APA - Austria Presse Agentur

Österreicher halten Armut für gepachtet

Die Einkommensschere in den OECD-Ländern geht immer weiter auf, hält die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer aktuellen Studie fest. Überall in den 38 Mitgliedstaaten mache sich die Mehrheit der Menschen Sorgen über eine zu große wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sowie einen Mangel an Aufstiegschancen im eigenen Land. Besonders pessimistisch sind der Erhebung zufolge die Österreicher und die Deutschen.

In diesen beiden Ländern halten es der Studie namens "Does Inequality Matter?" zufolge viele Menschen für "besonders schwierig, aus der Armut der eigenen Familie auszubrechen". Die Schweiz hingegen bewege sich diesbezüglich im Mittelfeld. Über sämtliche Mitgliedsländer hinweg empfinden 80 Prozent der Befragten die Einkommensungleichheit in ihrem Land als zu groß.

Generell habe sich die Einkommenskluft in den vergangenen drei Jahrzehnten auch tatsächlich vergrößert, hielt die internationale Organisation fest. Die soziale Mobilität stagniere in vielen OECD-Ländern. Ende der 1980er- bzw. Anfang der 1990er-Jahre schätzten die Befragten, dass ein Spitzenverdiener im Schnitt fünfmal so viel verdiene wie ein Geringverdiener. Aktuellen Zahlen zufolge glauben Menschen heute laut OECD, dass das Einkommen von Spitzenverdienern im Schnitt achtmal höher ist.

Inwieweit die empfundene Einkommensungleichheit mit der tatsächlichen übereinstimmt, wird in der Studie durchleuchtet. Die Ungleichheit wird laut OECD tendenziell in jenen Ländern als größer und steigend empfunden, in denen auch die gemessene Einkommensungleichheit höher und gestiegen ist.

In Österreich hingegen - ebenso wie in Belgien, Kanada und Griechenland - werde die Einkommensverteilung zugunsten der Reichen als größer wahrgenommen, als sie in Wahrheit ist. Die tiefe Sorge verzerrt also die tatsächlichen Gegebenheiten ins Negative. Hierzulande sind Befragte auch besonders pessimistisch in Bezug auf die Mobilität zwischen den Generationen: Sie gehen davon aus, dass fast zwei Drittel (64 Prozent) der Kinder aus den zehn Prozent der ärmsten Haushalte auch als Erwachsene noch zu den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung gehören werden. In Deutschland liegt der Wert bei 60 Prozent und in der Schweiz bei 56 Prozent, also im OECD-Schnitt.

Fast drei Viertel (71 Prozent) der Befragten in OECD-Ländern sehen ihre Regierung in der Pflicht, über Steuern und Sozialleistungen dafür zu sorgen, dass sich die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich verringert - in Österreich sind 73 Prozent dieser Meinung, in Deutschland 65 Prozent und in der Schweiz 57 Prozent.

Die Ursache für Armut wird in den Ländern höchst unterschiedlich eingeschätzt. In Österreich sind nur 6 Prozent der Befragten der Ansicht, dass diese oft selbstverschuldet ist, in Deutschland sind es nur 4 Prozent. In Polen hingegen glaubten das 2018, also vor der Coronapandemie, noch 25 Prozent, dass Armut eine Folge mangelnder Anstrengung ist und weniger mit Ungerechtigkeit oder Pech zu tun hat. Entsprechend forderten in Polen weit weniger Menschen eine stärkere progressive Besteuerung (54 Prozent) als in Österreich (71 Prozent) und in Deutschland (77 Prozent). Für die Schweiz liegen laut OECD keine Vergleichsdaten vor.

"Auffällig ist auch eine zunehmende Polarisierung in den Ansichten der Menschen über die Ungleichheiten in ihrem Land - selbst innerhalb von Gruppen mit ähnlichen sozioökonomischen Merkmalen, wie Einkommen oder Bildungsstand", betonte die Organisation. In den meisten OECD-Ländern sei in den vergangenen 30 Jahren die Kluft zwischen jenen gewachsen, die die Ungleichheit als eher hoch empfinden, und jenen, die sie als eher gering empfinden. Diese Polarisierung zeige sich am stärksten in den Ländern mit der größten gemessenen Ungleichheit, darunter den USA, Mexiko und Chile.