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Reinhard Kaiser-Mühlecker zu Buchpreisen: "Es ist ein Spiel"

Der Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker (39) ist derzeit der Darling der Literaturpreis-Jurys. Gestern, Mittwoch, las er aus seinem vielfach nominierten Roman "Wilderer" in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien. Davor gab er der APA Auskunft über seine Haltung zum Literaturbetrieb, seine Motivation fürs Schreiben, die Lage auf dem von ihm vor eineinhalb Jahren übernommenen Bauernhof der Eltern und über sein erstes Kinderbuch, das in Kürze erscheint.

APA: Herr Kaiser-Mühlecker, Ihr Roman "Wilderer" ist gleich für drei bedeutende Literaturpreise nominiert, den Österreichischen, den Bayerischen und den Deutschen. Einfach ein Super-Buch, oder spielen da möglicherweise auch andere Faktoren mit eine Rolle?

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Sie wissen genauso gut wie ich und alle anderen, wie viel Zufall und wie viel Glück es braucht, dass man da nominiert wird. Man kann es nicht beurteilen. Wenn es so ist, freut man sich. Wenn es nicht so ist, kann man es auch nicht ändern.

APA: Wie gehen Sie in diese kommenden spannenden Wochen? 2016 waren Sie ja ebenfalls bereits für den Deutschen und den Österreichischen Buchpreis nominiert. Damals ist nichts daraus geworden. Hat Sie das mit Gelassenheit erfüllt, weil Sie wissen, dass es keine Aufregung wert ist?

Kaiser-Mühlecker: Beim letzten Mal war "Fremde Seele, dunkler Wald" dann auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, insofern gab es zwar nicht den Preis, aber sehr viel Aufmerksamkeit, sehr viel mehr verkaufte Bücher als üblich. So sehe ich das: Es ist ein Spiel, und wir spielen es mit, denn es macht keinen großen Aufwand und schadet niemandem. Damals war mein Sohn ein Jahr alt, und ich war ganz froh, dass der Rummel dann auch wieder vorbei war - weil ich gerne beim Kind war und nicht auf großer Tour.

APA: Ist Ihr Sohn Vorbild für die Figur des Buben Fred in Ihrem ersten Kinderbuch "Wann kommst du, Papschku?", das in Kürze erscheint?

Kaiser-Mühlecker: Ich hab das Buch für ihn geschrieben. Ich konnte ihn während des ersten Corona-Lockdowns lange nicht sehen, weil er im Ausland lebt.

APA: Haben Sie Lust bekommen, in diesem Genre weiterzumachen?

Kaiser-Mühlecker: Ich denke, mein Hauptgebiet ist die Prosaarbeit im Roman und nicht das Kinderbuch. Das war eine einmalige Sache - obwohl man das ja nie so genau sagen kann. Aber ich habe nie eine besondere Affinität zu Kinderbüchern gehabt - weder als Kind noch als Erwachsener. Ich habe dem Kind eigentlich auch immer Erwachsenenbücher vorgelesen, die ich dann eben erklärt habe.

APA: Die schönen Illustrationen nehmen einen gefangen. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Zeichnerin Marie Bonnin?

Kaiser-Mühlecker: Sie ist meine Schwägerin. Ich habe sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, etwas mit mir zu machen. Ich habe diese kleine Geschichte gehabt und sie hat dann auch Lust darauf gehabt. Eine richtige Familienarbeit war das.

APA: Sie haben den Bauernhof Ihrer Familie übernommen. Wie schafft man es da, in 14 Jahren acht zum Teil sehr umfangreiche Romane zu schreiben?

Kaiser-Mühlecker: Den Betrieb habe ich erst vor eineinhalb Jahren übernommen. Davor hatte ich ein relativ freies Leben ohne einen anderen Beruf und mit relativ viel Zeit zum Schreiben. Und jetzt findet sich die Zeit auch immer wieder. Ich muss ja auch nicht jedes Jahr ein neues Buch haben.

APA: Sie haben mehrfach gesagt, eine Motivation Ihres Schreibens sei es, Ihre Lebenswelt zu vermitteln, die ein Großteil Ihrer Leserschaft wohl nicht kennt. Ist es nicht so, dass jeder Autor, jede Autorin aus dem eigenen Erleben schöpft?

Kaiser-Mühlecker: Ich glaube auch, dass es eigentlich nicht ungewöhnlich ist, wenn man das Eigene hernimmt. Aber ich habe es schon sehr früh als Mangel empfunden, dass über diese Welt kaum gesprochen wird oder ich mich auch selbst schon früh im Leben im Grunde ein bisschen geschämt habe für diese Herkunft. Sobald man sie nämlich verlässt, bekommt man oft mit, dass sie keinen hohen Stellenwert hat. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich auch selber in gewisse Muster verfalle, und dann kam der Trotz und ich dachte: Das ist wahrscheinlich genau die Aufgabe, die sich mir stellt und der ich mich stellen muss: über diese Welt zu schreiben. Und wenn man dann über alles nachzudenken beginnt, merkt man: Da gibt es nicht so bald ein Ende - obwohl ich mir durchaus wünschen würde, einmal etwas anderes zu schreiben. Aber warum eigentlich? Wenn man sein Gebiet hat...

APA: Es gibt in Österreich eine Erzähltradition, die von Menschen mit schwieriger Kindheit im ländlichen Raum erzählt, die sich erst befreien mussten. Bei Ihnen wirkt dieser Prozess deutlich entspannter. Oder war es doch nicht so einfach?

Kaiser-Mühlecker: Es ist nie einfach, wenn man eine Lebenswelt verlässt, in der dieses Verlassen nicht vorgesehen war. Zumindest ist ein Kind immer dafür vorgesehen, dass es diese Welt nicht verlässt. Natürlich ist das nicht ohne Friktionen gegangen, auch wenn es im Nachhinein vielleicht so aussieht. Aber man muss sich den Dingen stellen, das ist meine Ansicht. Man könnte vielleicht woanders hingehen. Ich bin aber nicht im Alter von Franz Innerhofer oder Josef Winkler. Bei uns gibt es schon sehr viel Abstand zur Kriegsgeneration. Das macht einen Unterschied. Natürlich ist es eine Option, dass man das alles ablehnt und man diese Ablehnung beschreibt. Aber das wurde durchexerziert von der Generation davor. Meine Generation ist eine andere und muss einen eigenen Weg finden. Ganz von selbst. Weil sie eine andere ist. Weil ihre Geschichte eine andere ist.

APA: Den Weg, den Sie gefunden haben, haben Sie den primär aus Solidarität zu Ihren Eltern eingeschlagen, obwohl Sie ihn als Last empfunden haben, oder hat es sich dann auch als Geschenk herausgestellt?

Kaiser-Mühlecker: Beides. Es ist sicher ein Geschenk, einen Stoff zu haben, der einem gar nicht ausgehen kann - weil es ein Raum ist voller Geschichten, die unmittelbar mit mir zu tun haben. Und das andere ist schon eine Art von Solidarisierung mit dieser Lebenswelt - die mir natürlich gleichzeitig auch sehr fremd ist. Man muss Farbe bekennen, dachte ich irgendwann. Dann kann man entweder weggehen oder das Gegenteil. Es gibt nichts dazwischen. Wenn man sich in dieser Weise mit Dingen beschäftigt, müssen es die eigenen sein.

APA: Sind die beiden Protagonisten in "Wilderer", der Bauer Jakob und die Künstlerin Katja, ein Abbild der zwei Seelen, die in Ihrer eigenen Brust wohnen?

Kaiser-Mühlecker: Vermutlich ist das so. Ich bin schon lange in der Literaturwelt unterwegs. Das ist auch ein Zuhause geworden. Das andere gibt es natürlich auch. Es ist ein Versuch, diese beiden Welten miteinander sprechen zu lassen - weil Welten miteinander sprechen sollten, denn sonst entstehen nur unüberwindliche Gräben. Dann haben wir das Dilemma, das sich überall auf der Welt darstellt, dass niemand den anderen mehr versteht. Meine Aufgabe sehe ich schon stark darin, zu schaffen, im Leser einen Blick dafür zu wecken, dass es auch andere gibt.

APA: Ich habe ungefähr eine Ahnung wie es Künstler und Literaten derzeit geht, aber wenig Einblick in die derzeitige Situation der ländlichen Bevölkerung. Wie geht es Ihnen mitten in Energiekrise und Teuerungswelle als Bauer?

Kaiser-Mühlecker: Die Lage in der Landwirtschaft ist natürlich sehr facettenreich. Wir haben eine biologische Landwirtschaft, sind also von den Preissteigerungen bei synthetischen Dünge- und Spritzmitteln nicht betroffen. Die Dieselpreise sind natürlich ein Thema, die sind explodiert, auch die Futtermittelpreise steigen immer weiter - da ist kein Ende absehbar. Wie die Entwicklung absatzseitig ist, kann man auch nicht vorhersehen. Das war jahrzehntelang stabil. Jetzt ist es brüchig geworden. Die Lage ist extrem angespannt. Das Bauernsterben hat nicht aufgehört.

APA: In "Wann kommst du, Papschku?" entsteht fast eine ländliche Idylle. Ein realistisches Abbild Ihres Hofes?

Kaiser-Mühlecker: Es ist ein Kinderbuch, und dort darf man idyllisieren. Ich selbst hab am Hof gerade eine Baustelle. Da herrscht das Chaos.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZUR PERSON: Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien und führt die Landwirtschaft seiner Vorfahren. Seit seinem Debütroman "Der lange Gang über die Stationen" (2008) erschienen u.a. die Romane "Magdalenaberg", "Wiedersehen in Fiumicino", "Roter Flieder", "Schwarzer Flieder", "Fremde Seele, dunkler Wald" und "Enteignung". Im März erschien sein Roman "Wilderer", der für den Deutschen, den Bayerischen und den Österreichischen Buchpreis nominiert wurde.

(S E R V I C E - Reinhard Kaiser-Mühlecker: "Wilderer", S. Fischer Verlag, 352 Seiten, 24,70 Euro, ISBN: 978-3-10-397104-0; Reinhard Kaiser-Mühlecker: "Wann kommst du, Papschku?", Illustriert von Marie Bonnin, Karl Rauch Verlag, 56 Seiten, 20,60 Euro, ISBN: 978-3-7920-0380-0)