APA - Austria Presse Agentur

Madrids Reina Sofià Museum erweist Marokko die Ehre

In den vergangenen 70 Jahren ist viel geschehen in Marokko: Koloniale Befreiungskriege, die "bleiernen Jahre" unter König Hassan II., die Arabisierung der Kultur, islamischer Terror, der Arabische Frühling, eine neue Weltoffenheit. Eine aufwühlende Geschichte mit gesellschaftlichen Umwälzungen, die spannende, international aber kaum bekannte Künstlergenerationen hervorbrachte. Das zeigt nun eine Schau im Madrider Reina Sofía Museum.

Die groß angelegte Sonderschau "Marokkanische Trilogie", die bis zum 27. September zu sehen ist, widmet sich der hochpolitischen, religions- und gesellschaftskritischen jüngsten Kunstgeschichte des Landes. Mit mehr als 250 Gemälden, Skulpturen, Installationen, Fotografien, Videoarbeiten, Zeitschriften und Dokumenten von rund 50 marokkanischen Künstlern zeichnet das Museum eine Art Genealogie der modernen marokkanischen Kunstszene der vergangenen 70 Jahre nach.

"Das hat bisher in dieser Dimension noch kein einziges Museum getan, selbst in Marokko nicht", versichert Museumsdirektor Manuel Borja-Villel stolz. Fast vier Jahre lange suchte Borja-Villel zusammen mit Co-Kurator Abdellah Karroum Werke und Künstler aus, um künstlerisch drei wichtige Etappen abzubilden, die die kulturelle, historische und soziale Entwicklung des nordafrikanischen Landes zwischen 1956 und 2020 bestimmten.

Die beiden Kuratoren unterteilen die Ausstellung somit chronologisch in drei historische Perioden, erstellten eine "Marokkanische Trilogie". Erst 1956 erlangte Marokko die volle Unabhängigkeit von Frankreich und Spanien. Der erste Abschnitt (1956-1969) verdeutlicht, wie Marokkos Künstler sich mit den in diese Zeit fallenden zivilen Konflikten und gesellschaftlichen Umwälzzungen beschäftigen. Der Maler Ahmed Amrani inspirierte sich beispielsweise an Goyas "schwarzen Malereien", um die in diese Zeit fallende brutale Unterdrückung des Studentenaufstands von 1965 widerzuspiegeln. Die dunklen, gesichtslosen Schattenmenschen in seinem Gemälde "Protest" lassen keinen Zweifel an der indirekten Kritik gegen die Staatsgewalt.

Die zweite Periode umfasst die sogenannten "bleiernen Jahre" von 1970 bis 1999, die mit dem Tod Hassans II. endeten. Jahrzehnte, in denen der König mit "eiserner Faust" die Kultur arabisierte und marxistische und islamistische Gegner unterdrückte. Die sich gerade erst entwickelnde Presse- und Meinungsfreiheit wurde schnell wieder eingeschränkt. Kritische Blätter wie die Zeitschrift "Souffles" des Dichters Abdellatif Laâbi sowie alternative Festivals und Biennalen außerhalb des etablierten politisch-sozialen Rahmens wurden verboten. Viele regimekritische Künstler gingen in dieser Zeit ins Exil. Mohamed Larbi Rahhali erzählt in seiner autobiografischen Streichholzschachtelinstallation "Mein Leben" auf subtile Weise von jenen Jahren. Der autodidaktische Künstler verdiente sein Geld eigentlich als Fischer. Auf dem Meer dachte er immerzu an jene Freunde und Familienangehörigen, die auf der Flucht vor Armut und Unterdrückung auf dem Seeweg nach Spanien ihr Leben ließen.

Der dritte Ausstellungsteil beschäftigt sich mit den Jahren 2000 bis heute: Marokkos beispielloser technologischen Entwicklung, seiner neuen Weltoffenheit, der Liberalisierung der Medien und dem Aufkommen neuer Künstlergenerationen. Doch auch der jüngste Aufstieg populistischer und islamistischer Parteien, die Terroranschläge in Casablanca im Jahr 2003 und der Arabische Frühling spielen eine Rolle in den Werken zeitgenössischer marokkanischer Künstler. Mounir Fatmi beschäftigt sich in seinen Installationen mit erodierten Ideologien und der Entweihung von Religion. In "Al Jazeera" (2007) stellt er vor allem die "ideologischen Verheißungen" in der Ära des Internets und Massenmedien infrage. André Elbaz zerkleinerte Dutzende Gemälde und stopfte die Papiersplitter in 184 gläserne Totenurnen als Antwort auf die Schrecken islamistischer Attentate.

Die Sonderschau "Marokkanische Trilogie" ist eine einzigartige Gelegenheit, mehr über eine äußerst interessante, international aber kaum bekannte marokkanische Kunstszene zu erfahren. Spanien und Marokko trennt lediglich die 14 Kilometer breite Meerenge von Gibraltar. Über 760.000 Marokkaner leben in Spanien. Die Wirtschaftsbeziehungen zum südlichen Nachbarn sind wichtig. Spanien braucht Marokko im Kampf gegen den islamischen Terrorismus, gegen Drogenschmuggler und die illegale Migration. Die koloniale Vergangenheit Spaniens in Marokko und die bis heute in Marokko existierenden Exklaven Ceuta und Melilla sorgen gleichzeitig immer wieder für Spannungen.

Eigentlich hätte Spanien unendlich viele Gründe, sich mit seinem südlichen Nachbarn zu beschäftigen. Dennoch lebt das Land mit dem Rücken zu Marokko - vor allem kulturell. Damit soll nun Schluss sein, wenn es nach Manuel Borja-Villel ginge. "Marokkanische Trilogien" ist zumindest ein Anfang, mit dem kulturellen Desinteresse an Marokko aufzuräumen.

(S E R V I C E - www.museoreinasofia.es/en)