Martin Horváths Roman "Baroco": KI, Kloster und Kapitalismus

Neuer Roman von Martin Horvath
Ist es eine Aussteigergeschichte? Ein Klosterroman? Ein Wirtschaftsthriller? Ein Gedankenexperiment, wie weit Künstliche Intelligenz in unser Leben eingreifen kann? Oder ein literarisch formulierter Vorschlag zum Umbau des Raubtierkapitalismus? Martin Horváths neuer Roman "Baroco" ist das alles zusammen. Das ist sein Reiz, aber gleichzeitig auch sein Problem. Das Buch ändert auf der Langstrecke von über 400 Seiten mehrfach seine Richtung.

"Meine Damen & Herren, ich hoffe, Sie nehmen das nicht persönlich: Ich habe vor, die Menschheit auszurotten. Ob die gesamte Spezies auf einen Schlag oder jedes Exemplar einzeln: Das bedarf noch weiterer Überlegung." Der 1967 in Wien geborene Musiker und Autor Martin Horváth, der es mitten drinnen auch schafft, eine Empfehlung für seinen 2012 erschienenen Debütroman "Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten" einzubauen ("Ja, das ist ein gutes Buch!"), legt einen überrumpelnden Start hin und bringt schon in den ersten beiden Sätzen jenes Satzzeichen doppelt unter, das in seiner extensiven Verwendung bald zum nervenden Lektürebegleiter wird: den Doppelpunkt. Eine stilistische Marotte, die alle Wendungen des Buches mitmacht. Und gleich zu Beginn stellt sich die Frage: Wer erzählt hier? In der Mitte wird das Geheimnis enthüllt - was hier natürlich nicht geschehen soll.

Geheimnisvolles süditalienisches Kloster

Schauplatz ist ein idyllisches, aber weitgehend verlassenes Dorf in Süditalien, das von einer gemeinnützigen Stiftung wiederbelebt wird. Hier in San Lorenzo Settefrati hat sich eine bunte internationale Community angesiedelt, die sich spielerisch mit unterschiedlichsten neuen Zugängen für die Zukunft auseinandersetzt. Zu seiner Verwunderung hat auch der ehemalige Unternehmensberater Jakob Metzger eine Einladung erhalten und ist sehr angetan von der hier herrschenden kreativen Atmosphäre. Doch er stellt sich so manche Frage, die bald für Unruhe sorgt: Wie finanziert sich die Stiftung, und was sind ihre Ziele? Und was passiert hinter den dicken Mauern des von der Außenwelt abgeschotteten Klosters am oberen Ende des Dorfes?

Das sind viele Fragen für ein Buch, in dem die neugierige Hauptfigur die Freuden des südländischen Lebens ebenso genießt wie die Reize einer Schönheit, die einem Botticelli-Gemälde entstiegen zu sein scheint. Nichts von alledem kann er unbeobachtet und unkommentiert tun, denn nicht nur der Erzähler selbst, auch ein kleiner Kreis von Eingeweihten ist über jeden seiner Schritte bestens informiert. An der Frage, ob man Jakob trauen könne, ob nicht gerade seine Neugierde ihn als Mitarbeiter der hoch geheimen Projekte, die hier ausgeheckt werden, bestens qualifiziere, oder er doch ein Spion oder versteckter Ermittler sei und bald eine Polizei-Eingreiftruppe an die Klostertüren pochen werde, scheiden sich die Geister der "Jakobiner" und der weiter Misstrauischen in der Führungselite.

Robin Hood verwendet Algorithmen

Irgendwann wird klar: Vom Kloster aus wird Großes gesteuert - ein umfassender Angriff gegen die krassen Ungerechtigkeiten des herrschenden Wirtschaftssystems nämlich. Der Robin Hood von heute sitzt nicht mehr in Sherwood Forest, sondern im Kloster, umgeben von fetten Servern und dicken Datenkabeln. Die Waffen, mit denen er eine Umverteilung riesigen Ausmaßes in Angriff nimmt, sind nicht Pfeil und Bogen, sondern Algorithmen. Mit KI lässt sich CARE-Arbeit ganz neu interpretieren (als "Computer Assisted Redistribution" nämlich). Das Motto klingt ehrbar: "Wir nehmen nur, was sie entbehren können, andere aber dringend benötigen." Die Summen, um die es dabei geht, sind allerdings gigantisch.

Martin Horváth bereitet es sichtlich Vergnügen, sich originelle Methoden der unfreiwilligen Umverteilung einfallen zu lassen, und dieses Vergnügen vermittelt sich auch den Lesern. Zumindest solange "Stinky Joe", das virtuelle Stinktier, das mit seinen scharfen Ausscheidungen sorgsam gehütete Daten und Kryptowährungen mit einem Schlag zersetzen kann, nicht plötzlich auch auf deren eigenen Computerbildschirmen erscheint.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Martin Horváth: "Baroco", Kremayr & Scheriau, 440 Seiten, 27 Euro)

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