APA - Austria Presse Agentur

Osteuropas Wirtschaft 2020 leicht angeschlagen, Erholung zäh

Die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas haben das Coronajahr 2020 wirtschaftlich deutlich besser überstanden als die westlichen EU-Länder, zum Teil auch auf Kosten der öffentlichen Gesundheit, sagen die Ökonomen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Für heuer rechnet das WIIW in seiner Frühjahrsprognose für Osteuropa mit einem Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent, ähnlich jenem der Eurozone, und hat damit seine Prognose nach unten korrigiert.

"Unsere Analysen zeigen, dass Osteuropa die Pandemie im Jahr 2020 relativ gut überstanden hat", sagt Richard Grieveson, Stellvertretender WIIW-Direktor und Co-Autor des neuen WIIW-Konjunkturberichts, der heute (Donnerstag) veröffentlicht wurde. Im Jahr 2020 sank das gewichtete reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den 23 analysierten Ländern durchschnittlich um 2,3 Prozent. Damit betrug der Corona-bedingte Wirtschaftseinbruch lediglich ein Drittel jenes im Euroraum.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seien im Winter nicht so streng wie während der ersten Welle gewesen, es seien auch mehr Menschen zur Arbeit gegangen - ob aus eigenen Stücken oder weil sie mussten, sei dahingestellt, so Grieveson. Andererseits hätten etliche der Länder bereits zu Beginn der Pandemie vor einem Jahr rasch mit starken Maßnahmen reagiert und die Pandemie damit relativ gut unter Kontrolle gebracht.

Auch die Lehren aus der Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt hätten der Region insgesamt geholfen, die Coronakrise zu bewältigen, so die WIIW-Forscher. Im Jahr 2020 sei der Rückgang des realen BIP in Osteuropa deutlich geringer ausgefallen als im Jahr 2009 nach der globalen Finanzkrise, als die Wirtschaftsleistung dort um 5,6 Prozent eingebrochen sei. Diesmal hätten sie mit niedrigen Zinsen und Coronahilfen die Wirtschaft gestützt. Allerdings gebe es auch innerhalb der Region Unterschiede: Sowohl die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten als auch der Westbalkan erlitten im vergangenen Jahr stärkere Wirtschaftseinbrüche als 2009. Im Gegensatz dazu war die Rezession in den GUS-Staaten und der Ukraine im vergangenen Jahr weit weniger stark als 2009.

Stärker von der Krise betroffen waren generell Länder mit einem größeren Dienstleistungs- bzw. Tourismussektor. In den alten EU-Ländern waren das etwa Italien oder Spanien, am Westbalkan Kroatien und Montenegro. "Nur Montenegro und Kroatien sind stärker eingebrochen als der Euroraum", sagte Grieveson zur APA, "Moldawien etwa so stark wie der Euroraum".

Die wirtschaftliche Erholung wird sich heuer nach dem starken Anstieg der Infektionen über den Winter jedoch verzögern, erwartet das WIIW. "Es ist daher unwahrscheinlich, dass sich die überdurchschnittliche Wirtschaftsleistung der Region im Vergleich zu Westeuropa in diesem Jahr wiederholen wird", sagt Grieveson.

In den nächsten drei Jahren erwartet das WIIW für alle 23 Volkswirtschaften Osteuropas eine wirtschaftliche Erholung, allerdings mit großen Unterschieden in der Geschwindigkeit. Während Serbien und die Türkei bald auf den Wachstumspfad zurückkehren sollten, werden Länder wie Tschechien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Moldawien erst im Jahr 2022 - und Montenegro erst im Jahr 2023 - ihr "vorpandemisches" BIP-Niveau wieder erreichen, so die Prognose.

Das stärkste Wachstum dürfte heuer Südosteuropa verzeichnen, darunter Montenegro (6,5 Prozent), die Türkei (5,8 Prozent), Serbien (5 Prozent), Kosovo (4,8 Prozent), Kroatien (4,5 Prozent) und Albanien (4,5 Prozent). Dabei handelt es sich einerseits um Länder, die den Wirtschaftsabschwung entweder fiskal- oder geldpolitisch sehr erfolgreich abfangen konnten (Türkei und Serbien). Andererseits gehören auch jene Länder dazu, deren Wirtschaft im vergangenen Jahr besonders stark eingebrochen ist (Kroatien, Montenegro) und die daher heuer von einem niedrigeren Niveau aus aufholen.

Für Serbien erwarte man ein starkes Wachstum, weil das Land auf Kosten eines hohen Budgetdefizits rasch mit gezielten Hilfsmaßnahmen reagiert habe. Auch Nordmazedonien habe fiskalpolitisch reagiert, aber viel später, weshalb dort das Wachstum heuer viel geringer ausfallen dürfte als in Serbien. Die Türkei wiederum habe mit niedrigen Zinsen und Kreditwachstum die Wirtschaft gestützt. "Das birgt aber auch Risiken und ist mittel- und langfristig nicht die beste Option", so Grieveson.

"Serbien ist wirklich eine Erfolgsgeschichte", betonte er im Gespräch mit der APA. "Bei den Impfungen ist Serbien nach Großbritannien die Nummer 2 in Europa, in unserer Region sogar die Nummer 1." Dabei seien für Serbien die guten Beziehungen zu Russland ein Vorteil, aber das Land bekomme auch Impfstoff aus China.

Das schwächste reale BIP-Wachstum erwartet das WIIW heuer in Estland (1,2 Prozent), Weißrussland (1,5 Prozent), Litauen (2,1 Prozent), Bosnien-Herzegowina (2,5 Prozent), Bulgarien (2,5 Prozent) und Lettland (2,8 Prozent). Das resultiert entweder aus höheren Basiseffekten und erneuten Lockdowns (baltische Staaten) oder aus dem eingeschränkten fiskalpolitischen Spielraum (Weißrussland, Bosnien).

"Die meisten Länder werden schon heuer wieder das Niveau von 2019 erreichen, Bosnien, Tschechien, Moldawien und Kroatien erst nächstes Jahr", erklärte Grieveson. Kroatiens Tourismus werde, ebenso wie jener in Montenegro, heuer den Stand von 2019 noch bei weitem nicht erreichen. Auch in Bosnien spiele der Tourismus eine bedeutende Rolle, noch mehr seien es aber "institutionelle Herausforderungen", die das Land dabei behindere, fiskalpolitisch zu reagieren oder Impfstoff zu beschaffen und zu verteilen.

Die Prognosen seien derzeit wegen der noch immer hohen Infektionszahlen besonders unsicher, betonen die Wirtschaftsforscher. "Solange die Impfraten nicht steigen, sind die Abwärtsrisiken für unsere Prognosen beträchtlich." Erwartet wird aber, dass mehr Impfungen und wärmeres Wetter dazu führen, dass die Pandemie bis zum späten Frühjahr abklingt und es ab Jahresmitte zu einer wirtschaftlichen Erholung kommt.