APA - Austria Presse Agentur

Netflix-Serie "Kitz" liefert Partys und angekratzte Seelen

In "Kitz" prallen zwei Welten aufeinander: Einerseits ist da die Münchner Schickeria um die 19-jährige Vanessa, die jedes Jahr ins winterliche Kitzbühel einfällt, andererseits die ortsansässige Lisi mit ihren Freunden, die wenig mit dem Trubel anfangen kann. Die neue deutsche Netflix-Serie (ab 30. Dezember) bietet aber weit mehr als exzessive Partys und eine schillernde Oberfläche. "Man sollte ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen", fasst es Valerie Huber zusammen.

Sie ist in dem sechsteiligen Format als Vanessa zu erleben: Ein Instagram-Model aus reicher Familie, das wie ein Superstar die eigene Silvesterparty betritt. Ihr gilt auch die ganze Aufmerksamkeit von Lisi (Sofie Eifertinger), ist doch ihr Bruder Joseph ein Jahr zuvor bei einem Autounfall gestorben. Zu jenem Zeitpunkt hatte er ein Verhältnis mit Vanessa, weshalb Lisi auch die Schuld bei ihr sieht - und auf Rache aus ist.

Gut und Böse sind also klar verteilt? Nicht ganz, denn die Serie der Showrunner Vitus Reinbold und Nikolaus Schulz-Dornburg versucht durchaus vielschichtige Charaktere zu bieten. "Auch Vanessa macht eine tolle Entwicklung durch", nickt Huber im APA-Interview. "Das wünscht sich doch jede Schauspielerin, dass sie verschiedene Seiten zeigen kann. Zunächst ist es eben diese oberflächliche Art, die man sieht. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt! Diese Fassade bröckelt nämlich Stück für Stück, dann erkennt man die Abgründe. Hinter diesem Glamour steckt eine total verletzliche, fragile Person."

Was sich auch zeigt, als ihr Freund Dominik (Bless Amada) der so plötzlich ins Leben der Clique tretenden Lisi näher kommt. Er steht außerdem familiär unter dem Druck seiner getrennt lebenden Eltern. "Eigentlich sollte er seine Zukunft planen", umreißt Amada seine Rolle, "was im Gegensatz zu Dominiks wirklichen Bedürfnissen steht. 'Kitz' erzählt viel in Bezug auf die Familien aller Figuren und wie es ihnen tatsächlich geht", fasst Amada, der seit Herbst Ensemblemitglied am Burgtheater ist, weiter zusammen.

Für Huber ist ganz zentral, dass in "Kitz" sozialkritische Themen vorkommen. "Es geht um soziale Ungerechtigkeit oder die Problematik mit Social Media. Und natürlich noch der Aspekt der Gentrifizierung in Kitzbühel. Es ist nicht die typische Glitz-und-Glamour-Serie. Ich finde es wichtig, dass das angesprochen wird." Dabei wird zwar auch mit Klischees hantiert, doch dienen diese großteils dazu, die Geschichte voranzutreiben. "Ich habe bei Vanessa etwa gelernt, dass man Leute nicht verurteilen sollte. Man denkt, die haben keine Probleme, weil sie aus reichem Haus kommen, weil sie alle Möglichkeiten haben. Aber da steckt mehr dahinter", so Huber. "Was natürlich nicht bedeutet, dass ich ihre Probleme mit jenen der Ärmeren gleichstellen möchte. Aber jeder hat in seiner Blase seine Themen, da sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen."

Für alle Charaktere - neben den bisher genannten gehören noch Zoran Pingel und Ben Felipe zum Hauptcast - geht es letztlich darum, wo sie mit ihrem Leben hinwollen. Vanessa steht unter ständiger medialer Beobachtung, Dominik vor einer wichtigen Studienwahl, und Lisi hat nach dem Tod ihres Bruders die Modeschule in London sausen lassen. "Viele von uns wissen nach der Schule längst noch nicht, wo es für sie weitergehen kann", betont Amada. "Sie spüren die Wichtigkeit der bevorstehenden Entscheidungen. Das fremdbestimmte gedrängt Werden ist, was viele so unglücklich macht. Sie wollen ihren Weg selbst wählen dürfen. Ich mag an der Serie diesen Aspekt der Selbstbestimmung. Dass sie hier für sich selber entscheiden, für sich selber einstehen und sagen: Das ist der Weg, den ich gehen möchte."

Welch extremen Auswirkungen Social Media wiederum haben kann, zeigt sich bei Vanessa. "Das ist wirklich ein Riesenproblem unserer Generation: sich selbst zu finden und seine Rolle in der Gesellschaft. Durch Social Media haben wir einen Druck, erfolgreich zu sein und uns dauernd zu vergleichen. Wir haben das Gefühl, dass jede Sekunde etwas Besseres um die Ecke kommen könnte", findet Huber deutliche Worte. "Niemand will einen normalen Beruf ergreifen, weil dir auf Social Media gezeigt wird, dass du durch Bilder posten auch Geld verdienen kannst. Das ist doch absurd!"

Noch problematischer sei aber die vermeintliche Vorbildwirkung. "Gerade junge Mädels vergleichen sich mit den dort vorherrschenden Schönheitsidealen", betont Huber. "Mit diesen perfekt gemachten Frauen. Das ist so gefährlich, weil sich diese Mädels, die teils unter 18 sind, dann unters Messer legen. Daher müssen in Zukunft unbedingt Maßnahmen gesetzt werden, das zu regulieren. Die Schönheitsindustrie nutzt letztendlich die Unsicherheit von Frauen aus."

Zurück zu "Kitz": Was sicher vielen heimischen Zusehern auffallen wird, ist die Sprache. Huber ist nämlich die einzige Österreicherin im Hauptcast - "und ich spiele eine Münchnerin", lacht die Schauspielerin. "Witzigerweise war ich anfangs sogar für die Rolle der Lisi beim Casting. Man macht sich, denke ich, immer Gedanken über Authentizität und Dialekte und so weiter. Es gibt ja immer wieder Stimmen die sagen: 'Warum spricht der ein oder andere Schauspieler nicht genau den Akzent der entsprechenden Region?'" Letztlich sei es eine Entscheidung der Macher gewesen, wohl auch mit Blick auf den gesamten deutschsprachigen Markt. "Es ist einheitlicher und macht deshalb Sinn. Außerdem sind wir ja Schauspieler. Es ist unsere Aufgabe, in diese Rollen hineinzufinden."

Wer hingegen die Darstellung der High Society als überzogen empfindet, für den hat Valerie Huber eine klare Ansage: "Wer in Kitzbühel war, weiß vielleicht: Das gibt es wirklich!", lacht die Schauspielerin. Und im Endeffekt geht es in "Kitz" ohnehin um persönliche Schicksale, die sich gut übertragen lassen - ganz unabhängig vom Handlungsort. In Kombination mit einem sehr spielfreudigen Ensemble, tollen Bildern und einem knackigen Soundtrack kann die von Netflix als "Young Adult Mystery-Drama" beworbene Serie jedenfalls überzeugen.

(S E R V I C E - www.netflix.com/title/81180561)