Maestro Eschenbach: "Musik hat mir Lebensatem eingehaucht"

Christoph Eschenbach freut sich auf seinen 85. Geburtstag
Der große Christoph Eschenbach wird 85 Jahre alt. Am 20. Februar feiert der deutsche Dirigent seinen halbrunden Geburtstag - selbstredend arbeitend, wenn er am Pult der Bamberger Symphoniker unter anderem Bruckner interpretiert. Vor allem aber veröffentlicht der stets feinfühlig formulierende Maestro unter dem Titel "Lebensatem Musik" seine Memoiren. Der Dirigent blickt darin auf ein bewegtes Leben und eine traumatische frühe Kindheit zurück.

Seine Mutter, eine Klavierpädagogin, starb infolge seiner Geburt in Breslau, wenig später kam auch sein Vater, Gegner der Nationalsozialisten, in einem Strafbataillon ums Leben. Christoph Eschenbach wuchs bei seiner Großmutter auf, doch auch diese starb 1945 in einem Flüchtlingslager an Typhus, als er fünf Jahre alt war.

Letztlich überlebte der bereits selbst erkrankte junge Christoph als Einziger der 64 Menschen im Lager - eine apokalyptische Erfahrung, die im Buch eindrücklich geschildert wird. Das dem Tode geweihte Kind rettet letztlich die Cousine seiner Mutter, Wallydore Eschenbach, die es in buchstäblich letzter Minute aus dem Lager holt. "Das war eine starke, mutige Frau, die gekämpft hat", erinnert sich Eschenbach im APA-Gespräch an die für ihn so prägend werdende Wahlmama.

Musik als neue Sprache

Über ein Jahr lang spricht das traumatisierte Kind nicht, hat keine Worte für eine desaströse Wirklichkeit. "Ich hatte die Sprache verloren", erinnert sich Eschenbach an diese Zeit. "Diesen Schutzpanzer hatte ich zumindest für ein Jahr." Doch das Kind hört, wenn die Sängerin und Pianistin Wallydore spielt. Und sein langes Schweigen bricht es, als seine Adoptivmutter es fragt, ob es nicht selbst Klavier spielen wolle. "Ja" ist der erste Stoßseufzer, der Eschenbach in seinen Erinnerungen wieder in die Welt der Sprache zurückholt. "Die Musik hat mir das Leben wiedergegeben nach dieser schweren Kindheit", umschreibt Eschenbach die Rolle des Klangs für sein Sein: "Die Musik hat mir den Lebensatem wieder eingehaucht", paraphrasiert er den Titel seiner Autobiografie.

Die Entscheidung ist der Beginn einer großen Karriere als Pianist, die bereits im zarten Alter anhebt. Christoph lernt bei Wallydore Klavierspielen, gewinnt als Zehnjähriger beim Steinway-Wettbewerb für junge Pianisten den 1. Preis, wird Schüler bei der renommierten Eliza Hansen in Hamburg. Und nicht lange wird es dauern, bis Christoph Eschenbach zu den renommiertesten Musikern seiner Generation gehört. Mit 25 Jahren gewinnt er den Clara-Haskil-Wettbewerb in Luzern - Grundstein für seine internationale Solistenlaufbahn. Diese führte ihn unter anderem regelmäßig nach Salzburg, wo er mit Herbert von Karajan zusammenarbeitete.

Der Wunsch Dirigent zu werden

Zu dieser Zeit sprießt bereits der Keim in Eschenbach, den 1952 ein Konzertbesuch der Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler gelegt hatte. "Dieser Mann hat mich unglaublich beeindruckt, wie er die Musiker inspiriert hat", blickt Eschenbach auf diesen Moment zurück, der 20 Jahre später zu seinem Debüt als Maestro führen wird. Gleich Bruckners 3. Symphonie setzt er für sein Konzert mit den Hamburger Symphonikern aufs Programm - einen musikalischen Berg, der jedoch mitverantwortlich für Eschenbachs Drang zum Pult war. "Ich habe schon als Kind über das Radio Bruckner gehört und war begeistert. Und da er nichts für Klavier geschrieben hat, musste ich ein Orchester dirigieren", erinnert sich der Jubilar im APA-Gespräch. Die Symphonie, die für den Komponisten bei der Uraufführung zum Desaster geriet, befeuert die Karrierewende des Jungmaestros.

Noch 1972 wird Eschenbach Ludwigshafener Generalmusikdirektor, ehe er 1982 das Tonhallen-Orchester Zürich übernimmt. Doch als er diesen Posten 1986 aufgibt, kritisiert ihn sein Förderer Karajan. "Er hat mir damals gesagt: Sie haben einen Fehler gemacht. Sie sind ein Musiker, der etwas aufbauen muss, etwas entwickeln kann." Und für diesen Rat sei er heute noch dankbar, denn dieser Rüffel des großen Mentors trug letztlich zum von der Presse als "Wunder von Houston" apostrophierten Gang in die texanische Ölstadt bei.

Erfolg in Houston

1988 wird Eschenbach innovationsfreudiger Chefdirigent des Houston Symphony Orchestra und bringt die Stadt wieder zurück auf die Landkarte der Musik. Von "Wunder" will Eschenbach dabei nicht sprechen: "Dieses 'Wunder' kann man erklären. Das Orchester war Ende der 80er Jahre finanziell in keinem guten Zustand, hatte aber künstlerisch sehr viel zu bieten." So muss der neue Musikdirektor anfangs schwere Personaleinschnitte hinnehmen, wirft sich aber auch voller Elan in die in den USA so wichtige Sponsorenwerbung. "Und dann wurde es eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit." Diese sollte bis 1999 halten.

Über Amerika steigt Eschenbach in die Spitzenriege der internationalen Pultstars auf. Nach Houston zieht es ihn zum Orchestre de Paris, zum NDR Sinfonieorchester Hamburg, nach Philadelphia oder dem National Symphony Orchestra in Washington, bevor er 2019 das Konzerthausorchester Berlin übernimmt. "Die nationalen Identitäten und ihre verschiedene Herangehensweise an die Musik, das hat mich fasziniert", blickt Eschenbach auf diese Phase zurück.

Zwei Krönungen

Im Herbst 2024 schließlich folgt ein sehr persönlicher Schritt, als Christoph Eschenbach in seiner Geburtsstadt Breslau für fünf Spielzeiten zum künstlerischen Leiter der NFM Breslauer Philharmonie berufen wird. Ein Kreis schließt sich hier gewissermaßen mit einer weiteren Krönung im Leben von Eschenbach, der 2015 die Verleihung des mit 250.000 Euro dotierten Ernst-von-Siemens-Musikpreises, der als Nobelpreis der Musik apostrophierten Ehrung, vorangeht.

Auch am Pult der Wiener Philharmoniker ist Eschenbach immer wieder anzutreffen, so etwa 2014 beim Sommernachtskonzert Schönbrunn. Er interpretiert mit dem heimischen Spitzenorchester aber auch mehrfach Opern, etwa bei der Neuinszenierung von Mozarts "Idomeneo" an der Staatsoper (2014) oder beim Da-Ponte-Zyklus der Salzburger Festspiele in den Jahren der Intendanz Sven-Eric Bechtolf. Einzig das Neujahrskonzert hat Eschenbach noch nicht dirigiert. "Es hat sich einfach nie ergeben", unterstreicht der 84-Jährige gegenüber der APA seine Liebe zur Strauss-Familie. Aber es ist ja auch noch nicht aller Neujahrstage Abend.

Aufhören ist keine Option

Ans Aufhören verschwendet Eschenbach nämlich trotz seines nahenden Geburtstages keinen Gedanken. "Musik ist für mich ein Lebenselixier geblieben. Ich könnte niemals sagen: Ab morgen höre ich auf damit." Ein Gang ins Nichtstun würde wohl auch schlicht nicht passen zu Christoph Eschenbach, der mit seinem rasierten Kopf und dem hochgeschlossenen Hemd mit Stehbund bisweilen wie ein Mönch wirkt.

Laute Töne hören die Musiker von ihm selten - womit sich Eschenbach von seinen zentralen Mentoren Karajan und George Szell fundamental unterscheidet. Dass sich die Ära der Pultautokraten - nicht zuletzt dank der wachsenden Zahl an Frauen an der Spitze - langsam aber doch stetig ihrem Ende zuzuneigen scheint, beurteilt Christoph Eschenbach dabei als fundamental gute Entwicklung: "Ich bin gegen einen Machtanspruch von Dirigenten. Das passt nicht in die Musik und nicht zum Beruf."

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Lebensatem Musik" von Christoph Eschenbach in Zusammenarbeit mit Margarete Zander, Jaron Verlag 2025, 288 Seiten, 24,70 Euro)

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