APA - Austria Presse Agentur

Alarm im Hochgebirge: Permafrost-Rückgang und Naturgefahren

Scheinbar idyllisch ragen riesige Gesteinsbrocken aus dem Obersulzbach.

Folgt man dem Gewässer flussaufwärts Richtung Großvenediger, wird der Grund für das Geröll im Fluss sichtbar: Seit 2005 hat die Sattelkarrutschung rund 750.000 Kubikmeter Gestein am Talboden abgelagert, etwa ein Drittel davon wurde vom Obersulzbach aufgenommen und flussabwärts verfrachtet. Eine Folge des Klimawandels, wie Ingo Hartmeyer vom Salzburger Forschungsinstitut Georesearch erklärt.

Auftauen des Permafrostbodens

Auch durch das Auftauen des Permafrosts könnten weitere 2 Mio. Kubikmeter folgen. Am Eingang des Naturschutzgebietes, das zum Nationalpark Hohe Tauern gehört, hat die Gemeinde Neukirchen bereits reagiert und 2016 die Blauseesperre errichtet, die die Fließgeschwindigkeit des Obersulzbaches reduziert und das Gestein somit abstoppt, um die unteren Tallagen zu schützen. Parallel wurde Georesearch mit einem Forschungsprojekt beauftragt, um die Sattelkarrutschung zu erforschen und - im Idealfall - auch ein Präventionskonzept zu erarbeiten, um Naturgefahren besser voraussagen zu können. Mithilfe von Drohnenbefliegungen, Temperaturmessungen und akustischer Überwachung wird die Gesteinsbewegung analysiert.

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"Schuld" an der Rutschung ist eine von einem früheren Gletscher ausgeformte Mulde, in der sich über die Jahrtausende Geröll gesammelt hat, das bisher von Permafrost fixiert wurde. "Seit der Mensch rund um 1850 begonnen hat, in großem Stil Treibhausgase auszustoßen, ist die Temperatur weltweit um circa 1 Grad angestiegen. In den Alpen ist dieser Wert etwa doppelt so hoch", weiß Hartmeyer. Und dabei sei der aktuelle Temperaturanstieg in den Tiefen der Berge noch gar nicht angekommen - viele Gesteinsbewegungen, die wir heute erleben, seien noch auf frühere Temperaturanstiege zurückzuführen.

Steinschläge und Felsstürze nehmen zu

Auch der Rückgang der Gletscher wirke destabilisierend, dies gelte ganz besonders für das aktuelle Jahr: "Für die Gletscher gab es heuer einen perfekten Sturm an negativen Einflüssen", fasst Hartmeyer starke Windverfrachtungen auf den Gletschern, den Eintrag von Saharastaub und hohe Temperaturen zusammen. Der Permafrostrückgang werde künftig in Kombination mit dem Abschmelzen von Gletschern öfter dafür sorgen, dass Steinschläge und Felsstürze in Regionen über 3.000 Metern Seehöhe zunehmen werden. "Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass sommerliche Niederschlagszellen große Schäden anrichten werden", so der Geomorphologe. "Das ist zu akzeptieren; wir werden lernen müssen, damit umzugehen."

Zwar werde immer wieder versucht, Hochwässer mit technischem Schutz abzufangen, es gebe aber Grenzen. "In einer Gebirgsregion, wo die Massenbewegungen entsprechend auf große Wassermengen reagieren, kann man sich vorstellen, was uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten blühen wird." Nachsatz: "In nackten Zahlen ausgedrückt, mag es sich vielleicht nur um eine relativ geringfügige Erwärmung handeln, aber die Prozesse, die hier im Hochgebirge angestoßen werden, reagieren exponentiell, weil viele Faktoren sich selbst verstärken."

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Forschungsprojekte

Im Rahmen des Forschungsprojekts will man herausfinden, ob sich auch andere Stellen im Tal zu einer neuen, derart großen Rutschung entwickeln könnten. "Hier wollen wir frühzeitig mögliche Destabilisierungen erkennen." Derzeit sehe man jedoch keine Probleme in der näheren Umgebung. Der Gerölluntergrund wird hier etwa mit geophysikalischen Instrumenten gemessen, um die Beschaffenheit des Untergrunds besser verstehen zu können.

"Wir als Geowissenschafter sind in erster Linie für die Risikoanalyse zuständig und versuchen, ein robustes quantitatives Verständnis zu entwickeln, auf dessen Basis wir dann Empfehlungen abgeben." Die konkreten Maßnahmen lägen dann schließlich aber in politischer Hand. "Dann stellt sich immer die Frage, welches Risiko wir bereit sind, zu akzeptieren."