APA - Austria Presse Agentur

Politisch wie poetisch: Österreich wird in Leipzig Gastland

Österreich ist von 27. bis 30. April Gastland der Leipziger Buchmesse 2023. Unter dem Motto "meaoiswiamia", sprich "mehr als wir", möchte das Gastland-Projekt "das Augenmerk des internationalen Lesepublikums auf seine vielfältige Buchszene mit bekannten Autor:innen, neuen literarischen Stimmen und hochkarätigen Verlagen" lenken. Katja Gasser, künstlerische Leiterin des Gastlandprojekts, gibt Auskunft über das Konzept und den Stand der Vorbereitungen.

APA: Frau Gasser, welche Bedeutung hat der Österreich-Schwerpunkt in Leipzig für die heimische Literatur? Österreichische Autorinnen und Autoren sind ebenso wie heimische Verlage in Deutschland doch immer schon stark präsent gewesen?

Katja Gasser: Der Auftritt Österreichs hat eine sehr hohe Bedeutung. Man darf nicht vergessen: zuletzt hat sich in dieser Hinsicht Österreich im Jahr 1995 hervorgetan. Das ist schon ein Weilchen her, außerdem war Österreich damals Gastland bei der Frankfurter Buchmesse, das ist noch einmal eine andere Geschichte. Die von Ihnen angesprochene starke Präsenz bezieht sich ja in der Regel auf Autorinnen und Autoren aus Österreich, die bei deutschen Verlagen unter Vertrag sind. Sie sind für unser Projekt aber natürlich auch von immenser Bedeutung, und ich bin sehr froh, dass wir etwa Peter Handke und Elfriede Jelinek oder Clemens Setz und Theresa Präauer - um nur einige zu nennen - dafür gewinnen konnten, auch Teil unserer Plakatserie zu sein, mit der wir auch in Leipzig selbst für unseren Gastlandauftritt werben werden.

APA: Wie laufen die Vorbereitungen? Ist alles in Plan?

Gasser: Ich habe unlängst für mich den Satz erfunden und gefunden: Wir sind mitten im Gelingen. Und in der Tat empfinde ich es so - allen Unkenrufern zum Trotz. Wir haben ja inzwischen einiges auch schon geschafft: dutzende hochkarätige Veranstaltungen vor allem in Deutschland und auch in der Schweiz etwa. Oder: Unser Podcast "Literaturgespräche aus dem Rosa Salon" erfreut sich großer Beliebtheit, ebenso das Kooperationsprojekt mit dem ORF "Archive des Schreibens": beides Projekte, die dieses unser Gastlandprojekt ein Jahr lang flankieren und dann während der Buchmesse noch einmal gezeigt werden. Ganz abgesehen von anderen Initiativen auf unseren Social Media Kanälen...

Ich würde mir wünschen, dass verstanden wird, von welcher Vielfalt an Aktivitäten und Maßnahmen wir sprechen, wenn wir über das Gastlandprojekt sprechen, für das wir mehr als ein Dutzend Kooperationspartner gewinnen konnten. Natürlich wird es Ende April in Leipzig noch einmal hoch hergehen, aber das Gastlandprojekt ist weit mehr als die Ereignisse während der Buchmesse. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass wir uns mit dem Claim "meaoiswiamia" einen sehr guten Wegweiser geschaffen haben: Es ist ein Sprachkunstwerk, es ist markant, politisch brisant, zugleich den Dialog fördernd - der Dialog entsteht hier nicht zuletzt über die Irritation, über die Frage, was genau das sein will, was genau das heißen will. Und schon ist man im Gespräch. So ein Gastlandauftritt ist ja in seinem Kern ein Dialogangebot, eine friedensstiftende Maßnahme, der Versuch, das gegenseitige Verständnis zu stärken, zu fördern, Verbindungen zu schaffen, die den Gastlandmoment überdauern.

APA: Wie wird das ungewöhnliche Sujet "meaoiswiamia" aufgenommen?

Gasser: Soweit ich es überblicken kann: sehr gut. Mich freut auch jede Kritik. Weil auch darin die Qualität dieses Claims zum Ausdruck kommt: meaoiswiamia regt an und regt auf. Ich finde, wir hätten dem Projekt keinen besseren Dienst erweisen können als uns für dieses Motto zu entscheiden. Der Claim wurde ja von einem der herausragendsten Autoren Österreichs für das Gastland entwickelt. Ich hatte am Anfang des Projekts vier sehr unterschiedliche österreichische Autoren gebeten, für das Projekt darüber nachzudenken, wie wir heißen könnten. Ich hatte bei der Durchsicht der Vorschläge sofort einen Favoriten und das war "meaoiswiamia" von Thomas Stangl. Und ich hatte das Glück, dass das Team des Gastlandprojekts, allen voran Gustav Soucek, der kaufmännische Leiter des Projekts, bereit war, sich auf dieses Wagnis einzulassen.

APA: Welche Highlights können Sie schon verraten?

Gasser: Es wird, wie ich finde, einen sensationell schönen Gastlandstand auf der Messe geben - der Künstler Marko Lipuš wird mit seiner Arbeit "Anthem Reloaded" die Ästhetik des Standes maßgeblich bestimmen - diese seine Arbeit war bereits Teil unserer ersten langen Nacht der österreichischen Literatur unter dem Titel "Wildes Österreich" im März in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig. Was die Highlights angeht, kann ich nicht zu viel verraten, weil wir ja eine Veröffentlichungsdramaturgie haben, aber so viel sei gesagt: Es wird vielgestaltig, politisch wie poetisch, schrill wie still. Große Institutionen wie die ÖNB werden ebenso dabei sein wie das Institut für Sprachkunst in Wien, das Burgtheater ebenso wie die Literaturshow von Klaus Kastberger und Daniela Strigl "Roboter mit Senf", Maria Lassnigs zeichnerisches Werk, der jüngste Elfriede Jelinek-Film genauso wie die noch wenig bekannte Autorin Precious Chiebonam Nnebedum.

Das Herz meiner Programmierung ist geprägt von der Einsicht: Nur ein offen verstandenes WIR ist zukunftsfähig, nur wer Gesellschaft offen und zugleich solidarisch denkt, denkt Gesellschaft im Sinne des Humanismus und der Aufklärung. Wir wollen Österreich entschieden als mehrsprachiges und multikulturelles Land zeigen. Mir war der Rand immer schon näher als das Zentrum, das Fremdeln immer vertrauter als das Zuhause-Sein. Davon wird der Auftritt in einer seiner kuratorischen Tiefenschichten wohl auch geprägt sein. Dem Experimentellen, der Avantgarde der Gegenwart wie der Vergangenheit wird ein wichtiger Moment zukommen, ebenso den unterschiedlichen literarischen Genres, nicht zuletzt der Dramatik, auch der österreichischen Slam-Poetry-Szene wie dem Krimi.

APA: Sie sind ja eigentlich Literaturchefin des ORF-Fernsehens, das heißt, in begleitender, doch kritischer Distanz zum Literaturgeschehen. Wie war für Sie der "Frontenwechsel" bisher?

Gasser: Nach diesem Projekt werde ich in jedem Fall sagen: Ich habe binnen sehr kurzer Zeit sehr viel gelernt. Keine Weiterbildung dieser Welt hätte mir so viel an neuen Einsichten und Erkenntnissen und Fertigkeiten gebracht wie diese Funktion, für die ich mich ja nicht beworben habe. Ich habe mich entschieden, diese Herausforderung anzunehmen und ich bemühe mich täglich darum, mit dieser großen Verantwortung redlich umzugehen. Im Gegensatz zur Literatur, die in niemandes Dienst zu stehen hat, stehe ich in meiner jetzigen Funktion im Dienst der Literatur, der Kunst dieses unseres Landes - und das mit Herz und Hirn.

APA: Wird es ein außergewöhnlicher österreichischer Literatur-Jahrgang, der sich in Leipzig präsentiert? Auf welche Titel freuen Sie sich als Literaturkritikerin ganz besonders?

Gasser: Wenn man sich die Frühjahrskataloge ansieht, dann ist offenkundig: Es wurde sehr viel Energie darauf verwendet, übrigens auch von deutschen Verlagen, das "österreichische Programm" besonders schillernd zu machen. Ich freue mich sehr auf den neuen Dževad Karahasan "Einübung ins Schweben", die neue Birgit Birnbacher, den neuen Robert Prosser, die neue Ana Marwan, die neue Renate Welsh, die neue Karin Peschka, bin gespannt auf den neuen Arno Geiger und viele andere Neuerscheinungen mehr. Es wird in Sachen österreichische Literatur jedenfalls ein sehr, sehr dichtes Frühjahr. Es ist überhaupt ungeheuerlich, wie vielgestaltig, wie reich, wie hochkarätig die Literatur unseres Landes ist - gemessen an unserer geografischen Kleinheit. Der wahre Reichtum Österreichs liegt ja in seiner Kunst, seiner Literatur. Das kann man ganz ohne Pathos immer wieder festhalten. Schade, dass man von diesem intellektuellen Reichtum in der Politik der Gegenwart so wenig merkt.

APA: Und welche Bücher gäbe es ohne den Gastland-Auftritt wohl gar nicht?

Gasser: Ich habe den Eindruck, dass nichts ausschließlich für den Auftritt gemacht wurde, sondern man versucht, das Besondere zu zeigen, weil das Gastlandmomentum eben auch für eine besondere Aufmerksamkeit für die Literatur, die Buchkultur unseres Landes sorgen wird. In meinem jugendlichen Eifer habe ich immer wieder einmal gesagt: Alles ist besser als schlechte Bücher zu schreiben. Heute bin ich geneigt zu sagen: Mir ist jedes schlechte Buch recht, wenn es ein Stück Frieden rettet.

(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - https://gastland-leipzig23.at/)