APA - Austria Presse Agentur

Polizeichef warnt vor Extremismus bei Klimaaktivisten

Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl hat im Gespräch mit der APA vor zunehmenden extremistischen Tendenzen bei Klimaaktivistinnen und -aktivisten gewarnt. "Es gibt deutliche Elemente von Extremismus bei manchen Aktivisten", konstatierte er. Das betreffe das Begehen von Straftaten, nicht nur das Festkleben an Gemälden und das Beschütten derselben, was "in den Bereich der Sachbeschädigung geht", sondern das auch Lockern von Radmuttern oder Luft aus den Reifen lassen.

Außerdem würden diese Aktivistinnen und Aktivisten gezielt Feindbilder schaffen, etwa Besitzer bestimmter Autotypen und indem sie etwa Aktionen konkret gegen SUV-Fahrer setzen. "Das sind Dinge, die weit über die Grenzen des Akzeptablen und polizeilich Zulässigen hinausgehen", sagte Pürstl. Als Beispiel brachte er die erst am Wochenende vor Weihnachten in Döbling von Klimaaktivisten durchgeführte Aktion, wo sie Luft aus den Reifen von SUVs ließen. Diese hatten zwar Zettel an den Windschutzscheiben angebracht, einer der Autobesitzer hatte das aber nicht bemerkt und war losgefahren. Er schlitterte mit seinem Wagen auf einen Gehsteig und touchierte einen Fußgänger, der aber glücklicherweise unverletzt blieb. Verantwortlich zeichnete für die Aktion dem an den Autos hinterlassenen Schreiben zufolge die Gruppe "The Tyre Extinguishers" ("Die Reifen-Auslasser"). Das Landesamt für Verfassungsschutz wurde in Kenntnis gesetzt.

Generell stellen Klimaaktivisten die Polizei seit geraumer Zeit vor neue Herausforderungen. Pürstl räumte ein, dass die Exekutivbeamten zu Beginn der Aktionen im Mai 2019 überrascht wurden. Er nannte die Straßenblockaden etwa bei der Urania in der City, "wo es auch keine schönen Bilder gegeben hat, weil wir als Wiener Polizei in gewissen Bereichen auch durch das spontane Auftreten leicht überfordert waren".

"Wir haben die Lage nicht ganz richtig eingeschätzt, wir hatten nicht im Gefühl, wie man mit Menschen umgeht, die überhaupt keinen polizeilichen Empfehlungen oder Befehlen nachkommen, die ihre Identitäten nicht preisgeben, die bereit sind, sich in großen Gruppen wegtragen zu lassen, passiven Widerstand ausüben und die Dinge einfach aussitzen, indem sie, wenn ihre Identitäten festgestellt werden sollen, lieber 24 Stunden in Haft sitzen als ihre Identitäten preiszugeben", schilderte Pürstl.

Dazu kam, dass "wir damals noch keine gute Beweissicherung hatten, wir haben relativ wenig, was vorgefallen ist, durch eigene Videos dokumentiert". Der Polizeipräsident weiter: "Wir hatten damals doch einige Beamte, die im Zuge der Vorkommnisse die Nerven verloren haben, sich provozieren ließen, auch mit übermäßiger Gewalt vorgegangen sind." Pürstl verwies auf teils auch strafrechtliche Verurteilungen und verlorene Verfahren als belangte Behörde bei Maßnahmenbeschwerden. "Für uns war klar ab dem Zeitpunkt, wir müssen uns da neu aufstellen und wir müssen da wesentlich professioneller werden."

Die Corona-Pandemie hat für die Wiener Polizei andere Themen in den Vordergrund gerückt, allerdings brachten die Demos der Corona-Gegner reichlich Gelegenheiten zu lernen und "Demo-fit" zu werden, wie es Pürstl ausdrückte. Ab 2021 gab es laut dem Polizeipräsidenten neue Protestformen mit dem erstmaligen Auftreten von "LobauBleibt", Extinction Rebellion und der Letzten Generation, die für zahlreiche Klebeaktionen verantwortlich ist, oder "ErdeBrennt". Pürstl betonte, dass die Räumaktionen der Lobau-Camps keine für die Polizei negativ ausgegangenen gerichtlichen Nachspiele gebracht haben. "Wir haben die größten Lernprozesse bei den Demos in den letzten drei Jahren gehabt", sagte Wiens oberster Polizist.

In Wien gab es laut Pürstl heuer 15 Mordfälle mit 16 Opfern, drei davon bisher ungeklärt - unter anderem die Tötung eines Schulwartes, bei der vor kurzem eine Belohnung für sachdienliche Hinweise in der Höhe von 30.000 Euro ausgelobt wurde. Wirklich weitergebracht hat diese Maßnahme die Ermittler dem Vernehmen nach bisher nicht. "Wir haben in jedem Jahr irgendwo zwischen zehn und 25 Morde in Wien, von denen natürlich jeder einzelne zu viel ist", sagte Pürstl und verwies auf das deutlich niedrigere Niveau bei der Zahl der Bluttaten gegenüber den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo in manchen Jahren um die 50 Mordfälle im Jahr registriert wurden. Die bisher geklärten Fälle waren allesamt sogenannte Beziehungstaten, bei denen Täter und Opfer einander kannten.

"Wir haben einen ganz starken Fokus auf Gewalt in der Privatsphäre", betonte Pürstl. Heuer wurden im Schnitt 360 Betretungs- und Annäherungsverbote pro Monat - also rund zwölf pro Tag - ausgesprochen, was gegenüber dem Vorjahr einen leichten Anstieg gegenüber 2021 bedeutete. Im Vorjahr waren es durchschnittlich 350 pro Monat. Der Polizeipräsident betonte die Wichtigkeit, Opfer und Gefährder zu Beratungsangeboten zu bringen. Für Gefährder ist es ja nun verpflichtend, sich einer Beratung zu unterziehen. Diese werden in Wien vom Verein "Neustart" durchgeführt, die an sich ja als Bewährungshilfeorganisation bekannt ist. Und dies werde von den Gefährdern auch sehr gut angenommen: "Es sind etwa - bei den 360 ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverboten - etwa fünf bis 15 Personen, die die Verpflichtung nicht wahrnehmen", sagte Pürstl, der von den rechtlichen Möglichkeiten in diesem Bereich die Exekutive gut aufgestellt sah. Ziel für die kommenden Monate und Jahre sei aber, die Analyseinstrumente zur Einschätzung des Risikopotenzials von Gefährdern weiter zu verfeinern.

Die Kriminalisten haben derzeit mit besonders vielen Aktivitäten im Betrugsbereich zu tun. Dieser werde von der Internetkriminalität "befeuert", sagte Pürstl. Der Polizeipräsident nannte unter anderem den "Tochter-Sohn-Trick", bei dem die designierten Opfer SMS mit dem Text "Hallo Mama, ich habe mein Handy verloren ..." bekommen, weiters Bezahltricks im Internet, mit denen Kontodaten abgeschöpft werden, Transportdienstleistungsbetrügereien oder Investmentbetrug - "wo Menschen in dubiose Geschäfte - beispielsweise in den vermeintlichen Kauf von nigerianischen Ölquellen oder Ähnliches - investieren und dann nach einiger Zeit daraufkommen, dass sie betrogen worden sind".

Neben den Internetbetrügereien machen den Ermittlern nach wie vor klassische Betrugsformen wie etwa der "Polizistentrick" und der "Neffenbetrug" zu schaffen. "Was uns am meisten Sorge macht, sind jene Betrugsformen, die sich vor allem gegen ältere Menschen richten, die nicht mehr in der Lage sind, die Sache zu durchschauen, sei es, weil sie schon zu betagt sind, meist aber auch geistig Probleme haben, wegen Demenz zum Beispiel", sagte Pürstl. Polizeiliche Prävention greife hier wenig. "Das tut uns als Polizei sehr weh, wenn man sieht, dass ältere und manchmal wehrlose Menschen brutalen Betrügerbanden auf den Leim gehen."

Die Exekutive versucht, Prävention über Dritte zu machen - Private (Angehörige, Freunde, Nachbarn), Pensionistenheime, Arztpraxen oder auch Banken -, "wo man weiß, dass gefährdete Menschen oft Kontakt haben und sie auch ein gewisses Vertrauen haben". Laut Pürstl versprechen sich die Präventionsbeamten darüber hinaus auch, dass diese Dritten "beobachten, was mit der entsprechenden Person passiere". Beispiel: "Der Bankbeamte sollte alert sein, wenn Menschen kommen und Bargeld in höherem Maße abheben, und fragen: 'Wozu?'", sagte Pürstl. "Wenn man dann schon sieht, das wird für den Enkel oder die Nichte gebraucht oder die Polizei will das Geld in Sicherheit bringen, dann müsste der die entsprechende Alarmbereitschaft haben, weil es der Betreffende selbst nicht mehr kann."

(Das Gespräch führte Gunther Lichtenhofer/APA.)