"Wenn ihr mir vorwerft, die Armut in Österreich wird immer größer, die Menschen haben immer weniger Geld, wieso erhöht sich dann die Teilzeitquote nicht?'" Mit diesen Worten begann Kanzler Karl Nehammer eine Ansprache in einem Weinkeller im Vorfeld der Salzburger Festspiele.
Das Video von dieser Ansprache erreichte am Mittwochabend (27. September) die Aufmerksamkeit sozialer Netzwerke, und sorgte sofort für massive Empörung. Doch was hat der Bundeskanzler eigentlich in diesem Video gesagt?
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Nehammers "weinseliges Impulsreferat" in Hallein
"Sozi-Freunde", oder auch "linke Freunde" seien für ihn Euphemismen. "Könnt euch vorstellen, das sind keine Freunde", amüsiert er seine Zuhörerschaft vor seiner Ansprache. Bundeskanzler Nehammer hielt ein "weinseliges Impulsreferat", wie es FPÖ-Obmann Herbert Kickl in einer Presseaussendung bezeichnet hatte. Die Menschen würden laut Nehammer zu wenig arbeiten, Teilzeitquoten würden auch bei Frauen ohne Betreuungspflichten nicht ansteigen, wieso nicht? Das Regierungsoberhaupt zeigt sich sichtlich empört über die mediale Berichterstattung seiner Arbeit.
"Weil wenn ich zu wenig Geld habe, geh’ ich mehr arbeiten. Weil dann muss ich mehr Geld haben!" So oder so ähnlich einfach stellt sich Nehammer das Leben von Menschen an der Armutsgrenze vor. Auch passe ihm nicht, dass Medien schreiben würden "Ein Kind in Österreich kriegt keine warme Mahlzeit." Hier sieht er das Problem bei den Eltern. Er empfiehlt hier einen Hamburger von McDonalds für 1,40 Euro, mit Pommes dazu sei man bei 3,50 Euro.
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"So schaut die linke Welt aus"
"So und jetzt behauptete irgendeiner ernsthaft, dass Eltern ihrem Kind dieses Essen nicht leisten können", führt er das Thema Essen fort. Jahrelange Forderungen von Eltern und Erziehungsberechtigten nach niederschwelligen Angeboten zu kostengünstiger Nahrung und gesundem Essen in der Schule seien für ihn ein Weg in die Staatswirtschaft á la DDR. Er bekräftigt nochmals: "So schaut die linke Welt aus, das ist unser Problem. Aber da führt es auch hin! Wir müssen mehr als wachsam sein!"
Im weiteren Videoverlauf spricht er über den sehr hohen Lebensstandard in Österreich, geschmacklose Witze über das AMS aus dem Publikum tut er gekonnt ab. "Wir leben in einem der besten Länder Europas, wir stehen nach Luxemburg in der Frage, wie es den Menschen geht. Wir haben die Kaufkraft erhalten, sogar inflationsbereinigt um 0,9 Prozent im Plus, vs. andere Länder im Minus. Ich kann das hundertmal erzählen, aber es ist jedem Wurscht, jeder sagt 'Ich hab weniger Geld.'"
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So schaut Nehammers Welt aus
In Nehammers Welt hingegen sind die ärmsten Menschen in diesem System die Unternehmer:innen. Diese müssten sich nämlich mit unnötiger Bürokratie wegen der Rot-Weiß-Rot-Karte ihrer Mitarbeiter:innen herumschlagen, oder seien gezwungen Arbeitsverweigerung zu melden. Nehammer würde gerne Gesetze für die Unternehmerschaft einbringen, jedoch würden ihn Verfassung und andere Gesetze daran hindern, Sozialpartner aus politischen Verhandlungen zu kicken. Besonders Gewerkschaften und die Arbeiterkammer stünden ihm dabei im Weg.
k.at Meinung: Ja Herr Bundeskanzler, für den allergrößten Teil der Menschen in Österreich zählen eben keine Statistiken oder wirtschaftspolitische Errungenschaften im Vergleich mit anderen Ländern. Für sie zählt, ob sie gesund genug sind, zu arbeiten, genug arbeiten um zu essen, und genug essen und um zu schlafen. Um Gesundheit zu garantieren, muss man wiederum Arbeit haben, viele in Armut haben nicht einmal den Zugang dazu. Dass in Österreich die wenigsten Menschen erfrieren oder verhungern ist ein Fakt – dass es aber zu viele Leute gibt, die zu oft zu nah dran sind aber ebenso!
Auch meine Familie hat an der Armutsgrenze gelebt – und doch hat es fast niemand gemerkt. Mit solchen Aussagen wie im Video fördert man nur mehr Scham, die Leute oft daran hindert, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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Reaktionen aus der Politik
Solche realitätsfernen Aussagen bleiben natürlich auch von Kolleg:innen aus der Politik nicht unkommentiert. Herbert Kickl etwa schrieb in einer Presseaussendung: "Immer dann, wenn Nehammer glaubt, unter Seinesgleichen zu sein, bricht bei ihm diese Mentalität durch, die man aus der Führungsmannschaft der ÖVP nur allzu gut kennt – Stichwort Pöbel! Ein Politiker, der derart empathielos, abgehoben, eiskalt und eine derartige Verachtung für die armutsgeplagten Menschen an den Tag legt, ist für den Job als Bundeskanzler ungeeignet." Er fügt noch hinzu: "Was wir auf diesem Video sehen, ist eines Kanzlers unwürdig. Wäre Leopold Figl noch am Leben, würde er sich zu Tode genieren."
„1,3 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet – mehr als ein Fünftel davon sind Kinder bis 17 Jahre. Ihnen haben die ÖVP und ihr Obmann Nehammer gestern einmal mehr ihr wahres Gesicht und ihre Verachtung gezeigt“, zeigt sich Michael Kögl, Bundesvorsitzender der Jungen Generation in der SPÖ, empört.
Zum Thema Frauenarbeit fügt Kögl hinzu: "„Viele Frauen finden gar keinen Vollzeitjob, weil Unternehmen sie nur Teilzeit anstellen wollen und es keine entsprechenden Kinderbildungsplätze und Betreuungsangebote gibt und sie daher gar nicht mehr arbeiten können. Ihnen zu sagen, sie sollen einfach auf Vollzeit aufstocken, damit ihnen mehr Geld zum Leben bleibt, ist an Zynismus nicht zu überbieten."
Der Bundeskanzler äußert sich zum Video
"Hast du schon die Diskussion in Social Media um ein Video von mir gesehen?" Mit diesen Worten eröffnet Kanzler Karl Nehammer eine Videobotschaft, in der sich der Bundeskanzler an das Volk richtet. Er stehe zu den Aussagen im Video, "dass Leistung sich lohnen muss". Er führt weiter aus: "Ich kann dir sagen, wir arbeiten gerade für dieses Land, und die anderen sind offenbar schon in 'Wahlkampfmodus'." Doch auch eine "Erklärung" wie diese besänftigt die unzähligen, erzürnten Mütter und Nicht-Unternehmer:innen, die das Video gesehen haben.
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Das Video vom Bundeskanzler hat sehr hohe Wellen geschlagen, fast überall wurde es gepostet, besprochen und oft auch verhöhnt. Auch Burger King Österreich reagierte darauf mit einem passenden Marketing-Gag und einer "1+1-Aktion": "Hey Karl, du warst wohl schon lange nicht mehr bei Burger King... was N' hammer Preis!"