Nibelungenplatz Tulln: Großer Parkplatz wird Grünoase
"Es war ein Platz für Autos und nicht für Menschen. Er hatte keinerlei Aufenthaltsqualität", blickte der Tullner Bürgermeister Peter Eisenschenk (ÖVP) im Gespräch mit der APA zurück. Mehr als 80 Prozent der Fläche war versiegelt, sodass Regenwasser nicht versickern konnte und sich der Asphalt im Sommer extrem aufheizte. Nun werden für möglichst viel natürliche Beschattung große Bäume nach dem Schwammstadt-Prinzip gesetzt. Dadurch soll viel Niederschlagswasser gespeichert werden. Nach der Fertiggestellung werden 71 Prozent der Gesamtfläche versickerungsoffen sein (etwa Grünfläche und Kies) und weitere 23 Prozent versickerungsfähig (Pflaster). Lediglich sechs Prozent des Areals bleiben nicht versickerungsfähig - dabei handelt es sich um Fahrbahnen und Feuerwehrzufahrten.
"Das Projekt ist einzigartig in Österreich", erklärte Eisenschenk. Herzstück des Vorhabens soll der Klostergarten hinter dem Minoritenkloster werden - mit einem "Blütenfeuerwerk" und "Paradies für Nützlinge", kündigte die Stadtgemeinde an. Die ausgewählten Pflanzen seien optimal an den Klimawandel angepasst. Abkühlung bei geringstem Wasserverbrauch soll ein Nebelspiel mit verschiedenen "Choreografien" bieten. Die Möblierung soll zum Entspannen, aber auch zu mobiler Arbeit im Grünen einladen. Vorgesehen sind u.a. auch E-Bike-Ladestationen.
Bisher standen am Nibelungenplatz 211 Stellflächen zur Verfügung, der Großteil davon kostenlose Dauerstellplätze. Künftig sind 54 Kurzparkplätze geplant. Dass Stellflächen wegfallen, stieß auch auf Kritik. Eisenschenk bezeichnete es als einen "gewagten Schritt, Parkplätze zu opfern".
"Wenn Städte weiterhin lebenswert bleiben wollen, müssen sie sich an den Klimawandel anpassen", betonte Tanja Tötzer, Expertin für klimaresiliente Stadtentwicklung am AIT Austrian Institute Of Technology. Städte und Gemeinden müssten darauf reagieren, dass es "mehr, längere und intensivere Hitzewellen" geben werde, erklärte Simon Tschannett, Geschäftsführer von Weatherpark, Vorstandsmitglied des Climate Change Centre Austria (CCCA) und Obmann des Vereins KlimaKonkret. Auch Starkregenereignisse nehmen zu, was zu lokalen Überflutungen führen kann.
"Wir haben das Klima radikal geändert und brauchen nun radikale Maßnahmen, um darauf zu reagieren", betonte Tschannett. Kosmetische Schritte wie das Pflanzen eines Baumes würden nicht reichen. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen laut den beiden Fachleuten Beschattung, Begrünung und Kaltluft, um nächtliche Hitzeinseln abzuschwächen, sowie Entsiegelung. Bei letzterem besteht laut Tötzer "extrem viel Potenzial, was große Parkplatzflächen angeht". Bei Projekten gelte es, nicht nur optische Aspekte, sondern auch das Mikroklima - etwa Luft- oder Oberflächentemperatur - zu berücksichtigen. Die Umgestaltung des Nibelungenplatzes bezeichnete die Forscherin als "Leuchtturmprojekt" und einen ersten Schritt, um Bewusstsein zu schaffen.
Dem Spatenstich am 2. Mai am Nibelungenplatz war ein umfassender Bürgerbeteiligungsprozess in der Stadt mit knapp 19.000 Einwohnern vorausgegangen, in einer Volksbefragung 2021 hatten 59,44 Prozent für die größte der drei zur Wahl stehenden Varianten für die Umgestaltung gestimmt. Der Gewinner-Entwurf wurde in Folge von einer Jury gekürt. Das Projekt wird rund fünf Millionen Euro kosten, ein Teil davon wird gefördert.
Die Beweggründe für die Umgestaltung waren laut Eisenschenk vielfältig: Ganz oben stehe die klima- und umweltpolitische Agenda der Stadt. Die graue Fläche bildete einen "extremen Kontrast" zum Grün an der Donaulände. "Mit der Umgestaltung werden wir dem Ruf der Gartenhauptstadt Österreichs auch in der Innenstadt gerecht", sagte der Bürgermeister. Weiters sollen Radtouristen, die bisher vorbeifuhren, zu einem Aufenthalt in Tulln animiert werden.
Maßnahmen zur Klimaanpassung seien kein "Nice to have", sondern die wesentliche Aufgabe von Kommunen bestehe darin, für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bürger zu sorgen, betonte Tschannett. Angesichts der gesundheitlichen Folgen von Hitze handle es sich für viele um eine "Überlebensfrage". Allerdings hat Klimawandelanpassung für Kommunen "noch nicht oberste Priorität", sagte Tötzer. Die Sensibilisierung für das Thema ist jedoch gestiegen. Mehrere größere Städte - darunter seit kurzem auch St. Pölten - haben etwa eine Stadtklimaanalyse in Auftrag gegeben. "Bestehende Strukturen sind gefordert und überfordert", sagte Tschannett. Zwar brauche nicht jede Gemeinde einen "Dorfklimatologen", aber es seien entsprechende Experten in Regionen oder für mehrere Gemeinden zusammen nötig - oder eine Unterstützung der Gemeinden durch Fachabteilungen der Länder.
Klimaanpassung müsse Hand in Hand mit Klimaschutz gehen, hielt Tschannett fest. Gleichzeitig sieht der Meteorologe und Stadtklimatologe Bund und Land in der Pflicht. Es brauche mehr Budget und Maßnahmen zur Klimaanpassung müssten auch in den Finanzausgleichsverhandlungen stärker berücksichtigt werden, forderte er.
In Tulln sei die Umgestaltung des Nibelungenplatzes kein Einzelprojekt, sondern "Teil eines Ganzen", betonte Eisenschenk. So hat das 2019 beschlossene Klimamanifest etwa zum Ziel, dass die Stadtverwaltung bis 2025 klimaneutral werden soll. "Das ist de facto jetzt schon erreicht", sagte der Bürgermeister. Bis 2040 soll die gesamte Stadt klimaneutral sein. Die Neugestaltung des Areals bildet auch ein Projekt im Rahmen der parteiübergreifenden Initiative "Stadt des Miteinanders". "Die größte Freude wird entstehen, wenn ich sehe, dass die Menschen diesen Platz genießen", sagte Eisenschenk.
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