APA - Austria Presse Agentur

Neue "Digital Benin Plattform" mit 5.246 Objekten

Seit etlichen Jahren sorgen in kolonialen Zusammenhängen geraubte und in Sammlungen auf der ganzen Welt verstreute Kunstwerke aus dem ehemaligen Königreich Benin in Westafrika für politische Diskussionen. Nun gibt es erstmals eine genaue Grundlage, über was dabei geredet wird: 5.246 Objekte aus 131 Institutionen in 20 Ländern versammelt die neue "Digital Benin Plattform", die am Mittwoch in Hamburg vorgestellt wird. "Vergleichbares gibt es nirgends sonst", sagt Jonathan Fine.

Fine ist Direktor des Weltmuseum Wien und Mitglied des Projektleitungsteams dieser in dreijähriger Arbeit mit einer 1,5 Mio. Euro großen Projektfinanzierung der Ernst von Siemens Kunststiftung gestalteten Website, die buchstäblich alle Stückln spielt. "Billig war's nicht", gesteht er im Gespräch mit der APA ein. "Aber das ist jetzt DAS Tool für die Zukunft." Für alle künftigen Restitutionsverhandlungen, für die Forschung, aber auch für die künftige Museumsarbeit in Benin City (Nigeria) wird das von Experten auf der ganzen Welt erarbeitete und durch Vernetzung von Bestandskatalogen zusammengetragene digitale Material die Referenz bilden.

Alle Objekte sind beschrieben und fotografisch dokumentiert. Nicht nur ihre genaue Herkunft und ihr gegenwärtiger Standort sind dabei erfasst, sondern auch die Wege dazwischen. "Damit ist es zum ersten Mal möglich, die Provenienz-Netzwerke zu untersuchen", sagt Fine. Welche Rolle welche Händler dabei gespielt haben, den Raubzug britischer Truppen im späten 19. Jahrhundert in den globalen Kunstmarkt einzubringen, lässt sich nun nachvollziehen.

Umfangreich und mit modernen Medien werden auf der "Digital Benin Plattform" in Text, Bild, Grafik und Video auch die kunst- und kulturhistorischen Hintergründe dargestellt. Die Artefakte dienten ursprünglich als königliche Repräsentationskunst, zur Darstellung historischer Ereignisse, zur Kommunikation, zur Verehrung und zur Durchführung von Ritualen. Der historische Kontext wird ausführlich erklärt - inklusive eines grundlegenden Edo-sprachlichen Katalogs, einer Karte des Benin-Königreichs sowie einer eindrucksvollen Oral History Abteilung mit vielen Video-Interviews mit Forschern, Kulturschaffenden oder Stammesmitgliedern aus Westafrika. "Das ist ziemlich cool", begeistert sich Fine bei der Vorführung der Möglichkeiten der Website.

In den Bemühungen, das reiche künstlerische Erbe des Königreich Benin zu sichern und das koloniale Unrecht aufzuarbeiten, hat Wien immer schon eine große Rolle gespielt. Barbara Plankensteiner, die heutige Direktorin des Hamburger Museums am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt (MARKK), wo die morgige Pressekonferenz stattfinden wird, war Vizedirektorin, Chefkuratorin und Leiterin der Abteilung Afrika südlich der Sahara des Weltmuseums in Wien und engagierte sich wie ihr aus Berlin nach Wien gewechselter Kollege Jonathan Fine von Anfang an in der Benin Dialogue Group.

Mit einem Klick lassen sich nun auch die Benin-Bestände in Museen auf der ganzen Welt erfassen. Mit 944 Objekten weit an der Spitze steht das British Museum, gefolgt vom Berliner Ethnologischen Museum (518 Objekte). Mit 202 ausgewiesenen Benin-Objekten liegt das Weltmuseum Wien mit der Größe seines Bestandes nur knapp hinter dem National Museum in Benin selbst. Aus diesem Grund hat Österreich zu Jahresbeginn ein internationales und interdisziplinäres Gremium eingerichtet, das Richtlinien im Umgang mit im Besitz von Bundesmuseen befindlichen Objekten aus kolonialen Kontexten und das Vorgehen bei Rückgabeforderungen erarbeiten soll.

Das Gremium habe sehr produktiv gearbeitet und nach einigen digitalen Treffen Anfang September auch erstmals eine analoge Arbeitssitzung abgehalten, erzählt Fine, der den Vorsitz übernommen hat. Der Zeitpunkt hatte sich allerdings als unglücklich gewählt herausgestellt, da parallel dazu der Kulturverein AFRIEUROTEXT Österreich ein Symposium zur Frage der Restitution aus afrikanischer Sicht veranstaltete. "Das ist komplett blöd gelaufen", ärgert sich Fine über diese Terminkollision, die keinesfalls eine Arroganz der Institutionen ausdrücke, sondern zeige, dass man mit der Community viel stärker kommunizieren müsse. Durch eine Programmumstellung sei es immerhin möglich gewesen, gegen Ende auch dort präsent zu sein.

Das "Hexenwerk" bei den künftigen Gesprächen werde es sein, "alle Gruppen ins Gespräch zu bringen", denn auch bei der Frage von künftigen Rückgaben stehe man nicht vor bilateralen Situationen, sondern müsse auf beiden Seiten neben den staatlichen Stellen auch die jeweiligen Communities miteinbeziehen - "und jede dieser Stimmen hat eine etwas andere Perspektive".

Einigkeit herrsche jedoch, dass es wie in anderen Bereichen auch im Fall der Benin-Objekte jeweils konkret begründete Restitutions-Forderungen brauche. Objektive Grundlagen dafür würden erarbeitet. Die Ergebnisse und Empfehlungen des breit aufgesetzten Prozesses sollen von dem neunköpfigen Gremium im Frühjahr 2023 vorgelegt werden. Noch in diesem Jahr will man sich mit einigen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit wenden. Denn das wichtigste sei, so fasst Jonathan Fine zusammen: "Wir haben nichts zu verbergen."

(S E R V I C E - https://digitalbenin.org/)