APA - Austria Presse Agentur

"Nobadi": Markovics packt die große Welt in kleinen Raum

Es ist die große Welt im kleinsten Raum, die Karl Markovics aufspannt. In seiner dritten Regiearbeit "Nobadi" lässt der Filmemacher einen alten Nazi und einen jungen Geflüchteten in einem Kammerspiel aufeinandertreffen, das als Malstrom ins Verderben führt. Samstagabend feierte das ambitionierte Werk seine Weltpremiere beim Filmfestival von Toronto, bevor es am 4. Oktober im Kino startet.

Wie schon bei seinen Vorgängerprojekten "Atmen" und "Superwelt", hat Markovics auch das Drehbuch verfasst, wobei er diesesmal zwei Gegensätze aufeinanderprallen lässt, die einander so fern wie nur irgendmöglich scheinen. Im Zentrum steht der 90-jährige Heinrich Senft (Heinrich Trixner), der in seiner Gartenlaube auf der Schmelz lebt und dessen Hund soeben verstorben ist. Und der am Arm seine SS-Blutgruppentätowierung hat. Als er daran scheitert, für seinen letzten Begleiter eine Grube im Garten auszuheben, engagiert er für miserable drei Euro die Stunde den jungen Afghanen Adib Ghubar (Borhanulddin Hassan Zadeh in seiner ersten Filmrolle), der ihn um Arbeit anhaut. "Was kostest Du?", lautet die ein Menschenbild verratende Frage.

So weit, so bekannt scheint diese Begegnung. Doch auf die Hierarchie des Schwarzarbeitsverhältnisses folgt der Bruch, als der ruppige Senft seinen jungen Helfer am Abend fiebernd an der Bushaltestelle findet. Er bringt den Unversicherten in seiner Not zu seiner Tierärztin, die sich jedoch als unfähig erklärt, dem Geflüchteten mit seiner eitrigen Wunde am Fuß zu helfen - und von Senft ermordet wird. Die beiden Männer flüchten zurück in den Schrebergarten. Der Alte ist sicher, dass die einzige Möglichkeit, dem Jungen das Leben zu retten, die Amputation seines Beines ist.

Das Reizvolle wie das Irritierende an Markovics' Inszenierung ist, dass sie zwischen der beinahe naturalistischen Sozialstudie zweier Männer aus verschiedenen Welten und dem Charakter einer rein symbolbeladenen Parabel changiert - und das nicht immer friktionsfrei. Die beiden Charaktere, die über weite Strecken das Werk alleine tragen, bleiben doch stets Archetypen, ungreifbar als Persönlichkeiten. Der eine hat die Zukunft hinter sich, der andere wohl keine mehr vor sich.

Es geht um Schuld und die Suche nach Erlösung, zwei Antipoden, die zunächst im starren Gut und Böse aufeinandertreffen, eine schematische Struktur, die allerdings im Fortgang der Erzählung aufweicht. Beide waren im Lager, und beide tragen Tätowierungen. Der eine von der SS, ein Trauma, das er sublimiert in sein Verhältnis zum Geflüchteten. Der andere hat "Nobadi" am Arm stehen - seinen Rufnamen im NATO-Militärlager in Afghanistan, wo er als Übersetzer gearbeitet hat. So entledigen sich die Soldaten der Verantwortung, sollte einer der einheimischen Helfer zu Tode kommen: "Nobody has died".

Markovics will mit seinem Werk das Kondensat eines Zeitpanoptikums schaffen, das auf den Umgang der westlichen Welt mit der Migrationsbewegung und die verdrängte Nazivergangenheit reflektiert. Dies wird relativ nüchtern, beinahe kühl durchexerziert, voller Versatzstücke der abendländischen Symbolik wie der Odyssee, verdrängter Schuld, die ausgegraben wird, mit Wurzelwerk, das sich verkeilt. Eine Irrfahrt der Menschheit, die auch in einer etwas orientierungslosen Regie mündet, der man das Wollen bisweilen allzu deutlich anmerkt.

Am Ende zwingt Markovics den Zuschauer zum Hinsehen ungeachtet aller Brutalität auf der Leinwand, indem er Adib während der Amputation seine Geschichte auf Dari mit Untertiteln erzählen lässt. Auch das eine symbolhafte Entscheidung des Filmemachers. Wegschauen gilt nicht.

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