APA - Austria Presse Agentur

Musikvereinschef Pauly: Paradigmenwechsel in Klassikbranche

Es ist wohl nicht der Beginn seiner Amtszeit, den sich Stephan Pauly für den Musikverein vorgestellt hat. Seit 1. Juli ist der 48-jährige Deutsche Nachfolger von Langzeithausherr Thomas Angyan - und musst sich zunächst um ein Corona-Präventionskonzept für den Klassiktempel kümmern. Dennoch zeigt sich der Musikmanager optimistisch.

Mit der APA sprach Pauly über das Konzerterlebnis in Virenzeiten, die finanziellen Belastungen für den Musikverein und die Frage, welche Wunde in der neuen Saison im Haus klaffen wird.

APA: Ende September startet nun tatsächlich die Saison im Musikverein. Wie sehr wird der Besuch des Musikvereins noch der Vor-Corona-Zeit gleichen?

Stephan Pauly: Das Konzerterlebnis ist sehr nahe an dem, was man aus der Vor-Coronazeit kannte. Der Umstand, dass man weniger Menschen im Saal hat, es keine Pausen gibt und die Konzerte dadurch kürzer sind, trübt das Erlebnis nicht. Und wir selbst sind alle enthusiastisch, dass es jetzt wieder endlich Konzerte gibt und die anstrengenden Wochen der Erstellung von Präventionskonzepten erfreulicherweise hinter uns liegen.

APA: Wie sehen die Eckpunkte der Corona-Spielzeit aus?

Pauly: Wir haben uns sehr gerne der Initiative von Bundestheater-Holding-Geschäftsführer Christian Kircher angeschlossen, bei der alle großen Kulturinstitutionen Wiens gemeinsam ein umfangreiches Präventionskonzept erarbeitet haben, das dann für die einzelnen Häuser adaptiert wurde. Bei uns gibt es, wie gesagt, keine Pausen, weshalb ein paar Programmpunkte geändert werden mussten, weil sie von der Größe her nicht gingen - eine "Alpensinfonie" von Strauss können sie derzeit einfach nicht spielen. Es wird überdies ein Einbahnstraßen-Wegeleitsystem durchs Haus geben, und es gilt die gesetzliche Maskenpflicht, ab 1. Oktober auch während des Konzerts. Davor geben wir nur eine Empfehlung ab, sie auch während des Konzertes zu tragen.

APA: Bezüglich der Belegung wird es auch im Musikverein einen dynamischen Saalplan geben?

Pauly: Genau - wir belegen unsere Säle also so, dass wir die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Wenn wir den Goldenen Saal hernehmen, können wir hier von 2.000 Sitzplätzen im besten Fall 1.100 bis 1.200 Plätze belegen. Daher hat die ab kommenden Montag geltende neue maximale Zahl von 1.500 Besuchern für Indoor-Veranstaltungen für uns auch keine Auswirkung.

APA: Die Stehplätze sind hingegen gestrichen?

Pauly: Leider, weil der Stehplatz eigentlich zur Identität unseres Hauses gehört. Da klafft eine offene Wunde. Aber derzeit ist es nicht möglich. Wir bestuhlen diesen Bereich auch nicht, sondern nutzen ihn zur Wegeleitung durch das Haus.

APA: Sollte die Corona-Ampel in Wien eines Tages auf Orange springen, wären nur mehr 250 Personen im Goldenen Saal zugelassen. Sperren Sie dann das Haus zu?

Pauly: Formulieren wir es zunächst einmal positiv: Bei Grün und Gelb sind wir in der Lage, unser gesamte Musikprogramm im Herbst durchzuführen - und wir können unser komplettes Abonnement realisieren, gleichsam das Rückgrat unserer Institution. Da wir viele der großen Konzerte doppelt spielen, können wir aber auch den Einzelkartenverkauf gewohnt beibehalten. Und selbst bei Orange können wir zumindest das gesamte Kinder- und Jugendprogramm sowie alle Vorhaben in den Neuen Sälen sowie vieles im Brahms-Saal realisieren. Im Goldenen Saal muss man sich dann hingegen jedes Konzert einzeln ansehen. Klar ist: Orange wird zu massiven Problemen führen. Viele der großen Konzerte werden schlicht und einfach mit 250 Tickets nicht mehr finanzierbar sein.

APA: Welchen Vorlauf würden Sie benötigen, um die dann verkauften, aber "überschüssigen" Tickets rückabzuwickeln?

Pauly: Ein dickes Lob an der Stelle für unser Kartenbüro, das sich auf all diese möglichen Krisenszenarien vorbereitet! Für uns ist hier wichtig, dass die Politik die Klarheit schafft, ab wann die Bedingungen einer neuen Ampelfarbe gelten, wenn die am Freitag bekanntgegeben wird. Klar ist: Wir bräuchten Vorlaufzeit, weil Tausende Tickets übers Wochenende rückabgewickelt werden müssten.

APA: Angesichts all dieser Parameter stellt sich selbstredend die Kostenfrage. Ihr Amtsvorgänger Thomas Angyan hat bis Ende Juni von 2,8 Mio. Euro Nettoverlust gesprochen. Ist das für die neue Spielzeit hochzurechnen?

Pauly: Nein. Wir rechnen in verschiedenen Szenarien, aber es gibt so viele Variablen, dass es unmöglich ist genau abzuschätzen, welche Schäden konkret entstehen. Wie entwickelt sich die Pandemie? Wie reagiert die Politik? Welche Reiseeinschränkungen gibt es für internationale Orchester? Wir haben es in der Klassikbranche mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Früher wäre schon unser Spielplan 2022/23 weitgehend fixiert gewesen. Im Moment gibt es aber nur mehr die Kurzfristigkeit: Wir können nur auf Sicht fahren. Wir machen keinen Blindflug, aber Nebel herrscht schon.

APA: Und dennoch zeichnen Sie ja im Musikverein auch für die Finanzen verantwortlich. Wie können Sie den absehbaren Verlusten begegnen?

Pauly: Da sind einerseits die bisherigen Hilfstools des Staates: Kurzarbeit, Umsatzsteuerreduktion und die Hilfszahlungen aus dem Fonds für Non-Profit-Unternehmen. Das adressiert aber nur die Kostenseite - nicht die fehlenden Einnahmen, die uns als Haus mit nur 2 Prozent Subventionen besonders trifft. Hierüber sind wir mit der öffentlichen Hand im Gespräch.

APA: Wie steht es um die Buchungslage? Sind die Menschen ob der Pandemie zurückhaltender?

Pauly: Wir haben das Glück, dass sich die Abonnenten bei uns wirklich zu Hause fühlen. Das hat dazu geführt, dass wir bei den Abobuchungen selbst im März und April keine großen Rückgänge zu verzeichnen hatten. Und derzeit ist die Buchungslage gut, allerdings wäre es noch etwas zu früh, hier eine Prognose abzugeben, denn klar ist, dass die Menschen Tickets kurzfristiger kaufen.

APA: Sie hatten bei Ihrer Vorstellung von "organischer Veränderung" des Musikvereins gesprochen. Wird Ihnen die Revolution nun durch die Umstände gleichsam aufgedrängt?

Pauly: Die Gesellschaft der Musikfreunde ist eine Institution, die nach wie vor in höchster Blüte steht. Da braucht es keiner Verbesserung oder Revolution. Aber natürlich müssen wir uns auch der Frage stellen, wie wir in die Zukunft gehen. Deshalb wird es eine Reihe von Ansätzen geben, die Bestehendes ergänzen, in neuem Licht zeigen. Aber das werde ich erst im Frühjahr mit der Vorstellung meiner ersten eigenen Spielzeit präsentieren. Klar ist: Hier gibt es nicht die eine Antwort, sondern eine Vielzahl von Ansätzen.

APA: Gehören dazu etwa auch neue Formate anstelle klassischer Konzerte, wie Sie sie in Frankfurt eingeführt haben? Oder ist der Goldene Saal in dieser Hinsicht für Sie sakrosankt?

Pauly: Die künstlerische Planung für mich als Intendant bedeutet, mich auf ein Haus, seine Geschichte und seine Ausstrahlung voll einzulassen. Da geht es nicht nur darum, welche Ideen ich habe, sondern vor allem um die Frage: Wie kann sich die Gesellschaft der Musikfreunde am besten der Zukunft stellen. Ziel ist ein Profil, bei dem klar wird, dass es nur hier im Musikverein stattfinden kann. Da geht es nicht um Eitelkeit, sondern um ein Bewusstsein der internationalen Ausstrahlung, aber auch der Rolle, die wir für und in Wien spielen.

APA: Ihr Vorgänger Thomas Angyan hat den Musikverein mit dem Bau der vier Neuen Säle massiv erweitert. Haben Sie etwas Vergleichbares auf der Agenda?

Pauly: Bau- oder Expansionsvorhaben habe ich keine. Der Musikverein bietet wunderbare Möglichkeiten für alle denkbaren Formate. Wir sind da gesegnet mit Arbeitsmöglichkeiten.

APA: Bei allen Varianten, die dieses Haus bietet: Ist die große Tradition, mit der Sie sich konfrontiert sehen, bisweilen auch ein Albdruck?

Pauly: Im Gegenteil: Das ist eine Fülle, mit der wir umgehen dürfen! Die Tradition dieses Hauses ist ein Schatz. An anderen Orten ist die Musik zu Gast, hier ist sie zu Hause, hat der große Andras Schiff einmal gesagt. Und das trifft es. Das im Rücken zu wissen, ist keine Last, sondern ein Geschenk.