APA - Austria Presse Agentur

Russlands Getreideblockade löst Hungerkrise in Afrika aus

In Afrika steht die Uhr auf fünf vor zwölf. In der Sahelzone - von Senegal im Westen bis Djibouti im Osten - könnten bald 60 Millionen Menschen hungern.

Auf dem Kontinent droht eine der schlimmsten Hungerkrisen, die die Welt je gesehen hat. Grund für das katastrophale Ausmaß ist der bereits mehr als drei Monate dauernde russische Angriffskrieg auf die Ukraine.

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Die Ukraine und Russland sind die größten Weizen-Exporteure weltweit, verantwortlich für knapp ein Drittel des globalen Bedarfs. Da Russland die ukrainischen Häfen und damit die Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten über das Schwarze Meer blockiert, könnten laut den Vereinten Nationen weltweit 1,4 Milliarden Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein: in Afrika, aber auch in Syrien, Jemen, Libanon und Afghanistan.

Um eine Katastrophe abzuwenden, will Afrika nun direkt mit Russland verhandeln. Der Präsident der Afrikanischen Union (AU) und Senegals, Macky Sall, traf am Freitag in Sotschi am Schwarzen Meer auf Kremlchef Wladimir Putin, um eine Aufhebung der Ausfuhrblockade zu fordern. "Afrika ... ist der Situation völlig ausgeliefert", klagt Sall. Die AU plädiere für die Freigabe aller Lebensmittelprodukte, um eine Hungersnot abzuwenden. Es gäbe zudem mehrere Initiativen, um Länder mit Getreidevorräten aufzufordern, diese freizugeben, um Russland unter Druck zu setzen. Sall weist darauf hin, dass eine Hungerkrise nicht nur für Afrika katastrophale Folgen hätte; sie könne eine massive Migrationskrise Richtung Europa auslösen.

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Russland fordert im Gegenzug eine Aufhebung der Sanktionen. Dafür müsse sich Afrika im Westen einsetzen, wenn es ein Ende der Blockade wolle, sagte Lawrow. Er sieht die afrikanischen Länder, von denen viele auch Waffen aus Russland beziehen, als Partner. Zahlreiche afrikanische Länder haben Russland bisher nicht für die Invasion der Ukraine verurteilt – und dafür harsche internationale Kritik geerntet. Mit einer sich wöchentlich verschärfenden humanitären Krise, könnte sich diese Einstellung jedoch bald ändern.

Ende Mai hatte Sall auf einem EU-Gipfel in Brüssel noch vorsichtig formuliert, afrikanische Staatschefs seien über die "Nebeneffekte" der Sanktionen gegen Russland "sehr besorgt". Die AU unterstütze "den vorgeschlagenen UN-Mechanismus, um die Situation zu lösen". UN-Beamte versuchen, einen Deal auszuhandeln, um Getreide aus ukrainischen Häfen in von Lebensmittelexporten abhängige Länder zu bringen.

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Auch die Türkei will am kommenden Mittwoch zwischen Russland und der Ukraine vermitteln. Moskau bekundete die Bereitschaft, verschiedene Möglichkeiten eines ungehinderten Getreideexports zu erörtern. Nach Darstellung des russischen Außenministers Sergej Lawrow ist mit Ankara vereinbart worden, dass das Land bei der Entschärfung ukrainischer Seeminen helfen könne, damit die Schiffe aus den Häfen auslaufen könnten.

Auf dem Weltmarkt sollen 2022 aufgrund des Kriegs zehn bis zwölf Millionen Tonnen Weizen fehlen. Die 54 Länder Afrikas importieren nach UN-Angaben knapp die Hälfte ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. In Somalia sind es sogar mehr als 90 Prozent, im Sudan rund 60 Prozent. Russland ist außerdem ein wichtiger Düngemittellieferant für ein Dutzend afrikanische Länder.

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Nach Angaben der Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) sind Weizenpreise auf dem Kontinent bereits um 60 Prozent angestiegen. Es gibt ein Defizit von zwei Millionen Tonnen Dünger, der zu einem 20-prozentigen Rückgang in der Nahrungsmittelproduktion führen könnte. Der Kontinent könne aufgrund des Kriegs bis zu 13 Milliarden Euro in Nahrungsmitteln verlieren, sagt AfDB-Präsident Akinwumi Adesina. Das könnte noch dieses Jahr weitere 1,8 Millionen Afrikaner in extreme Armut stürzen, warnte er.

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Vorwürfe, Russland setze Hunger als Kriegswaffe ein, werden immer lauter. Doch Moskau weist entsprechende Anschuldigungen auch der Bundesregierung zurück - und gibt dem Westen die Verantwortung. Weil russische Frachtschiffe mit Sanktionen belegt seien, könnten diese kein Getreide exportieren, sagt Lawrow. Der Westen behaupte zwar, dass Lebensmittel nicht mit Sanktionen belegt seien, verschweige aber zugleich, dass sie nicht transportiert werden könnten, so der Außenminister.

Für die Menschen in Afrika verschärft jeder weitere Blockadetag die Lage. In den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern wie Äthiopien, Kenia und Somalia könnte bald alle 48 Sekunden ein Mensch an Hunger sterben, warnt die internationale Hilfsorganisation Oxfam.