APA - Austria Presse Agentur

"Pieces of a Woman" spürt den Nachwehen eines Kindstods nach

So grau und nass das Auftaktwochenende der Wiener Festwochen auch war, mit "Pieces of a Woman" gab es am Sonntagabend im Akademietheater einen ersten Lichtblick, wenn nicht gar Höhepunkt. Das feministische Drama über weibliche Selbstbestimmung aus der Feder von Kata Wéber sorgte für einen tosenden Schlussapplaus, nachdem es bereits früh betroffenes Schweigen evozierte - tritt doch das ein, was niemanden kalt lässt: Ein Kind stirbt kurz nach der Geburt in den Armen der Mutter.

Der Stoff dürfte so manchen im Publikum bereits bekannt gewesen sein. Das 2018 in Polen vom TR Warszawa uraufgeführte Theaterstück erschien 2020 als Netflix-Produktion, bei dem speziell die Hauptdarstellerin Vanessa Kirby mit einer außergewöhnlichen Leistung punktete, die ihr zahlreiche Nominierungen - u.a. bei den Oscars und den Golden Globes - bescherte. Und auch im Akademietheater sticht zunächst Justyna Wasilewska, die die 30-jährige Maya verkörpert, heraus. Fast eine halbe Stunde zieht sie das Publikum mit einer intensiven Hausgeburt in den Bann.

Dabei springt kurzfristig eine ihr unbekannte Hebamme ein, die erstmals eine Geburt alleine begleiten soll. Sie weist Maya darauf hin, dass sie aufgrund einer unterlassenen Voruntersuchung eigentlich ins Krankenhaus fahren müssten, doch die junge Frau bleibt eisern dabei, das Baby in den eigenen vier Wänden auf die Welt bringen zu wollen. Und was zunächst trotz etwas geronnenem Blut geglückt scheint, wird wenige Minuten nach der Geburt zu einem absoluten Albtraum: Das Kind stirbt.

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó setzt die Anfangssequenz mit einem gelungenen Kunstgriff um. Das Geschehen wird auf engstem Raum mit einer Handkamera gefilmt und das zugehörige Bild live auf das Bühnenbild - die Wohnungsfassade - projiziert. Das sorgt für Nähe und Dynamik in einer höchst intimen Situation und schafft paradoxerweise gleichzeitig eine Art Schutzraum für die Darstellerin, deren verzweifelte Schreie, auch nachdem die Kamera ihre Arbeit beendet hat, noch zu hören sind.

Was darauf folgt, muss sich das Publikum zusammenreimen, steigt das Geschehen auf der Bühne doch sechs Monate nach der Geburt bei einem Familientreffen wieder ein. Doch eines ist rasch klar: Der Vorfall und wie Maya damit umgeht, beschäftigt auch die Verwandtschaft. Ihr Trauerprozess schwirrt als Elefant im Raum durch das Stück und wird erst nach und nach thematisiert. Bis dahin lernt man die Familie und deren eigene Sorgen und Ängste kennen. Da wäre die gläubige Schwester, die mittels der Kirche die Gesellschaft erneuern möchte, die erfolgreiche Cousine, die beinahe mit Mayas Ehemann anbandelt, der wiederum mit einer Heroinabhängigkeit und Geldsorgen zu kämpfen hat. Und dann ist da noch die Mutter, die langsam dement wird und das Vermächtnis ihres verstorbenen Ehemanns für einen Prozess gegen die Hebamme aufwenden möchte, was nicht von allen im Raum goutiert wird.

Es sind Fragen nach Schuld, nach "richtigen", erwarteten Trauerformen, nach weiblicher Selbstbestimmung, die "Pieces of a Woman" nach der früh einsetzenden Tragödie vorantreiben. Trotz der Länge von 2 Stunden und 20 Minuten stellen sich dabei kaum Durchhänger ein. Das Familientreffen gerät authentisch, wie auch das mit Liebe zum Detail ausgefallene Bühnenbild, bei dem auch auf den Ventilator in der Ecke und die angestaubte ausgestopfte Ente nicht vergessen wird. Nur schade, dass die tollen, polnischen Schauspielerinnen und Schauspieler längere Texte sprechen, als letztlich per Übertitel auch zu lesen sind. Die Freude über ein Stück, das primär mit einer starken Geschichte ohne viel Brimborium punktet, mag das aber nicht zu dämpfen.

(S E R V I C E - "Pieces of a Woman" von Kornél Mundruczó im Rahmen der Wiener Festwochen im Akademietheater. Polnisch mit deutschen und englischen Übertiteln. Text, Adaption: Kata Wéber, Bühne und Kostüme: Monika Pormale. Kamera, Sound auf der Bühne: Maciej Kaszyński, Łukasz Winkowski. Mit Dobromir Dymecki, Monika Frajczyk, Magdalena Kuta, Sebastian Pawlak, Marta Ścisłowicz, Justyna Wasilewska, Agnieszka Żulewska. Weitere Aufführungen am 15. Mai, 16. Mai, 17. Mai und 18. Mai jeweils um 19.30 Uhr. Infos und Tickets unter www.festwochen.at)