APA - Austria Presse Agentur

Salzburgs Festspielredner Nida-Rümelin: "Höre auch Techno"

Der Philosoph, Buchautor und frühere deutsche Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin hält am Sonntag die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen.

Im APA-Interview spricht der 66-Jährige über die Feinde des Humanismus, die Fehler der Coronapolitik, das utopische Potenzial der Festspiele und seine musikalischen Vorlieben.

APA: Herr Nida-Rümelin, ist Ihre Eröffnungsrede schon fertig?

Julian Nida-Rümelin: Ich halte meine Reden immer frei, da gibt's kein Manuskript. Es gibt natürlich ein Konzept, über das ich jetzt gründlich nachgedacht habe. Ich war kürzlich auch in einer Schreibklausur im Süden Europas und habe da einen Text geschrieben und öfter mal über meine Rede nachgedacht. Aber das ist es dann auch.

APA: Aber sind die Salzburger Festspiele für einen versierten Redner wie Sie, der sich regelmäßig öffentlich äußert, noch einmal eine besondere Aufgabe?

Nida-Rümelin: Das ist schon etwas ganz Besonderes, denn in aller Regel habe ich ja ein relativ homogenes Publikum aus der Wissenschaft. Da weiß man, was man voraussetzen kann und was die Erwartungen sind. Und dann habe ich allgemeine Publikumsveranstaltungen. Bei den Festspielen ist es insofern noch einmal anders, als so gut wie alle, die dort sind, ein intensives Kunst- und Kulturinteresse mitbringen. Andererseits gibt es ein relativ breites Spektrum von Interessen. Sowohl die zu befriedigen, die anspruchsvolle Philosophie erwarten, als auch die, die ein Vorspiel wollen zu den weiteren Kunstgenüssen, ist nicht so ganz einfach. Aber mein Job ist es ja auch nicht, alle Erwartungen zu befriedigen, sondern zum Nachdenken anzuregen. (lacht)

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APA: Das Thema Ihrer Rede lautet "Eine humanistische Utopie". Können Sie kurz umreißen, was Sie darunter verstehen?

Nida-Rümelin: Ungern, denn das soll ja die Überraschung sein. Der Titel ist so gewählt, dass er bewusst falsche Erwartungen weckt. Aber ich kann vielleicht den Hinweis geben: Mir ist vor 15 oder 20 Jahren klar geworden, dass das, was mich da umtreibt - und zwar sowohl in der Philosophie als auch in der Politik - zusammengehalten wird durch eine offenbar tief verankerte humanistische Überzeugung, die es lohnt zu verteidigen gegen ihre Feinde. Manche sind sympathische Feinde - z.B. aus den Neurowissenschaften, die uns freundlich informieren, dass das leider ein Irrtum sei, dass Menschen Verantwortung haben für das, was sie tun, und dass deswegen unser Selbstbild eine Illusion sei. Auf der anderen Seite gibt es Angriffe ganz anderen Kalibers: der Trumpismus oder gar Identitäre, Rechte. Die sagen: "Dieses ganze humanistische Gerede muss jetzt weg. Wir müssen wieder unsere Identitäten herstellen und das geht nicht mit so illusionären Vorstellungen von Kosmopolitismus und Zusammenhalt der Menschheit." Beide haben eines gemeinsam in meinen Augen - nämlich, dass sie die Fundamente der Zivilkultur erschüttern, die die Demokratie trägt.

APA: Durch die Coronapandemie, aber vor allem durch die drohende Klimakatastrophe, gewinnt man zunehmend den Eindruck, Politik und Gesellschaft befinden sich nur noch im Dauerkrisenmodus. Sehen Sie derzeit überhaupt noch Platz für bzw. Interesse an Utopien im Sinne eines positiven Gegenentwurfs für die Zukunft?

Nida-Rümelin: Das ist genau der Punkt. Wir haben jetzt Utopien, die über Jahrzehnte durchaus mächtig waren. Das waren lange Zeit die Utopien von links im Gefolge der 68er. Und dann die Utopie des Neoliberalismus, also die Auflösung aller Staatlichkeit in für uns alle nützliche Märkte. Und diese sind jetzt ersetzt durch Dystopien, durch Prophezeiungen des Untergangs oder zumindest Niedergangs oder der ganz schrecklichen Zukunft. Das hält keine Gesellschaft auf Dauer aus. Das ist jetzt natürlich kein Vorschlag, die Probleme, Herausforderungen und Gefahren zu verharmlosen. Aber wenn wir z.B. Ökologie und Energiepolitik allein dystopisch betreiben, dann wird das nicht funktionieren.

APA: Sehen Sie mit Blick auf ihr 100-jähriges Bestehen in den Salzburger Festspielen eine Art utopisches Projekt?

Nida-Rümelin: Ich bin jetzt kein Historiker der Entwicklung der Festspiele, aber wenn ich das recht sehe, waren diese ja auch durchaus als Konkurrenz zu den Bayreuther Festspielen gedacht. Diesem puritanischen Zug, auf ein Werk zu fokussieren, setzte man in Salzburg die Vielfalt entgegen - und das direkt im Anschluss an die Doppelkatastrophe des Ersten Weltkriegs und der unmittelbar daraufhin tobenden Spanischen Grippe. Das hat schon starke utopische Züge. Ich würde sogar soweit gehen: Die Kunst hat immer etwas Utopisches, die moderne Kunst jedenfalls. Sie steigt aus den Verwertungszusammenhängen aus, aus dem Alltagsleben. In der Bildenden Kunst werden eigene White Cubes gebaut, wo man dann die Bilder hinhängt - rausgelöst aus dem Kontext. Aber auch ein Konzert ist eine Herauslösung: Die Leute gehen in ein Konzerthaus, sondern sich also gewissermaßen ab. Die Kunst führt also raus aus dem Alltag, da kann man sich noch so dagegen wehren. Kunst ist immer auch etwas Transzendierendes und damit auch etwas Utopisches.

APA: Das Kulturleben wurde wegen der Pandemie über lange Strecken sehr klein gehalten. Jetzt ist davon die Rede, dass Corona die digitale Transformation in vielen Bereichen beschleunigt habe. Sehen Sie diese Entwicklung auch in der Kunst oder braucht Kunst zwingend die physische Unmittelbarkeit?

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Nida-Rümelin: Ich möchte zwei Dinge dazu sagen. Erstens: Ich habe mich, seit ich nicht mehr in der Kulturpolitik bin, öffentlich nicht zu kulturpolitischen Themen geäußert - mit einer Ausnahme: Ich habe während der Pandemie scharf kritisiert, wie wir mit den Künsten umgegangen sind. Manches war unumgänglich, aber gerade Deutschland hat mit dem Teillockdown um die Jahreswende das Signal gesendet: Wir verzichten auf das, was nicht wirklich wichtig ist - nämlich die Freizeit, zu der Kunst und Kultur dazugehören. Und das gegen alle Evidenzen. Museen waren nie Orte des Infektionsgeschehens. Das war ein großer Fehler, das hat die vermeintliche Entbehrlichkeit so hart dokumentiert. Das Zweite ist: Ich bin der Auffassung, wir sollten das weder als apokalyptische Bedrohung der Künste abwehren, was durch die digitale Transformation kommt, noch als großen disruptiven Akt der völligen Umgestaltung der Künste interpretieren. Die digitalen Technologien dringen natürlich auch ein in die Kunstpraxis, aber das ist ein kontinuierlicher Prozess, und viele Inhalte der Kunstpraxis sind davon nicht abhängig. Die Schallplatte hat jetzt nichts Grundlegendes an der Musik geändert - natürlich an der Musikverwertung, aber die Anforderungen an Musiker und Komponistinnen haben sich nur unwesentlich verändert. So ähnlich sehe ich das da auch. Für viele Künste ist die unmittelbare Begegnung absolut unverzichtbar, das gilt natürlich insbesondere für Theater, Oper, Performance.

APA: Nachdem die Pandemie noch nicht überwunden ist - sehen Sie einen Lernprozess bei der Politik im künftigen Umgang mit Kunst und Kultur?

Nida-Rümelin: Ich glaube schon. Wir haben in der 1. Welle gelernt, dass Bildung nicht einfach geschlossen werden kann. Wir haben vielleicht in der 2. Welle gelernt, dass es ohne Kunst und Kultur trostlos wird - im wörtlichen Sinne. Wenn es zu einer weiteren Welle kommen sollte, ist meine große Hoffnung, dass wir uns da sensibler verhalten.

APA: Da die Festspiele vorrangig ein Musikfestival sind: Welche Musik hat es Ihnen denn angetan?

Nida-Rümelin: Bei mir ist das relativ bunt zusammengemischt. Ich bin mit klassischer bildungsbürgerlicher Musik aufgewachsen und habe mich als Kind auch relativ viel herumgequält mit Cembalo. Da war ich nicht besonders begabt. (lacht) Aber nach wie vor finde ich die Klassiker ganz wunderbar - ob das jetzt Bach, Mozart, Tschaikowsky oder Ligeti ist. Aber ich höre auch Techno gern.

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APA: Bleibt Zeit in Salzburg für die eine oder andere Vorstellung?

Nida-Rümelin: Auf jeden Fall. Wir werden den "Jedermann" sehen wie auch natürlich den "Don Giovanni" und die Wiener Philharmoniker.

(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)

(ZUR PERSON: Julian Nida-Rümelin wurde am 28. November 1954 in München geboren. Der Sohn des Bildhauers Rolf Nida-Rümelin studierte Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaft in München und Tübingen. Nach Professuren in den USA, Tübingen und Göttingen, lehrt er seit 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ethik, Rationalitätstheorie, politische Philosophie und Kulturtheorie bilden seine Schwerpunkte. Von 1998 bis 2002 war Nida-Rümelin in der Kulturpolitik tätig, zunächst als Kulturreferent der Landeshauptstadt München, ab 2001 ein Jahr lang als Kulturstaatsminister in der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Der gefragte Redner und Kommentator ist u.a. Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Direktor am Bayerischen Institut für digitale Transformation und seit Mai 2020 stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Als Autor wurde Nida-Rümelin 2019 in Österreich für "Digitaler Humanismus" mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das beste politische Buch des Jahres ausgezeichnet. Ausgehend von den Bewältigungsstrategien der Coronapandemie, veröffentlichte er kürzlich mit seiner Frau, der Kulturwissenschafterin Nathalie Weidenfeld, das Werk "Die Realität des Risikos. Über den vernünftigen Umgang mit Gefahren".)