APA - Austria Presse Agentur

Oberammergauer Passionsspiele scharren in den Startlöchern

Die Gewänder hängen seit zwei Jahren fertig hinter der Bühne. Gedeckte Farben, erdig, unaufdringlich. Laut, energisch und unüberhörbar aber soll Jesus sein bei dieser Passion in Oberammergau. Spielleiter Christian Stückl kann in diesen Zeiten keinen sanften Christus brauchen. Am 14. Mai ist Premiere - endlich. Schon 2020 hätte es die Passion geben sollen, da kam Corona dazwischen. Stückl verschob um zwei Jahre.

Täglich wird jetzt geprobt, seit ein paar Tagen auch in Kostümen. 30 Gewänder für Darsteller des Volkes fehlten noch. Deshalb ratterten in der Schneiderei noch einmal die Nähmaschinen. Nach der zweijährigen Coronapause hatten die Schneiderinnen bereits manches Gewand anpassen müssen - vor allem Jugendliche waren teils herausgewachsen. Insgesamt 2.100 der rund 5.200 Einwohner Oberammergaus wirken an der traditionsreichen Aufführung mit. Dazu Schafe, Ziegen, zwei Pferde, Hühner, Tauben, dazu ein Esel und zwei Kamele. Die gewöhnen sich seit ein paar Wochen in Oberammergau ein.

"Es ist praktisch alles fertig", sagt Frederik Mayet, Pressesprecher der Passion, der zugleich zum zweiten Mal den Jesus spielt. "Der Text sitzt, manchmal geht es noch um die Einsätze." Die erste Kreuzigung hat Mayet schon überstanden: In einem schwarz-lila Klettergurt hängt er dabei am Holzkreuz, die Füße auf Brettchen.

Seit Stückl, sichtlich bewegt, 2020 die Premiere absagte, hat sich die Welt deutlich verändert - mit Pandemie, Klimakrise, Krieg in der Ukraine, wachsender Armut und Hunger. Noch stärker als bei früheren Passionsspielen will er dieses Mal die Lebensgeschichte von Jesus in den Vordergrund rücken. Seine zentrale Fragestellung: "Wie passt dieser Jesus in unsere Zeit?" Dabei geht es dem 60-Jährigen nicht vordergründig um konkrete Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine oder die Coronakrise. "Wir haben permanent Krieg", sagte er kürzlich bei einer Probe und erinnerte an Syrien. Die Welt sei seit Jahren in Bewegung.

Seit einem Pestgelübde 1633 bringen die Oberammergauer alle zehn Jahre das Spiel vom Leben, Leiden und von der Auferstehung Jesu als monumentales Epos auf die Bühne. Zum vierten Mal inszeniert Stückl. Er hat das fast 400 Jahre alte Laienspiel dabei grundlegend modernisiert. Er hat Frauen darin mehr Gewicht und Gleichberechtigung gegeben und das Spiel von christlichen Anti-Judaismen befreit. Er lässt Jesus Sätze auf Hebräisch sprechen: Jesus war Jude, bei seiner Kreuzigung ging es um innerjüdische Konflikte.

Stückl hat die Bibel zum Theaterstück geformt. Alle Jesus-Worte finden sich in der Heiligen Schrift. Bei anderen Figuren nimmt sich der Spielleiter mehr Freiraum, fügt auch mal einen erklärenden Satz ein. Den Prolog hat Stückl gestrichen: Früher gab es zwischen den Szenen eine Art Erklärer, nun sollen sie für sich sprechen. Ein größeres Gewicht als bisher will Stückl dem Volk geben, auch bei den alttestamentlichen Szenen in den sogenannten lebenden Bildern. Eines zeigt die Flucht der aus ihrem Land vertriebenen Israeliten mit ihrer Sehnsucht nach Befreiung, ein Bild von brennender Aktualität.

Die Inszenierung bleibt, wenngleich nicht unbedingt historisch genau, eng an der Geschichte. Die Kostüme erinnern an frühere Jahrhunderte, ebenso die Haartracht. Auf den Straßen des oberbayerischen Ortes ist zu sehen, dass es auf das Schauspiel zugeht. Wallende Haare und Bärte prägen das Bild. Alle Mitspieler bis auf Römer und Engel müssen seit Aschermittwoch 2021 die Haare wachsen lassen - obwohl nicht belegt ist, ob vor 2.000 Jahren wirklich lange Haare und Bärte Mode waren. Die Bärte fallen bei manchem ein bisschen weniger üppig aus als sonst. Wegen Corona hat Stückl das Rasierverbot gelockert - mit Bart sitzt die FFP2-Maske nicht so gut.

Kostüm- und Bühnenbildner Stefan Hageneier hat die Bühne zu einer weitläufigen Tempelanlage umgebaut. Dieses politische und religiöse Zentrum Jerusalems bildet den Spielort während des gesamten Stücks. Es beginnt mit biblischen Schlüsselszenen aus dem Alten und Neuen Testament: die Vertreibung aus dem Paradies, dann der Einzug Jesu in Jerusalem, wie in der Bibel beschrieben auf einem echten Esel. Bis 2. Oktober gut 100 Vorstellungen geplant. Erstmals übernehmen zwei Oberammergauer muslimischen Glaubens Hauptrollen. Für den Theatermann Stückl, der auch Intendant des Münchner Volkstheaters ist, zählt - das hat er stets betont - nicht die Religion, sondern das schauspielerische Talent.

Die Sorgen, dass die Premiere noch einmal an Corona scheitern könnte, schwinden langsam. Vor den Proben werden aber weiter alle Spieler getestet - ein erheblicher logistischer Aufwand gerade bei den Proben zu den Volksszenen mit bis zu 600 Leuten. Der Intendant will kein Risiko eingehen. Viele Senioren um die 80 stehen auf der Bühne, darunter Stückls Vater, der dieses Mal den Hohepriester Annas gibt. Die älteste Mitspielerin geht auf die 100 zu - und manche haben zehn Passionen mitgemacht, von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter. Die Passion: Das ist für viele Oberammergauer eine Passion.