APA - Austria Presse Agentur

Mathias Rüegg wird 70: Doppel-CD "The Blue Piano" als Finale

59, 60, 70. Das ist kein Zahlenreihe-Fehler, sondern das sind die Zahlen, die für Mathias Rüegg in der kommenden Woche wichtig sind. Bei Lotus Records erscheint eine Doppel-CD mit den Projekten Nummer 59 ("The Blue Piano") und 60 ("The Advantage of Writing Music") des in Wien lebenden Komponisten und Musikers. Am 8. Dezember feiert er seinen 70. Geburtstag mit der Präsentation des Albums in dem von ihm mitgegründeten Jazzclub Porgy & Bess. "Und dann ist es genug", sagt Rüegg.

Der gebürtige Schweizer hat beschlossen, künftig nur noch Auftragsarbeiten zu machen. "Ich will nicht mehr betteln gehen. Die Lage in der Musikszene hat sich dramatisch geändert. Die Gagen sind eingebrochen. Es gibt immer weniger gesellschaftliche Relevanz. Musik ist praktisch nichts mehr wert. Man muss alles selber finanzieren, das Ansuchen um öffentliche Subventionen ist zum Spießrutenlauf geworden. Das macht alles keinen Spaß mehr", klingt er zu Beginn des APA-Interviews sehr bitter. "Aber auf der anderen Seite kann ich sagen: Ich hab die beste aller Zeiten erlebt. Deswegen heißt meine Rede, die ich am 8. Dezember zwischen den beiden Sets halten werde: 'Blick zurück im Nicht-Zorn.'" Hauptverantwortlich dafür ist das "Vienna Art Orchestra", das zwischen 1977 und 2010 Jazzgeschichte geschrieben hat. "Das war mehr oder weniger eine einzige Big Party. Das war außerordentlich für alle Beteiligten. Wir haben die Welt erobert!"

Eigentlich wollte der Zürcher ja "wie jeder Schweizer Künstler nach Paris gehen. Ich bin aber in Graz gelandet". An der dortigen Kunstuni studierte er klassische Komposition und Jazz-Piano und kam mit 24 Jahren nach Wien. "Da war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Trotz aller Weltoffenheit ist er über all' die Jahre Wahl-Wiener geblieben. "Einmal wollte ich nach Paris und das dortige Orchestre National de Jazz übernehmen. Zum Glück wurde daraus nichts."

Seine Liebe zu Wien hat jedoch in der Pandemie-Zeit einen argen Dämpfer erlitten. "Wien hat damals die restriktivsten Coronaregeln in Europa eingeführt. Plötzlich habe ich eine Mischung aus Katholizismus und Nazismus gespürt. Es gab auch in meinem Milieu eine unglaubliche Bereitwilligkeit zum Gehorsam. Das war unerträglich!" Corona-Leugner ist er nicht geworden, schließlich ist er im März ja auch selbst an dem Virus erkrankt ("und zwar relativ ordentlich"), doch bei den Demonstrationen der Maßnahmen-Gegner sei er nach Möglichkeit immer mitgegangen, sagt Rüegg. "Ich habe dort auch viele Bekannte getroffen. Es herrschte ein Geist wie in den 70ern." Natürlich habe es dabei auch Menschen gegeben, deren Anliegen oder Weltanschauung er nicht teile, "aber das ist bei jeder Demonstration so".

Im Lockdown war Mathias Rüegg kreativ. Davon hatten schon seine vor zwei Jahren veröffentlichten "Solitude Diaries" gezeugt, ein Album mit 40 Klavierstücken (31 neuen Kompositionen und neun Arrangements). Mit "The Blue Piano" bringt er nun das mit der oberösterreichischen Sängerin Julia Pallanch 2013 begonnene Kunstlied-Projekt zum Abschluss. Aus Julia Pallanch wurde Lia Pale, aus dem Projekt entstanden vier Alben mit Liedern von Schubert, Schumann, Brahms und Händel. "Ich hab mir gedacht: Was fehlt mir noch?" "Das blaue Klavier", benannt nach Else Lasker-Schülers Gedicht "Mein blaues Klavier", gibt die Antwort: Lied-Eigenkomposition zu Textvorlagen von Dichtern wie Heine, Storm, Rilke, Wilhelm Busch oder Marie von Ebner-Eschenbach. Die 18 Stücke wurden von der heute 14-jährigen Pianistin Soley Blümel, mit der Rüegg schon bei den "Solitude Diaries" zusammengearbeitet hatte ("Sie ist ein ordentliches Kaliber!"), und dem jungen Bariton Benjamin Harasko aufgenommen. Elf davon bearbeitete er zudem für kleines Ensemble und nahm sie mit Lia Pale und Musikern auf. "Original und Bearbeitung aus einer Hand."

Auf der zweiten CD des Doppelalbums sind Soley Blümel und die türkisch-aserbaidschanische Pianistin Sabina Hasanova zu hören. "The Advantage Of Writing Music" bietet großteils neu arrangierte Bearbeitungen von Stücken von Mozart, Liszt und Satie sowie zwei den beiden Pianistinnen zugeeigneten Stücke von Rüegg selbst. "Es macht wahnsinnig viel Spaß für Klavier zu schreiben", sagt er. Mindestens genauso viel Spaß würde es ihm allerdings machen, noch ein großes Stück Musiktheater zu schreiben. Doch Rüegg hat beschlossen, nicht mehr um Aufträge zu kämpfen. "Die Dinge kommen oder kommen nicht." Eines kommt jedoch sicher: das Konzert zum 70. Geburtstag.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "The Blue Piano", Lotus Records; Konzert im Porgy & Bess, Wien 1, Riemergasse 11: Donnerstag, 8. Dezember, 20.30 Uhr, https://www.mathiasrueegg.com/)