Österreichischer Staatspreis 2023 an Gerd Kühr überreicht
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) übergab die mit 30.000 Euro dotierte, höchste Auszeichnung der Republik für ein künstlerisch herausragendes Lebenswerk und nannte Kühr einen "großen Künstler", einen "Beschreiter neuer Pfade". Das erwies sich auch im Musikprogramm der Ehrung, an der auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) teilnahm. Mitglieder des Klangforum Wien spielten ausgewählte Werke des Ausgezeichneten, wie die auf Elias Canettis Porträtsammlung "Der Ohrenzeuge" aufbauenden "acht musikalischen Gesten für Violoncello und Klavier" (1993) oder "Come una pastorale" für Klarinette, Violine und Violoncello (2008/9).
Kühr sei in erster Linie Musikdramatiker
Der österreichische Musikwissenschafter Werner Grünzweig, Leiter des das Werk Kührs betreuenden Musikarchivs der Akademie der Künste Berlin, wies als Laudator darauf hin, dass Kühr in erster Linie Musikdramatiker sei und die Kammermusik bei ihm eine untergeordnete Rolle spiele, wünschte sich jedoch weitere Aufführungen von Kührs Opern in Opernhäusern, die Gegenwartsmusik leider sträflich vernachlässigten. Preise wie dieser könnten "nur ein erster Schritt sein. Weitere Schritte sollten folgen!"
Vor allem aber betonte der Laudator die "starke Weltzugewandtheit" des Komponisten. "Bei Kühr sehe ich den Versuch, das Politische und das Künstlerische gleichermaßen zu gestalten." Sein Musiktheater beleuchte die jüngste Vergangenheit, "um unsere Gesellschaft und ihre Veränderungen zu verstehen".
"Vielfalt ist mein Lebensprinzip."
Gerd Kühr zitierte in seiner Dankesrede Karl Kraus ("Künstler ist nur einer, der aus Lösungen Rätsel machen kann.") und bekannte: "Vielfalt ist mein Lebensprinzip." Am liebsten würde er Kunst und Leben ganzheitlich sehen. Wenn sich Kunst nicht im weitesten Sinne politisch verstehe, werde sie dekorativ, ersetzbar und verliere letztlich ihren Sinn. Er wolle eine Gesellschaft, "die neugierig auf Neues und Fremdes ist. - Visionen und Utopien: Dafür sollten wir künstlerisch Tätige uns zuständig fühlen", sagte Kühr, der unterstrich: "Differenzierung ist einer, wenn nicht DER Hauptbegriff meiner musikalischen Poetik."
Der am 28. Dezember 1952 in Kärnten geborene Preisträger absolvierte sein Kompositions- und Dirigierstudium am Mozarteum Salzburg und in Köln. Auf eine Gastprofessur am Mozarteum (1992 bis 1994) folgte ein Ruf nach Graz, wo er 1995 ordentlicher Universitätsprofessor für Komposition und Musiktheorie wurde. Über seine Grazer Lehrtätigkeit äußerte sich Kühr außerordentlich positiv.
Gerd Kühr gelang der internationale Durchbruch 1988 mit seiner Oper "Stallerhof" nach einem Libretto von Franz Xaver Kroetz als Auftragswerk der Münchener Biennale. Zu seinen weiteren Opern zählen "Tod und Teufel" (1997/99) nach einem Libretto von Peter Turrini, "Agleia Federweiß" (Libretto: Petra Ernst) und "Paradiese", für dessen Libretto Hans-Ulrich Treichel verantwortlich zeichnete und das 2021 an der Oper Leipzig uraufgeführt wurde. Bei den Salzburger Festspielen 2000 wurde Kühr mit zwei Porträtkonzerten in der Reihe "Next Generation" gewürdigt. Später gab es u.a. 2003 eine Personale bei der styriarte und 2005 das Gerd-Kühr-Projekt im Rahmen des steirischen herbstes. Im Rahmen der Coronapandemie ließ Gerd Kühr mit seiner speziell zur Aufführung im Internet konzipierten "Corona-Meditation" aufhorchen.
Kührs Orchesterwerke
Zu Kührs Orchesterwerken zählen die ORF-Auftragswerke "Lamento e Conforto" (1983), "Concertare" (1990/91) und "Linie Punkt Fläche Raum" (2004/07), "Movimenti" (2004/06) für Violine und Orchester als Auftragswerk des Wiener Mozartjahres 2006 oder "Palimpsest" (1989/90), Musik für Mezzosopran, Bariton, Chor und Orchester auf Gedichte von Erika Burkart und Georg Trakl als Auftragswerk der Stadt Zürich. Er steuerte auch Musik zur Proust-Verfilmung "Eine Liebe von Swann" von Volker Schlöndorff bei. Als Dirigent leitete Kühr zahlreiche Konzerte und Opernaufführungen u.a. in Österreich, Italien, Deutschland, Russland und Guatemala sowie Rundfunkproduktionen u.a. in Wien, Köln, München, London, Paris, Rom, Moskau und Hongkong.
Der aus 21 Mitgliedern bestehende Österreichische Kunstsenat, der jährlich ohne festgelegtes Rotationsprinzip innerhalb der Sparten Literatur, Musik, Bildende Kunst und Architektur eine Nominierung vornimmt, hatte seine Wahl so begründet: "Seine Werke offenbaren stets eine Persönlichkeit, die in ihrer großen Sensibilität und Offenheit eine Bindung an Tradition zum Ausdruck bringt, ohne je traditionalistisch zu werden, ist sein Blick doch auch immer auf neues Terrain, wenig begangene Pfade gerichtet. Mit seinem exzellenten kompositorischen Handwerk eines ausführenden Musikers sind seine Werke auch Ausdruck einer großen Unabhängigkeit und Freiheit." Kürzer fasste sich heute Musikvereinsintendant Stephan Pauly und nannte Kühr "einen der prägenden österreichischen Komponisten unserer Zeit".
Die eineinhalb Feierstunden auf der "paradiesische Insel" Gläsernen Saal beschloss ein Streichquartett Kührs: "Con Sordino" (1995/96) erklang ungeheuer zart und verklang in der Stille - ehe tosender Applaus einsetzte.
(S E R V I C E - www.gerd-kuehr.at)
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