitig hob Stingl die Bedeutung der Impfung bei der Bekämpfung der Pandemie hervor - vor allem hinsichtlich der Verhinderung schwerer Verläufe, auch bei der Omikron-Variante.

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Auch verwies der Mediziner darauf, dass die aktuelle Forschung davon ausgeht, dass bei etwa zehn Prozent der Covid-Infektionen Long Covid als Folgeerkrankung auftritt – eine Zahl, die zuletzt auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) neuerlich genannt hat. Laut Stingl würde ein Teil davon für mehrere Monate Probleme haben, "bei vielen wird es auch wieder besser werden", bei manchen aber gar nicht mehr.

"Ich denke schon, dass es eine relevante Information ist – auch wenn es nur sechs Monate sind". Wäre ein Bewusstsein vorhanden, dass Long Covid den Betroffenen "mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit" ein halbes Jahr oder Jahr ihres Lebens kosten könnte, dann würden wohl viele anders agieren, sagte er.

Gefordert sieht Stingl die Politik auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung der Betroffenen. Zwar wurde seitens der ÖGAM (Österreichische Gesellschaft für Allgemeinmedizin) eine Diagnose-Leitlinie erstellt, diese sei aber vor allem bei den Hausärzten noch zu wenig bekannt. Auch brauche es "spezialisierte Zentren", dies müsse größer aufgebaut werden. Nötig seien "vernünftige interdisziplinäre Ambulanzen und nicht nur Stückwerk". Fehlen würde in Österreich letztlich auch das Datenmaterial zur Erkrankung, da es diesbezüglich keine Erhebungen gebe.

Im Gesundheitsministerium signalisierte man auf APA-Anfrage Bewusstsein für die Problematik. "In diesem Bereich passiert gerade einiges. Uns muss klar sein, dass wir vieles über diese heimtückische Krankheit noch nicht wissen, aber wir lernen laufend dazu", sagte Minister Mücksteins in einem schriftlichen Statement zur APA.

"Die Long Covid-Symptomatik ist sehr heterogen und weist unterschiedliche Schweregrade auf. In der Literatur werden über 200 Symptome beschrieben. Somit ist es zielführend, jede betroffene Person entsprechend ihrer individuellen Symptomatik und ihres Behandlungsbedarfs stationär oder ambulant zu betreuen."

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Sein Ressort sei zu diesem Thema bereits seit dem Frühjahr 2021 aktiv. So sei im Rahmen der Zielsteuerung Gesundheit mit den Bundesländern und der Sozialversicherung ein Versorgungspfad erarbeitet und im Oktober beschlossen worden. Die Behandlung von Long Covid-Betroffenen werde vorrangig und niederschwellig von der Primärversorgung wahrgenommen, so Mückstein, der auf die erwähnte S1-Leitlinie der ÖGAM verwies. Diese werde "laufend aktualisiert". Ein geplantes Online-Tool soll sich an Hausärzte richten und diese dabei unterstützen, schneller und strukturierter Symptome von Long Covid zu erkennen und Patienten möglichst effizient zu Diagnose und Behandlung zu führen.

Außerdem widme sich der Oberste Sanitätsrat in einer im Herbst 2021 konstituierten Arbeitsgruppe dem Thema. Auf deren Empfehlung hat Mückstein die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) beauftragt, eine "exakte Problemerfassung inklusive Lückenidentifizierung in der Versorgung" aufzubereiten. Auch werde die GÖG ein Informationspapier für die Bevölkerung erstellen, hieß es aus dem Gesundheitsressort.

Mückstein verwies zudem auf das vom Gesundheitsministerium unterstützte Nonprofit-Projekt "Aufatmen" (http://go.apa.at/apa/SuMgr), das speziell für Long Covid-Betroffene erarbeitet wurde. Mittels Atem- und Musikprogramm sollen Lungensymptome, aber auch die psychischen Symptome wie Angst oder Erschöpfungszustände verbessert werden.