APA - Austria Presse Agentur

Lydia Haiders Todeswünsche in der Volkstheater-Dunkelkammer

Andreas Khol wird "einfach geköpft", André Heller skalpiert, Andreas Gabalier "zum Kuscheln" mit Ratten in einen Sarg genagelt und Peter Handke durch den Fleischwolf gedreht. Thomas Bernhards Skelett wird dagegen fein zerrieben und mit der Schneekanone ins Publikum geschossen. Willkommen in "Zertretung - 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten" von Lydia Haider. Mit ihrem todeswütigen Text wurde am Donnerstag die neue Dunkelkammer des Volkstheaters eröffnet.

Die unter dem Dach gelegene Nebenspielstätte, früher mal unter dem Namen Plafond, mal als "Schwarzer Salon" bespielt, wurde als "Raum für analoge und digitale Experimente", als "Brutstätte, in der Ideen für die Zukunft entstehen" neu eingerichtet. Nun ist daraus eine kleine, schwarz ausgekleidete, mit zwei Reihen rund 50 Zuschauern Platz bietende halbkreisförmige Arena geworden, mit einer leicht schrägen Projektionswand als Bühnenhintergrund und einigen Screens im Halbrund hinter den Zuschauern.

Die Eröffnungsproduktion der Dunkelkammer, zugleich der erste Teil eines Text-Triptychons der neuen Hausautorin (den zweiten soll Claudia Bossard im März 2022 in Szene setzen), hat Direktor Kay Voges als Mischung aus Rezitations- und Videoabend eingerichtet. Evi Kehrstephan, Lavinia Nowak und Claudia Sabitzer treten in schicken Kapuzen-Anoraks mit Masken immer wieder an ein Lesepult und tragen in aller Ruhe die aneinandergereihten Todeswünsche vor, die so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Gregor Bloeb, Thomas Brezina, Peter Schröcksnadel oder Jesus Christus betreffen. Vor dem künstlichen Furor Lydia Haiders, die vom Haus als "eine radikale und sprachgewaltige Stimme der österreichischen Literatur" gefeiert wird, sind alle gleich. Und gleichbleibend unaufgeregt ist auch der Vortragsrhythmus.

Bewegung und Emotion bringen in diesen 75 Minuten alleine der Video Artist Max Hammel und der Game Designer Marvin Kanas ins Spiel. Auf über die Projektionswand wabernden Visuals werden immer wieder die gerade zur Anprangerung aufgerufenen Persönlichkeiten eingeblendet, ehe sie feierlich zu Orgelklängen der ihnen zugedachten Todesart überantwortet werden (Voges selbst wird "sanft die Kehle geöffnet und zum Ausbluten liegen gelassen"). Dann drehen sich jene computergenerierte Figuren mit Monitor-Kopf im Kreis, denen man in Zwischenspielen in künstlichen Landschaften begegnet. Dann heißt es "time to play". Dann trifft der Ego-Writer auf den Ego-Shooter.

Das Publikum, das schon eingangs aufgefordert worden war, "press the big red button to start the show", bekommt in regelmäßigen Abständen eine Videokonsole gereicht und darf Abschießen spielen. Je größer das Gemetzel, das man coram publico auf der Leinwand anrichtet, desto freudiger die Kommentare aus dem Off: "awesome", "nice" oder "bingo". Erstaunlich bereitwillig machen die Zuschauer mit - auch, wenn die Schießbudenfiguren nach Kurz oder Christus aussehen. Gilt für das Publikum die Devise "Schieß' auf alles!", lautet Haiders ausformuliertes Motto "Ich scheiß auf alles". Und das ist letztlich doch recht weit von den angerufenen Vorbildern de Sade, Genet und Artaud entfernt.

Nach 75 Minuten ist das "final level" erreicht, sind verbal etwa auch Martin Ho, Michael Jeannee, Gery Seidl ("ein unlustiges Würschtel"), Otto Schenk und die Band Wanda erledigt. Nur "das ganze Jazzer-Pack" wird "abgewatscht, angebrunzt und fortgejagt", doch am Leben gelassen: "Lebt weiter in Schande!" Es dürfte Zuschauer geben, denen diese verbale Kraftmeierei fürs Erste gereicht hat. Wer aber auf den Geschmack gekommen ist, bekommt schon am Montag einen Nachschlag. Dann lädt Haider zu einer Lesung ins Führerzimmer. Dann heißt es "Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder Zehrung Reiser Rosa". Dazu hat das Haus eine Trigger-Warnung herausgegeben: "Nichts für schwache Ohren!"

(S E R V I C E - "Zertretung - 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten" von Lydia Haider, Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüm: Mona Ulrich, Komposition: Paul Wallfisch, Video Art: Max Hammel, Game Design: Marvin Kanas, Mit: Evi Kehrstephan, Lavinia Nowak und Claudia Sabitzer, Volkstheater Wien, Dunkelkammer, Nächste Vorstellung: 17.10.; Karten: 01 / 52 111-400, www.volkstheater.at)