Physik-Nobelpreisträger Krausz fand "Tür in neue Welt"
Frage: Wie ist es Ihnen in den vergangenen zwei Monaten seit der Zuerkennung des Preises ergangen?
Ferenc Krausz: Es gab sehr viele Anfragen seitens der Medien, was sehr ehrenvoll ist und mir die Gelegenheit gegeben hat, über unsere Forschung die Öffentlichkeit zu informieren. Ich denke, das ist nicht nur für unsere Gruppe wichtig, sondern auch für das ganze Fachgebiet, vielleicht auch überhaupt für die Wissenschaft. Man bekommt damit die Gelegenheit, der Öffentlichkeit darzustellen, wofür das gut sein kann, was wir machen.
Frage: Die diesjährigen Nobelpreisträger haben gestern, Mittwoch, dem Nobelpreis-Museum in Stockholm ein persönliches Objekt gespendet - was wird von Ihnen künftig dort zu sehen sein?
Krausz: Wir haben uns etwas Größeres vorgenommen. Wir wollen die Anlage, mit der wir die ersten Attosekundenpulse im Kellerlabor der Technischen Universität Wien 2001 nachgewiesen haben, wieder zusammenbauen. Das habe ich dem Nobelmuseum angeboten und sie vorgewarnt, dass das insgesamt 50 Kilogramm haben wird.
Frage: Ist das die Vakuumkammer, die damals scherzhaft "Saug-Mich-Kammer" genannt wurde?
Krausz: Ja, das ist die Vakuumkammer mit allen Instrumenten darin, die zum Teil noch gesucht werden müssen. Der Spitzname kam daher, weil sich die Vakuumpumpe durchaus Mühe geben musste, denn die Kammer hat überall geleckt und dementsprechende Spuren sieht man heute noch, etwa Klebstoff, mit dem man versucht hat, dort wo es gepfiffen hat, zuzumachen. Insofern verdient die Anlage den Namen "Museumsstück" und dort kommt sie nun hin.
Frage: Was ist das für ein Gefühl, Teil dieser 'Hall of Scientific Fame' zu werden?
Krausz: Das ist mit Worten nicht wirklich zu beschreiben. Wenn man etwa im Nobelmuseum die Urkunde von Erwin Schrödinger sieht, ist das schwer zu verarbeiten. Da brauche ich wohl noch längere Zeit dafür. Jedenfalls empfinde ich riesengroße Demut und sehe einen Auftrag für die Zukunft, dass man sich noch sehr, sehr anstrengen muss, um das tatsächlich mit weiteren Erfolgen und hoffentlich Durchbrüchen wirklich zu verdienen. Wir haben eine Tür aufgestoßen in eine neue Welt mit der Entwicklung dieser Werkzeuge, aber da kann - und nach dieser Anerkennung muss - man noch sehr viel mehr tun. Und wir werden versuchen, diesen Auftrag anzunehmen.
Frage: Sie haben 2001 erstmals einzelne Attosekunde-Lichtpulse erzeugt, damals mit einer Dauer von 650 Attosekunden. Ist es ein Ziel, diese Dauer weiter zu verkürzen und wo liegt derzeit der Rekord?
Krausz: Wir selbst haben damals am Max Planck-Institut sogar einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde mit 80 Attosekunden geschafft. Wir sind aber nicht mehr Rekordhalter, was erfreulich ist, weil wir nicht alleine geblieben sind und sehr viele Gruppen auf diesem Gebiet arbeiten. Der Rekord liegt mittlerweile bei unter 50 Attosekunden, gehalten von einer Gruppe in den USA.
Frage: Macht es Sinn, nach noch kürzeren Lichtpulsen zu streben - wird es irgendwann Zeptosekunden-Lichtpulse geben, also Lichtpulse, die Trilliardstel Sekunden kurz sind?
Krausz: Das kann durchaus sein, wobei für Zeptosekunden wird man noch kürzerwellige Strahlung verwenden müssen. Ich glaube aber, dass im Moment nicht der riesengroße Drang danach besteht, weil es einfach so unfassbar viel im Zeitfenster von einigen zehn bis hunderten Attosekunden zu erforschen gibt. Das ist der Zeitbereich, wo die meisten Elektronenvorgänge stattfinden. Alle für uns aus praktischen Bedürfnissen abgeleiteten Fragen knüpfen sich an Elektronenbewegungen, die sich in diesem Zeitbereich abspielen.
Statt kürzer zu werden, geht es jetzt vielmehr darum, die ganze Palette der Abfragetechniken zu erweitern, welche physikalischen Größen man bei dieser Schnellfotografie messen kann. Wir sind leider noch nicht so weit, dass wir richtige Fotos machen können, dazu bräuchten wir atomare Auflösung im Ångström-Bereich, wie das bei der Röntgendiffraktion möglich ist. Wenn man ganz kurzwellige Röntgenstrahlung-Attosekundenblitze hätte, wäre das theoretisch denkbar - aber so weit sind wir noch nicht.
Frage: Wenn ich sie richtig verstehe, wird es in gar nicht so ferner Zukunft Fotos von Elektronen geben?
Krausz: Ich denke, das wird kommen. Es kann noch ein paar Jahre dauern, aber mit der potenziellen Fähigkeit, die Röntgen-Freie-Elektronen-Laser bieten, wird es möglich sein, atomare Auflösung in der Zeit mit atomarer Auflösung im Raum zu kombinieren - und darum geht es.
Frage: Chemienobelpreisträger Elias James Corey sagte zu Martin Karplus, er könne glücklich sein, den Nobelpreis erst mit 83 Jahren bekommen zu haben, weil er so ruhige Zeit zum Forschen gehabt habe. Sie erhalten nun mit 61 Jahren den Preis - was würden Sie gerne noch realisieren oder werden sie die Narrenfreiheit nutzen, die ein Nobelpreis bietet, und auf ganz anderen Gebieten weiterarbeiten?
Krausz: Wir forschen schon seit acht Jahren auf einem ganz anderen Gebiet: Wir haben uns einer ganz großen Fragestellung aus der Medizin angenommen und mein Schwerpunkt verschiebt sich mehr und mehr in diese Richtung. Ich nehme diese Anerkennung (den Nobelpreis, Anm.) auch als Mandat, um von jetzt an, mich und meine Gruppe mehr oder weniger vollständig auf dieses neue Forschungsfeld zu konzentrieren.
Frage: Worum geht es dabei?
Krausz: Unsere Frage ist, wie man das heutige Gesundheitswesen grundlegend umstellen kann. Heute wartet man, bis Menschen krank werden, dann kommen sie zum Arzt, was oft zu spät ist. Schon lange weiß man, dass präventive Medizin die Zukunft ist, sie scheitert aber daran, dass es keine kostengünstige Methode gibt, mit der man hinreichend viele Informationen über einen sehr einfachen Weg erhält.
Wir haben uns gefragt, ob die Attosekundenphysik einen Beitrag leisten kann und entsprechend viel Information aus dem menschlichen Blut herausholen kann. Dieses Ziel verfolgen wir mit sehr vielen ermutigenden Erfolgen: Bei acht verschiedenen Krebserkrankungen konnten wir nachweisen, dass wir in der Lage sind, die durch eine Krebserkrankung verursachte Veränderung der molekularen Zusammensetzung von Blut mit unserer Attosekunden-Messtechnik zu messen. Unser Ziel ist, diese Detektionstechnik so weit zu bringen, dass ein einfacher Bluttest dazu ausreicht, die Menschen vor einer schweren Erkrankung zu schützen.
Frage: Wie weit sind Sie da bereits?
Krausz: Bei Lungenkrebs sind wir am weitesten, dank der größten Zahl an Proben, die wir bei dieser Krebsart gesammelt haben. Da sind wir so weit, dass wir mit sehr ermutigender Effizienz sogar Stadium 1 und 2, und mit recht guter Effizienz Stadium 3 nachweisen können. Das ist insofern enorm wichtig, weil derzeit die Hälfte aller Lungenkrebsdiagnosen erst im Stadium 4 erfolgt, was ein Todesurteil ist. Selbst wenn wir nur mit guter Effizienz im Stadium 3 die Erkrankung abfangen könnten, wäre das ein riesiger Fortschritt, geschweige denn bei Stadium 1 oder 2. Es könnte durchaus sein, dass wir in fünf, sechs Jahren so weit sind, damit eine aussichtsreiche Methode zur Verfügung zu haben, im ersten Schritt vielleicht nicht im Alleingang, aber etwa in Kombination mit dem "Low-dose CT Scan".
Frage: Arbeiten Sie daran in München?
Krausz: Ja, an der Ludwig-Maximilians-Universität, in Zusammenarbeit mit dem Center for Molecular Fingerprinting Research in Budapest - übrigens ein wunderbares Beispiel an Kooperation, wie Europa funktionieren sollte. In Ungarn haben wir vor drei Jahren eine Studie mit 15.000 Teilnehmern ausgerollt, die wir über mindestens zehn Jahre verfolgen. Der große Vorteil einer solchen Longitudinalstudie ist, dass wir Blutproben von jedem Stadium der Krankheit haben werden. Und wir werden feststellen können, in welch frühem Stadium eine Krankheit ihre Spur in dem Signal, das wir mittels Attosekunden-Messtechnik erfassen können, hinterlässt.
Frage: Wo ist dabei die Attosekundenphysik?
Krausz: Wir bestrahlen die Blutproben mit einem Femtosekunden-Infrarotpuls. Das regt die Moleküle an zu schwingen, wodurch sie Infrarotwellen aussenden. Und diese Infrarotwellen tasten wir mit der Attosekunden-Messtechnik ab.
Frage: Die Nobelpreisstiftung fragt die Preisträger welcher Nationalität sie zugeschrieben werden wollen. Ist es korrekt, dass Sie sich als Ungar deklariert haben - und wenn ja, warum?
Krausz: Ja, das ist korrekt, weil seitens der Nobelpreisstiftung bei der Verleihungszeremonie nur ein Land genannt wird. Ich bin aber aufgrund der Staatsbürgerschaft Ungar und Österreicher, so bin ich überall geführt.
Frage: Wie kam es eigentlich, dass Sie österreichischer Staatsbürger wurden?
Krausz: Ich habe das damals einfach beantragt, und es hat Jahre gedauert, das damals zu bekommen.
Frage: Anton Zeilinger hat im Vorjahr den Physiknobelpreis erhalten, heuer bekommen Sie diese Auszeichnung, also auch jemand, der die entscheidenden Arbeiten in Wien durchgeführt hat - ist das eine zufällige Häufung, oder lässt sich daran etwas ablesen?
Krausz: Ich glaube schon, dass man etwas ablesen kann. Ich hatte das große Privileg, in Ländern zu wirken, wo die Wissenschaftspolitik offensichtlich weitsichtig genug war, auch in Forschung zu investieren, von der man den unmittelbaren Nutzen nicht klar sehen konnte. Unser Gebiet ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Wir hätten damals Schwierigkeiten gehabt, wenn uns jemand gefragt hätte, wofür das gut ist. Und jetzt, 15, 20 Jahre später ist eine hochspannende praktische Anwendung nicht nur in Sicht, sondern gut unterwegs.
Und das gute Beispiel ist ansteckend. Sogar ein nicht so wohlhabendes Land wie Ungarn investiert sehr viel in diese Sache, dieses Center for Molecular Fingerprinting hat nun eine Förderung in Höhe von 200 Mio. Euro für die nächsten sieben Jahre bekommen.
Frage: Sie sind nach wie vor Honorarprofessor an der TU Wien - wie eng ist diese Kooperation, wäre sie ausbaufähig?
Krausz: Kooperationen sind immer ausbaufähig. Es gibt eine über die Jahre hinweg aktive Kooperation mit der Gruppe des theoretischen Physikers Joachim Burgdörfer, aus der eine Reihe toller Publikationen entstanden ist. Auch mit meinem ehemaligen Institut für Photonik der TU Wien sind wir ständig im Gespräch. Mit dessen Leiter Karl Unterrainer zeichnet sich eine neue Richtung ab, wo wir speziell bei der medizinischen Forschung längere Wellenlängen nutzen wollen, also im niedrigen Terahertz-Bereich.
(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)
(ZUR PERSON: Ferenc Krausz, geboren am 17. Mai 1962 in Mor (Ungarn), promovierte 1991 an der TU Wien, wo er 2001 erstmals einzelne Attosekunden-Lichtpulse mit einer Dauer von 650 Attosekunden realisierte. "Für experimentelle Methoden zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen zur Untersuchung der Dynamik von Elektronen in der Materie" erhält er gemeinsam mit seinem in den USA tätigen Kollegen Pierre Agostini und der in Schweden arbeitenden Physikerin Anne L'Huillier den Physiknobelpreis 2023. Krausz, der die ungarische und österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, wechselte 2003 als Direktor an das Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, ein Jahr später folgte eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. 2019 war er Mitbegründer des Center for Molecular Fingerprinting Research in Budapest, das er auch leitet.)
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