Quentin Tarantino entführt mit Lexikon ins Land der Filme
In einer Art Prolog berichtet Tarantino über seinen Einstieg in die Droge Kino. Als Achtjährigen nahm ihn seine Mutter zu Doppelaufführungen von Filmen mit, die nicht für sein Alter freigegeben waren. Seine liebeste Doppelvorstellung sei damals "The Abominable Dr. Phibes" (dt. "Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes") und "The House That Dripped Blood" (dt. "Totentanz der Vampire") gewesen. "Gab es irgendeinen Film, die ich nicht ertragen konnte?", schreibt der 59-Jährige: "Ja. Bambi." Wie das Reh von seiner Mutter getrennt und diese von einem Jäger erschossen wurde, das habe ihn aufgeregt.
Gelassener nahm der junge Tarantino "Dirty Harry" von Don Siegel mit Clint Eastwood hin. Diesem Film ist ebenso wie "Bullit", "The Getaway", "Taxi Driver", "Rolling Thunder", "The Outfit" oder "Daisy Miller" jeweils ein Kapitel gewidmet. Der Cineast definiert die Stärken und Schwächen der jeweiligen Regisseure, analysiert die Entstehung und Einflüsse auf die jeweiligen Produktionen, liefert Anekdoten über den Cast (z.B. dass der unwillige Leser Steve McQueen bloß für das Studium eines Drehbuchs eine Millionen Dollar in Rechnung stellte) und seziert seine Lieblingsszenen, nicht ohne tarantinischem Humor.
"Es braucht einen hervorragenden Filmemacher, um ein Publikum zu verderben", daran habe er immer geglaubt" - dieses Credo Tarantinos erläutert er anhand von "Dirty Harry". Wiederholt erklärt er den Unterschied zwischen Buchvorlagen und daraus resultierenden Leinwandadaptionen, etwa warum Drehbuchautor Walter Hill bei seiner Version von "The Getaway" auf den surrealistischen, makabren Schluss von Jim Thompsons Roman verzichtete.
Einschübe beschäftigen sich mit Filmkritikern und dem "New Hollywood in den Siebzigern". Warum sich Tarantino gerade auf diese Epoche konzentriert? "War man in den Siebzigern aufgewachsen, in denen alles möglich war, dann wirkten die Achtzigern wie ein Jahrzehnt, das auf Nummer sicher ging, so wie dieses andere schreckliche Jahrzehnt für Hollywoodfilme, die Fünfziger", liefert er die Antwort. Und es wäre nicht Tarantino, wenn der Leserschaft nicht viele Querverweise auf Grindhouse-Streifen erhalten würde.
Nicht dem Autor, sondern der deutschen Übersetzung ist eine besondere humoristische Note von "Cinema Speculation" zu verdanken: die deutschen Filmtitel im Vergleich zum Original. "Deliverence" kam etwa als "Beim Sterben ist jeder der erste" hierzulande ins Kino, "Loving You" als "Gold in heißer Kehle", "Wise Guys" als "Zwei Superpflaumen in der Unterwelt", "Stripes" als "Ich glaub' mich knutsch ein Elch!" und "The Split" als "Bullen - wie lange wollt ihr leben?", um nur einige zu nennen.
"Cinema Speculation" ist nicht nur ein Lexikon mit einer Flut an Informationen, sondern eben auch eine Entdeckungsreise ins Quentin-Land. Das letzte Wort dazu sei dem Autor überlassen: "Wenn ihr also dieses Filmbuch hier lest, um hoffentlich ein paar Kleinigkeiten über Filme zu erfahren, und euch der Kopf schwirrt vor lauter unbekannten Namen: Glückwunsch, ihr seid dabei, was zu lernen."
(S E R V I C E - Quentin Tarantino: "Cinema Speculation", aus dem Englischen von Stephan Kleiner, Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 27,50 Euro)
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