Salzburger Festspiele: Vom "Zauberberg" bis zu "Spiegelneuronen"

Ein rundum neuer "Jedermann", Salzburgdebüts von Thom Luz und Krystian Lupa oder eine multidisziplinäre Performance von Heiner Goebbels.
Ein rundum neuer "Jedermann", Salzburgdebüts von Thom Luz und Krystian Lupa oder eine multidisziplinäre Performance von Heiner Goebbels.

Die neue Schauspielchefin Marina Davydova setzt auf die Beziehung des Menschen zur Transzendenz, zur Geschichte sowie zu seinem Körper und Geist. Dabei spielen die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts mehrfach eine Rolle, Nicolas Stemann analysiert anhand der "Orestie" eine Gegenwart, in der Demokratie immer mehr infrage gestellt wird.

Der Dom als Kulisse, eine große Partyszene mit 90 Personen und ein neues Bühnenduo im Zentrum: Viel hat der neue "Jedermann"-Regisseur Robert Carsen über seine Neuinszenierung noch nicht verraten. "Jedermann" Philipp Hochmair und "Buhlschaft" Deleila Piasko haben jedoch bereits im Vorfeld durchblicken lassen, dass es ihnen um neue, zeitgemäße Sichtweisen geht: "Er wird nicht historisch angelegt sein, sondern heutig", versicherte Hochmair im APA-Interview. Nach der viel diskutierten Ausladung von Michael Sturminger und seinem Team, stehen ab 20. Juli nun etwa Dörte Lyssewski als der arme Nachbar und die Werke, Arthur Klemt als Schuldknecht oder Regine Zimmermann als Glaube auf der Bühne. Den Tod gibt Dominik Dos-Reis, Andrea Jonasson spielt Jedermanns Mutter, als Jedermanns guter Gesell und Teufel wurde Christoph Luser verpflichtet.

In der ersten Schauspielpremiere nach dem "Jedermann" wartet man mit einem Debüt auf, ist der Schweizer Regisseur Thom Luz doch erstmals in Salzburg engagiert, wo er ab 27. Juli eine von ihm kreierte Fassung von Stefan Zweigs "Sternstunden der Menschheit" zeigen wird. Wie schon bei der Festwochen-Produktion "Lieder ohne Worte" im Jahr 2021 setzt Luz auf die Zusammenarbeit mit seinem Landsmann Mathias Weibel, der für den musikalischen Teil der Inszenierung verantwortlich zeichnet. "Nach dem Vorbild von Charles Ives' vertikaler Komposition werden die Klänge und Sprachfragmente wie letzte Hemden im Überseekoffer übereinandergelegt", heißt es in der Ankündigung. Dadurch entstehe für jeden Sitzplatz im Landestheater ein "individuelles Hörerlebnis", das das Heimatlosenorchester München-Rio-Addio realisiert. In der Koproduktion mit dem Residenztheater München gibt es auch ein Wiedersehen mit Vincent Glander und Steffen Höld, die unter Residenztheater-Direktor Andreas Beck am Schauspielhaus Wien engagiert waren.

Vom 20. Jahrhundert zurück in die Antike geht es ab 3. August, wenn Nicolas Stemann nach seiner legendären "Faust"-Inszenierung von 2011 zurück an die Salzach kehrt und sich auf der Perner-Insel der "Orestie" nach Aischylos, Sophokles und Euripides widmet. Die Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg entsteht "vor dem Hintergrund einer Gegenwart, in der Demokratie immer mehr infrage gestellt und - ähnlich wie Pazifismus - wie ein Auslaufmodell gehandelt wird", heißt es in der Ankündigung dieser Neufassung dreier antiker Stücke, in der es ein Wiedersehen mit Sebastian Rudolph gibt, der für seine Leistung in Stemanns "Faust" damals in der Kritikerumfrage der Zeitschrift "Theater heute" zum "Schauspieler des Jahres" gekürt wurde. Auch Patrycia Ziolkowska und Barbara Nüsse sind wieder mit von der Partie.

"Spiegelneuronen" heißt der "dokumentarische Tanzabend von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) und Sasha Waltz, der ab 14. August in der Szene Salzburg das menschliche Gehirn und sein Verhältnis zum Körper in den Fokus rückt. Teil dieses "Experiments" ist auch das Publikum, das dazu eingeladen ist, den Tanz nicht nur zu beobachten, sondern sich auch selbst zu bewegen und "als aktiver Teil eines gemeinsamen Systems zu agieren, sich selbst als Teil einer Art großen Gehirns zu erleben". Die dokumentarische Recherche zu diesem Abend bezieht Konzepte aus Hirnforschung, Biologie, Soziologie und künstlicher Intelligenz ein.

Am 20. August warten die Festspiele dann erneut mit einem Debüt auf: Stolze 18 Schauspielerinnen und Schauspieler finden sich auf der Bühne des Landestheaters ein, wenn der polnische Regisseur Krystian Lupa in der Koproduktion mit dem litauischen Jaunimo Teatras Thomas Manns großen Bildungsroman "Der Zauberberg" für die Bühne adaptiert und somit erstmals für die Festspiele arbeitet. Der Regisseur, der in Wien etwa 2019 mit der Kafka-Adaption "Proces" bei den Festwochen zu Gast war, will in seine Inszenierung auch eine eigene - frühe - Romanidee verweben und verweist in der Ankündigung auf Parallelen zu Stefan Zweigs "Die Welt von Gestern", in der die im "Zauberberg" anklingenden Vorahnungen des Krieges zur bitteren Realität wurden. Gespielt wird in litauischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.

Zum Abschluss steht ab 23. August schließlich die großformatige Arbeit "Everything That Happened and Would Happen" von Heiner Goebbels auf dem Programm. In der Auseinandersetzung mit der zerstörerischen Geschichte Europas der vergangenen 100 Jahre stehen drei Inspirationsquellen Pate: Zum einen der Text "Europeana - Eine kurze Geschichte Europas im 20. Jahrhundert" des tschechischen Autors Patrik Ouředník, zum zweiten Bühnenbildelemente, die Klaus Grünberg zu Heiner Goebbels' Inszenierung von John Cages Anti-Oper "Europeras 1 & 2" entworfen hat und schließlich tagesaktuelle Nachrichtenbilder des Fernsehsenders "Euronews". Auf die Welt gebracht wird das Unterfangen von einem internationalen Ensemble aus Tänzer:innen, Performer:innen und Musiker:innen.                                                    

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