APA - Austria Presse Agentur

Minimale Genomänderungen machen SARS-CoV-2 gefährlicher

Kleine Veränderungen im Genom bzw. dem Kernprotein (N-Protein) und den "Spikes" (S-Protein) an der Oberfläche machen Coronaviren krankmachender oder schwächen sie ab.

Die Sterblichkeit von Infizierten mit Symptomen liegt in Deutschland und Österreich bei etwas mehr als vier Prozent, wahrscheinlich darunter. Dies stellten jetzt die Experten des Departments für Virologie der MedUni Wien fest.

Für die Menschheit sind Coronaviren bei weitem nichts Neues. "Mit dem Auftreten des neuen pandemischen SARS-CoV-2 kennt man nun sieben humanpathogene (Krankheits-verursachend; Anm.) Coronaviren, die den Menschen infizieren können. Die sieben humanen Coronaviren (CoV) teilen sich in zwei Gruppen: Zur einen Gruppe gehören die vier Coronaviren HKU1, NL63, OC43, 229E, die relativ milde Symptome verursachen, aber dennoch für 15 bis 29 Prozent aller respiratorischen Infekte im Menschen verantwortlich sind; zur anderen Gruppe zählen die drei Coronaviren, SARS-CoV, MERS-CoV und SARS-CoV-2, und diese drei Vertreter können leider sehr schwere Erkrankungen auslösen", schrieb Irene Görzer in den Virusepidemiologischen Informationen des Departments.

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SARS-CoV verursachte zwischen 2002 bis 2004 mehr als 700 Todesfälle und verschwand wieder völlig. Bei MERS-CoV waren es mehr als 580 Todesopfer. Bei mehr als 500.000 Toten infolge der SARS-CoV-2-Pandemie ergibt sich automatisch die Frage nach der Letalitätsrate der Erkrankungen.

Case Fatality Rate

Die Expertin: "Wie hoch die Letalität einer Infektionskrankheit ist, wird mit der statistischen Maßzahl, dem Fall-Verstorbenen-Anteil (Case Fatality Rate - CFR; Anm.) angegeben und sagt aus, wie wahrscheinlich es ist, infolge der Erkrankung zu versterben. Die Schätzungen zum Fall-Verstorbenen-Anteil für SARS-CoV beträgt neun Prozent, für MERS-CoV 36 Prozent, und für SARS-CoV-2 wird der offizielle Fall-Verstorbenen-Anteil für Deutschland und Österreich auf etwas mehr als vier Prozent geschätzt, es wird jedoch angenommen, dass der tatsächliche Wert aufgrund der Dunkelziffer von asymptomatisch Infizierten um einiges niedriger ist." In einer Mitte Mai von australischen Wissenschaftern publizierten Übersichtsarbeit kamen die Fachleute auf eine Infektions-Letalitätsrate (alle Infektionen mit oder ohne Symptome; Infection Fatality Rate, IFR; Anm.) für SARS-CoV-2 von 0,75 Prozent.

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Die Frage ist natürlich, was die verschiedenen Coronaviren pathogener bzw. weniger gefährlich macht. Vor kurzem sei in der US-Wissenschaftszeitschrift PNAS eine Studie dazu erschienen, schreibt die Virologin. Wissenschafter hatten die Genomsequenzen von sieben Coronaviren - einige mit einem höheren Anteil an Verstorbenen nach Infektion, andere mit niedriger Letalität verglichen. Das ist relativ einfach, weil alle Coronaviren ein RNA-Erbgut aus rund 30.000 Basen und sechs Proteine aufweisen, die in allen Viren vorkommen.

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Mit Methoden der Mustererkennung und des maschinellen Lernens identifizierten die Wissenschafter schließlich elf Bereiche im Coronavirus-Genom, "die nur in der Gruppe mit einem hohen Fall-Verstorbenen-Anteil vorkommen", heißt es in der Virusepidemiologischen Information.

Möglicher Antigen-Faktor S-Protein

Und hier sind es zwei Proteine, die durch das Genom codiert sind, welche offenbar eine Rolle spielen: Das N-Protein, das mit dem Virusgenom einen Komplex bildet, sowie das "Spike"-Protein (S-Protein), mit dem die Erreger an Zellen andocken. Das S-Protein gilt mit seinen Bestandteilen auch als möglicher wichtiger Antigen-Faktor für die Entwicklung von schützenden Impfstoffen.

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Beim N-Protein von "gefährlicheren" Coronaviren spielt offenbar folgender Mechanismus eine Rolle, wie die Expertin feststellt: "Die Genommerkmale, die nur in der hochpathogenen Coronavirus-Gruppe vorkommen, scheinen dazu beizutragen, dass sich das N-Protein in bestimmten Bereichen der Zelle anhäuft, und dies könnte die Pathogenität der Coronaviren wesentlich beeinflussen." Das dürfte zu einer Verstärkung der Virusvermehrung führen, was die Erreger eben fitter für das Überleben macht und die Viruslast bei Infizierten erhöht.

Die Spike-Proteine der Coronaviren werden - vor allem wegen ihren Antigen-Eigenschaften für das Auslösen einer Immunantwort und wegen ihrer Andockfunktion an Zellen - bereits seit langem intensiv erforscht. Ein Teil davon sei für die Bindung des Virus an die Wirtszelle (Rezeptorbindungsdomäne), ein zweiter für das nachfolgende Verschmelzen der Virushülle mit der Zellmembran (Fusionsdomäne) erforderlich. Die Analysen dieser Studie hätten gezeigt, dass vier zusätzliche Aminosäuren (Insertionen) in der Fusionsdomäne des Spike-Proteins in allen drei Coronaviren Vertretern mit einem hohen Fall-Verstorbenen-Anteil vorkommt, aber nie in der anderen Gruppe. Sie dürften also die Pathogenität der Erreger erhöhen. Es gebe auch bereits Hinweise darauf, was es Coronaviren erleichtere, von Tieren auf den Menschen "überzuspringen". Die Forschungen können auch zur Identifizierung von Zielen für neue Arzneimittel auch gegen SARS-CoV-2 hilfreich sein.