APA - Austria Presse Agentur

Saison-Fehlstart mit "Die Merowinger" am Volkstheater

Dieser Wutausbruch ließ völlig kalt. Am Volkstheater wurden zum Saisonauftakt zwar ordentlich Watschen ausgeteilt, Fußtritte gegeben und Hiebe verpasst - künstliche Aufregung allerdings, deren Grund im Dunkeln blieb. Anna Badoras Inszenierung des Doderer-Romans "Die Merowinger" erwies sich am Mittwoch als Fehlstart in die letzte Spielzeit ihrer Direktion.

Den 1962 erschienenen Roman "Die Merowinger oder Die totale Familie" auf die Bühne zu bringen, ist ein echtes Wagnis. Die ziemlich durchgeknallte Handlung samt ihren zahlreichen expliziten Handgreiflichkeiten wirkt wie das bewusste Sprengen gesellschaftlicher wie literaturästhetischer Formen, die Figuren sind abstrus, die Familiengeschichte der Hauptfigur Childerich III. von Bartenbruch ist programmatisch unübersichtlich: Um sein Konzept der "totalen Familie" durchzusetzen, versucht er durch Heirat und Adoption sein eigener Vater, Großvater, Onkel und Cousin zu werden. Wer die Romanvorlage nicht kennt, ist an diesem Abend nicht nur in der Genealogie der "Merowinger" verloren.

Dabei ist es paradox: Gerade, weil Badora die wesentlichen Figuren und Handlungsstränge der Vorlage nachzuerzählen versucht, entfaltet der Abend keinerlei Kraft. Was den Zuschauer als Schlag ins Gesicht überraschen und in Erregung versetzen sollte, erweist sich als müder Watschentanz. Auf und vor einer immer wieder sich drehenden verspiegelten Treppe (Bühne: Paul Lerchbaumer und Michael Mayerhofer) ordiniert Wut-Arzt Dr. Horn (Thomas Frank), dessen zu Therapiezwecken applizierte Nasenklemmen hier SM-Maske gleichen und taumelt Childerich verloren durch ein verwirrendes Geschehen, das von einer Blaskapelle begleitet wird. Der schlanke, junge Peter Fasching ist eine Gegenbesetzung zu jenem cholerischen Typus, den Doderer im Auge hatte. Was ihn antreibt, bleibt im Ungewissen.

Um einen Bezug zum Heute herzustellen, hat man den Autor Franzobel mit der Herstellung einer Bearbeitung beauftragt. Ein an sich richtiger Gedanke. Explizit redet Dr. Horn seine Patienten daher als "Wutbürger" an und erläutern Vertreter der Firma Hulesch & Quenzel, gegründet, um ordentlich Sand ins Getriebe des Weltenlaufs zu streuen, was sie unter erfolgreicher Auftragserfüllung verstehen: "Mach den Klimawandel zu einem Gerücht!" Das wäre der archimedische Punkt gewesen, bei dem man ansetzen hätte können: Eine geheimnisvolle Organisation, die verantwortlich ist für den ganz normalen Wahnsinn unserer Gegenwart, an den wir uns bereits gewöhnt haben. Eine Fake News Agency. Oder die Eingreif-Truppe, die der Schriftsteller Döblinger dazu trainiert, aus dem Nichts zuzuschlagen und den Verdroschenen nach der Attacke lächerliche Begründungen nachzureichen. Das Terroristen-Ballett, das Badora dazu choreografiert, ist eines der wenigen kräftigen Bilder, die dieser zweieinhalbstündige Abend zu bieten hat.

1981 drehte der heute vergessene Avantgardefilmer Ernst Schmidt jr. (1938-1988) mit Protagonisten wie Franz West oder VALIE EXPORT eine bei der Viennale uraufgeführte Filmversion des Romans. "Der Film scheißt sich nichts und voll auf jeden Sinn für erzählerische Bögen und Rhythmen", heißt es in einer Filmbeschreibung. "Grell ist er und ein bisschen trashig, sieht aus, als hätte er nicht viel gekostet, bloß vieler Leute Nerven." Am Volkstheater wurden dagegen die Nerven geschont. Kein Grund zur Aufregung. Und matter Applaus am Ende.

(S E R V I C E - "Die Merowinger oder Die totale Familie" nach dem Roman von Heimito von Doderer in der Bearbeitung von Franzobel, Regie: Anna Badora, Bühne: Paul Lerchbaumer, Michael Mayerhofer, Kostüme: Beatrice von Bomhard, Musik: Klaus von Heydenaber. Mit Michael Abendroth, Bernhard Dechant, Peter Fasching, Thomas Frank, Günter Franzmeier, Katrin Grumeth, Julia Kreusch, Sebastian Pass, Renata Prokopiuk, Lisa-Maria Sommerfeld. Volkstheater Wien, Nächste Aufführungen: 15., 17., 20., 24.9., Karten: 01 / 52111-400, www.volkstheater.at)