APA - Austria Presse Agentur

Rot-Pink in Wien geht in die zweite Halbzeit

Rot-Pink in Wien geht in die zweite Halbzeit. Das Bündnis wurde im November 2020 aus der Taufe gehoben - mit überdimensionalem Punschkrapfen als Deko und einer speziellen Titulierung: SPÖ und NEOS sprechen gerne von der "Fortschrittskoalition". Die Zusammenarbeit verlief, so weit es für Außenstehende zu beurteilen ist, bisher weitgehend friktionsfrei. Bei den Corona-Maßnahmen zog man etwa meist an einem Strang. Nur vereinzelt gab es - Stichwort: Wien Energie - Dissonanzen.

Die SPÖ-NEOS-Koalition wurde nach der Wien-Wahl 2020 geschmiedet, wobei nur etwas mehr als zwei Wochen verhandelt wurde. Rot-Pink löste damit die rot-grüne Stadtkoalition ab, die seit 2010 die Bundeshauptstadt regiert hatte. Das Regierungsübereinkommen wurde von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und NEOS-Chef Christoph Wiederkehr am 17. November 2020 präsentiert. Wenige Tage später, am 24. November, erfolgte die Angelobung im Gemeinderat. Wiederkehr wurde zum Vizebürgermeister gekürt und übernahm die Funktion des amtsführenden Stadtrats für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz.

Die Voraussetzungen zu Beginn der Legislaturperiode waren denkbar schwierig. Der Fokus lag vor allem bei der Bewältigung der Pandemie. Wien ging dabei stets nach gleichem Schema vor: Bürgermeister Ludwig führte Beratungen mit seinem aus Fachleuten bestehenden Gremium durch und präsentierte anschließend Maßnahmen. Daraus ergab sich oft ein vergleichsweise vorsichtiger Weg sowie eine gewisse Berechenbarkeit. Verwiesen wurde auch darauf, dass man zu Spitzenzeiten die Belastung in den Spitälern geringer halten konnte als zum Teil im Rest des Landes. Hohe Zustimmungswerte bei Umfragen zum Thema scheinen das Vorgehen im Nachhinein zu bestätigen. In der Koalition gab es erst gegen Ende Diskussionen, etwa als die NEOS die Verlängerung der Maskenpflicht in den Öffis kritisierten.

Andere Schwerpunkte fristeten zunächst eher ein Dasein im Hintergrund. Um zu zeigen, dass man auch sonst nicht untätig ist, konzipierte die Koalition einen "Regierungsmonitor", in dem der aktuelle Stand bei der Umsetzung gemeinsamer Vorhaben für alle einsehbar dokumentiert wird. Die Zielsetzungen ergaben sich in weiterer Folge aber ebenfalls oft wieder durch externe Faktoren. So mussten etwa Menschen, die vor dem russischen Überfall aus der Ukraine geflohen waren, betreut, untergebracht oder auch eingeschult werden. Maßnahmen gegen die Inflation und die Energiekrise waren ebenfalls nötig. Wien initiierte dabei eine Reihe von Unterstützungen etwa im Bereich Wohnen.

Manche Herausforderungen in der ersten Periodenhälfte waren aber auch hausgemacht. Dass Wiederkehr ein neues Prozedere für die Zuteilung der Lehrplanstellen einführte, sorgte in den Schulen für teils heftige Proteste. In den Kindergärten machten problematische Fördermittel-Verwendungen und Fälle von Missbrauchsverdacht Schlagzeilen. Auf Wunsch des Stadtrats kam es auch zu einem Wechsel an der Spitze der zuständigen Magistratsabteilung. Dass der Ressortchef die Engpässe in der Magistratsabteilung 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft) nicht umgehend beseitigen konnte, gilt zumindest als keine große Überraschung. Reformschritte, so versichert man, würden aber bereits Wirkung zeigen.

Ein weiterer Dauerbrenner mutierte in den vergangenen zweieinhalb Jahren erneut zum großen Aufreger: die hochrangigen Straßenprojekte im Nordosten Wiens. Die Proteste gegen Nordostumfahrung, Lobautunnel und die Verbindung zur Tangente - also der sogenannten Stadtstraße - gipfelten in der Räumung mehrer Protestcamps. Ludwig verwies auf zahlreiche Gesprächsangebote, die Aktivisten wiederum kritisierten das gewaltsame Vorgehen.

Der Lobautunnel wurde jedoch nicht durch Proteste, sondern vom Bund begraben. Das erboste die SPÖ, wobei bei einem Parteitag auch rote Delegierte die Verkehrspolitik der eigenen Partei kritisierten. NEOS-Chef Wiederkehr machte ebenfalls klar, dass er wenig vom Tunnelprojekt hält. Ansonsten ist man im Umwelt- und Klimabereich weitgehend einig. So wurde etwa ein Konzept für den Ausstieg aus Gas - mit dem in Wien viele Wohnungen geheizt werden - verabschiedet.

Im Sommer des vergangenen Jahres sorgte dann die städtische Wien Energie für einen veritablen Knalleffekt. Sie benötigte dringend Notkredite, da sie Sicherheitsleistungen für den Strom- und Gashandel nicht mehr aus eigener Kraft stemmen konnte. Bekannt wurde die Notlage überraschend nach einer Sitzung mit dem Bund. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, da die Kredite zum Teil nicht benötigt bzw. zurückgezahlt wurden. Gänzlich ohne innerkoalitionäre Spannungen verlief die Causa aber nicht. Wiederkehr bezeichnete die Vorgänge als untragbar. Das Krisenmanagement des Versorgers sei unzureichend, in der Kommunikation fehle jeglicher Wille zur Transparenz, monierte er damals.

Wirklich trüben konnten derartige Zwischenfälle die rot-pinke Beziehung aber nicht. Man lobt den konstruktiven Austausch, der auf Augenhöhe stattfindet, wie die - größentechnisch doch arg unterschiedlichen - Partner betonen. Von 800 im Koalitionspapier mit der SPÖ vereinbarte Projekten seien bereits rund 600 abgeschlossen oder in Umsetzung, zeigten sich die NEOS kürzlich zufrieden. Zuletzt wurde die Prüfbefugnis des Stadtrechnungshofs ausgeweitet und die Wahlkampfkostenobergrenze reduziert.

Stabil präsentierte sich die Wiener Stadtregierung auch personell. Die Riege der Ressortchefinnen und -chefs hat sich bisher nicht geändert. Hilfreich ist vermutlich auch, dass die beiden Parteien intern gefestigt sind - sieht man von der Situation der Bundes-SPÖ ab, die sich auf die Arbeit in Wien aber sichtlich nicht auswirkt. Einer Fortsetzung der Koalition nach der Wien-Wahl 2025 steht zumindest aus Sicht der NEOS nichts im Weg. Bis 2030 würde man jedenfalls gerne mitregieren, ließ man zuletzt wissen.