Mario Wurmitzers Zukunftsroman: "Es könnte schlimmer sein"
Wurmitzer, der sein erstes Jugendbuch mit 18 veröffentlicht und danach Germanistik und Geschichte studiert hat, liebt es, politische Theorie und gesellschaftliche Dystopie zu verbinden. Als er vor fünf Jahren mit "Im Inneren des Klaviers" in der Erwachsenenliteratur debütierte, legte er damit ein politisches Fantasymärchen vor, eine Art Revolutionsparabel mit tyrannischem König und rebellischer Königstochter. Sein Bachmannpreis-Text drehte sich um eine Firma namens "Modern Home", für die der Erzähler unter Videobeobachtung in einer Musterhaussiedlung lebt.
Die in der nahen Zukunft angesiedelte Welt von "Es könnte schlimmer sein" wird von der Firma "Alpha Solutions" dominiert, einem der dominierenden Weltkonzerne mit Niederlassungen in über 80 Ländern und einem Umsatz von über 100 Milliarden Euro. "Das Kerngeschäft von Alpha Solutions war die Entsorgung aller Arten von Abfällen, Altstoffe, Gefahrenstoffe, Sperrmüll und so weiter. Auch die Verwertung unliebsamer Erinnerungen wurde angeboten. Die Tabletten gegen das Erinnern erfreuten sich sowohl bei Privat- als auch Firmenkunden großer Beliebtheit. Sie bildeten den Grundstein für das rasante Wachstum des Konzerns." Willkommen in der "Brave New World".
"Alpha Solutions" wirbt damit, die Firma könne "alles zum Verschwinden bringen". Das gilt auch für Menschen, bei denen die Trennung von Berufs- und Privatleben aufgehoben ist und sektenartige Ergebenheit gegenüber den Firmenzielen und -strukturen gefordert und gefördert wird. Der Konzern kümmert sich um alle Lebensbereiche, von Wohnen, Lektüre und Freizeitgestaltung bis zur Partnerwahl.
Man werde nicht als Mitarbeiter, sondern als Maschinen behandelt, und wenn das Unternehmen aus dem Tod seiner Arbeiter Profit schöpfen könne, würde dies zweifellos ohne Bedenken umgesetzt, hört die im Healthcare-Team arbeitende Ich-Erzählerin Anna in einem von ihr geleiteten Gewaltpräventionsworkshop von einem der jugendlichen Teilnehmer. Solche Gedanken sind nicht frei, sondern Sprengstoff. Sie setzen sich in ihr fest. Sie arbeiten weiter. Und schon bald ist sie gewiss: Viele sind unzufrieden, viele würden gerne anders leben, trauen sich bloß nicht, dies zu sagen und dafür einzutreten. Sie brauchen Ermutigung für den Paradigmenwechsel von "Es könnte schlimmer sein" zu "Es könnte besser sein". So beginnen Revolutionen.
Wurmitzer hat eine Parabel geschrieben, in der er beiden Seiten Raum gibt: Er zeigt das Entstehen und Entwickeln von gesellschaftlichem Unmut, aber auch die Mechanismen der Mächtigen, diesen zu entschärfen. Mal sieht sich Anna hinaufgelobt, mal abgeschoben - etwa in ein Kulturzentrum, in das "Freigeister, Störenfriede, Idealisten, Träumer, Verstoßene, Leute, die Alpha Solutions gerade nicht brauchen konnte", gefahrlos geparkt wurden.
Nicht alles daran, wie Wurmitzer seine Handlung weitertreibt, überzeugt, und dass am Ende auch der Wiener Gesundheitsstadtrat auftritt, verblüfft, und doch trifft "Es könnte schlimmer sein" einiges gut und erzeugt eine Atmosphäre, der man sich bei der Lektüre schwer entziehen kann. Die Bilder, die dabei entstehen, haben die Ästhetik der jüngsten Filme von Jessica Hausner. Was durchaus als Kompliment gemeint ist.
(S E R V I C E - Mario Wurmitzer: "Es könnte schlimmer sein", Luftschacht Verlag, 248 Seiten, 24 Euro, www.mariowurmitzer.at)
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