Nehammer trifft Amtskollegen Akhannouch in Marokko

Gespräche über Migration und bilaterale Beziehungen
Anlässlich des 240. Jahrestags der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen Marokkos mit Wien ist Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montag als erster österreichischer Bundeskanzler ins nordafrikanische Land gereist. Mit dem marokkanischen Premierminister Aziz Akhannouch und Außenminister Nasser Bourita sprach Nehammer am Dienstag über eine Stärkung der bilateralen Beziehungen und den Kampf gegen die illegale Migration.

"Die Asylzahlen zeigen klar: Es gibt eine gefährliche Vermischung von Asyl und Migration aus sicheren Herkunftsländern wie Marokko. Wir müssen daher die Asylbremse weiter anziehen und beim Thema Rückführungen mehr Tempo machen", sagte der Kanzler nach Angaben seiner Sprecherin in Marokko. Konsequente Asylpolitik müsse auch durch Abschiebung von negativ beschiedenen Asylwerbern durchgesetzt werden.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), der Nehammer nach Marokko begleitete, trifft am Dienstag seinen marokkanischen Amtskollegen, um über die Verbesserung der Rückkehrkooperation zu sprechen. Ziel sei auch eine gemeinsame politische Erklärung der Regierungschefs dazu. Vorbild könnte das Migrations- und Mobilitätsabkommen sein, das Österreich kürzlich mit Indien geschlossen hat. Indien ist demnach bereit, illegal eingewanderte Inder aus Österreich zurückzunehmen. Dafür soll es erleichterte Einreise- und Arbeitsmöglichkeiten für hoch qualifizierte indische Arbeitskräfte geben.

Marokko zählt zu jenen Staaten, mit denen die Europäische Union seit Jahren erfolglos über ein Rückübernahmeabkommen für abgelehnte Asylwerber verhandelt. Österreich ist laut Bundeskanzleramt auf Platz 1 der Zielländer von marokkanischen Staatsbürgern innerhalb der EU. 2022 wurden demnach innerhalb der EU rund 22.000 Asylanträge aus Marokko verzeichnet, 39 Prozent davon in Österreich (8.470 Anträge). Sie gelangen offenbar über die Türkei, die Marokkanern eine visafreie Einreise ermöglicht, und die sogenannte Balkanroute nach Österreich. Die meisten reisen weiter - laut Medienangaben meist nach Deutschland, Frankreich oder Spanien. Nur wenige hundert sind in der österreichischen Grundversorgung.

Begleitet wird Nehammer außerdem von Außenamts-Generalsekretär Peter Launsky-Tieffenthal und einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation. Am Mittwochnachmittag ist ein Betriebsbesuch bei der österreichischen Firma Hirschmann Automotives geplant. Das Unternehmen stellt in Marokko elektronische Bauteile für die Automobilindustrie her und beschäftigt mehr als 2.000 Mitarbeiter vor Ort.

"Neben sicherheitspolitischen Fragen ist Marokko gerade auch für wirtschaftliche Kooperation ein wichtiger Partner mit viel Potenzial", sagte Nehammer nach Angaben seiner Sprecherin. "Darüber hinaus wird Marokko in der Frage der Energieversorgung der Zukunft in Bezug auf Wasserstoff künftig immer wichtiger werden." In Marokko entsteht derzeit außerdem ein riesiges Sonnen- und Windkraftwerk, das über ein Untersee-Stromkabel mit Großbritannien verbunden werden soll, um dort ab dem Jahr 2030 den Energiebedarf von sieben Millionen Haushalten zu decken.

Die österreichischen Exporte nach Marokko stiegen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 37,7 Prozent und erreichten 179,9 Mio. Euro. Das Handelsvolumen betrug in dem Jahr 366,4 Mio. Euro. Marokko ist das erste Land, das mit der EU eine Absichtserklärung über eine "Grüne Partnerschaft" unterzeichnet hat. Dabei geht es um Klima- und Energiefragen, Umwelt inklusive marine und maritime Fragen sowie die Grüne Wirtschaft. Diese Initiative solle auch Modellpartnerschaft für weitere Kooperationen mit afrikanischen Staaten werden.

"Nordafrika ist ein wichtiger geostrategischer Partner der Europäischen Union", betonte Nehammer. "Österreich setzt sich als Brückenbauer für eine Stärkung der Zusammenarbeit auf allen Ebenen ein."

Österreich gehört zu den ersten Ländern, mit denen Marokko formell diplomatische Beziehungen aufgenommen hat. Vor 240 Jahren, am 28. Februar 1783, hatten Marokko und das Habsburgerreich diese aufgenommen, indem Mohamed Ben Abdelmalek als Botschafter des damaligen Sultans Moulay Mohamed III. sein Beglaubigungsschreiben an Kaiser Joseph II. in Wien überreichte. Es folgte ein Freundschaftsvertrag, der unter anderem Handelserleichterungen vorsah. 1829 kam es aber zu kriegerischen Auseinandersetzungen, als die österreichische Kriegsmarine die Kaperung eines Handelsschiffes mit den Bombardements von drei marokkanischen Handelshäfen beantwortete. Ende des 19. Jahrhunderts beteiligte sich Österreich-Ungarn an der europäischen Großmachtpolitik in Marokko, das zum Protektorat Frankreichs und Spaniens geworden war. Im Zweiten Weltkrieg kämpften zahlreiche Marokkaner in den Einheiten der französischen Armee für die Befreiung Österreichs und waren dann auch Teil der Besatzungstruppen in Tirol und Vorarlberg.

Die französische Bevormundung konnte Marokko erst Mitte der 1950er Jahre abschütteln. Seit Mitte der 1960er Jahre ist Österreich wieder mit einem Botschafter in Rabat vertreten. Marokko eröffnete 1981 eine Botschaft in Wien. Rund 200 Auslandsösterreicher leben in Marokko. Besucht wir das Land auch durch mehrere Tausend österreichische Touristen im Jahr.

Einst selbst Opfer von Kolonialherrschaft, hatte sich Marokko Mitte der 1970er-Jahre die von den spanischen Kolonialherren verlassene Westsahara einverleibt. Bemühungen der Vereinten Nationen, dem saharauischen Volk die Selbstbestimmung zu ermöglichen, verlaufen seit Jahrzehnten im Sande.

Seine internationale Stellung konnte Marokko in den vergangenen Jahren festigen, indem es 2020 volle diplomatische Beziehungen mit dem Staat Israel aufnahm. Dem Regime von König Mohammed VI. wird indes vorgeworfen, zu wenig für die Armutsbekämpfung im Land zu tun. Im Westen ist der seit dem Jahr 1999 autoritär herrschende Monarch wohlgelitten, weil er gegen islamischen Fundamentalismus auftritt und sich auch als Partner im Kampf gegen illegale Migrationsströme offeriert.

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