APA - Austria Presse Agentur

Schallenberg besorgt: "Pandemie der Ungeimpften"

Außenminister Alexander Schallenberg hat angesichts der weltweit ungleichen Verteilung von Corona-Vakzinen Besorgnis über entsprechende Diskussionen in Österreich geäußert. Anlässlich seiner Teilnahme an der UN-Vollversammlung erklärte Schallenberg im Interview mit der APA-Austria Presse Agentur: "Wir haben den Luxus, dass wir genug Impfstoff haben. Es schmerzt mich, wenn ich mir die österreichische Debatte anschaue und dann sehe, wie das in anderen Weltgegenden ist."

"Unser Problem ist, dass wir eine Pandemie der Ungeimpften haben", meinte Schallenberg. "Zauderer und Zögerer, die sich nicht impfen lassen wollen." In "anderen Weltgegenden" würde hingegen um jedes Vakzin gekämpft, analysierte der ÖVP-Minister. Es gelte aber ein klarer Grundsatz: "Wir sind nicht in Sicherheit, solange nicht alle in Sicherheit sind."

Bezüglich der Entwicklungen in Afghanistan trat der Außenminister dafür ein, Staaten der "arabischen und muslimischen" Welt als Vermittler einzubeziehen: "Dass weniger wir als Westen mit erhobenem Zeigefinger da sind, sondern dass wir gemeinsam alle Sprachkanäle nützen." Allerdings hätten sich die radikalislamistischen Taliban nach ihrer Machtübernahme bisher als wenig vertrauenswürdig erwiesen. "Was wir sehen, ist, dass sie bei den ersten Weggabelungen grundsätzlich die falschen Abzweigungen nehmen. Dass sie A sagen, aber B machen."

Bezüglich des Klimawandels mahnte der Außenminister zu Entschlossenheit: "Das ist der Super-GAU unter den Krisen. Die Uhr tickt. Es geht darum, den Planet für die kommenden Generationen zu bewahren. In Wahrheit müssten wir mehr Alarmismus schaffen." Die transatlantischen Beziehungen mit den USA sind für Schallenberg noch ausbaufähig: "Wir sollten mehr Schulter an Schulter als Rücken an Rücken sein mit den Vereinigten Staaten."

Im Folgenden das APA-Interview mit Außenminister Schallenberg (ÖVP) im Frage-Antwort-Modus:

APA: Der Auftritt im "Großen Welttheater" bei der UNO-Vollversammlung im UNO-Hauptquartier in New York ist für Österreich wieder einmal vorbei. Wenn Sie ein Resümee ziehen, was hat diese Woche bei der Generaldebatte gebracht?

Schallenberg: Es war einmal wichtig, dass diese Generalversammlung überhaupt wieder stattgefunden hat. Weil es ja ein Jahr Pause gab, und es einfach notwendig ist, von Angesicht zu Angesicht zusammenzukommen. Diese Pandemie hat Sand in das internationale Getriebe gebracht. Sehr viele Krisen sind ausgebrochen in den vergangenen 18 Monaten. Das große Thema war Afghanistan, neben der Pandemie natürlich, die wir immer noch nicht im Rückspiegel haben, sondern in vielen Weltgegenden noch mitten drinstecken.

Aber es gibt eben auch andere Krisen. Belarus, Myanmar, Libyen. Die Atomverhandlungen, die mit dem Iran wieder aufgenommen werden müssen. Diese Woche dient dazu, dass man eben diese verschiedenen Krisenherde abarbeiten und mit den jeweiligen handelnden Personen in direkten Austausch treten kann. Das ist essenziell.

APA: Österreich hat mit dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und dem Außenminister starke Präsenz gezeigt. Andere Länder konnten das wegen Corona nicht. Ist die UNO-Generaldebatte da nicht eine Art Spiegelbild einer ungerechten Welt? Da der reiche, industrialisierte, wirtschaftsstarke Norden, dort der arme globale Süden, dem dann auch noch gönnerhaft ein paar Corona-Impfampullen zugesteckt werden?

Schallenberg: Sie berühren da natürlich einen sensiblen Punkt. Dass wir so stark vertreten waren, ist einfach ein Zeichen des Respekts und für die Wichtigkeit, die die UN für uns haben. Wir haben in Wien einen der vier UNO-Amtssitze weltweit, also war es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir hier sind.

Aber wir haben in Europa natürlich das Gefühl, dass wir schon einen Schritt raus aus der Pandemie sind. Wir haben den Luxus, dass wir genug Impfstoff haben. Unser Problem ist, dass wir eine Pandemie der Ungeimpften haben, Zauderer und Zögerer, die sich nicht impfen lassen wollen. Viele andere Weltgegenden kämpfen noch um jeden Impfstoff. Es schmerzt mich als Außenminister, wenn ich mir die österreichische Debatte anschaue und dann sehe, wie das in anderen Weltgegenden ist. Natürlich gilt in der Pandemie ein klarer Grundsatz: Wir sind nicht in Sicherheit, solange nicht alle in Sicherheit sind.

Österreich ist ein Tourismusland, ein Exportland. Wir hängen von internationalen Verbindungen ab. Wir haben jetzt fast drei Millionen Impfdosen gespendet. Im Rahmen der EU 651.000 für den Westbalkan. Wir haben dem Iran eine Million gegeben, 500.000 für die Ukraine, für den Libanon, für Tunesien, für Georgien, für Bosnien-Herzegowina. Aber wir müssen da weitermachen, weil im Grunde sind wir erst draußen aus der Pandemie, wenn jede Weltgegend genug Impfstoff hat, und alle Menschen Zugang zu Impfstoff haben. Das ist unsere einziges Exit-Ticket aus dieser Krise.

APA: Ein Hauptthema der UNO-Vollversammlung war die Klimakrise. Auch hier zeigt sich diese Kluft. Die hoch entwickelten Länder, die hauptsächlich für die Schadstoffemissionen etc. verantwortlich sind, halten ambitionierte Reden, wie der Klimawandel bekämpft werden muss. Sind diese Reden das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden? Gibt es da nicht eine gewisse Arroganz den ärmeren Ländern gegenüber, die auch ihre Beiträge leisten sollen, obwohl sie vom industrialisierten Fortschritt bisher gar nicht so profitiert haben?

Schallenberg: Ich sehe das nicht als Arroganz. In Wirklichkeit ist es wie bei der Pandemie. Es ist ein weltweites Problem, wo wir wirklich als "Weltdorf" zusammenkommen müssen. Und bei allen Problemen, die wir mit Staaten wie Russland, China oder anderen haben, werden wir dem Klimawandel nur begegnen können, wenn wir zusammenstehen. Das ist der Supergau unter den Krisen. Eine Krise, die wir ja kommen sehen. Die Uhr tickt. Es geht darum, den Planet für die kommenden Generationen zu bewahren. Also von Sonntagsreden ist eigentlich keine Spur. In Wahrheit müssten wir mehr Alarmismus schaffen.

APA: Zur Weltpolitik: Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wurde zuletzt auch als Versagen der Politik der USA aber auch der internationalen Gemeinschaft gesehen. Nun gab es bei der Vollversammlung eine Einigung auf eine Linie gegenüber den Taliban. UNO-Generalsekretär António Guterres erklärte, man strebe ein Afghanistan an, in dem "die Rechte von Frauen und Mädchen respektiert werden", ein Afghanistan, das kein "Zufluchtsort für den Terrorismus ist". Wird das die Taliban beeindrucken? Welchen Stellenwert haben solche "Resolutionen"?

Schallenberg: Wir haben nun einmal eine neue Realität in Afghanistan, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Aber es ist klar, es gibt einen Misstrauensvorschuss, es gibt keinen Blankoscheck für sie. Und wir haben auch als EU hier klare Benchmarks, die erfüllt sein müssen, damit wir in Betracht ziehen, sie überhaupt formell als legitime Vertretung Afghanistans zu akzeptieren. Dazu gehören Schutz der Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere von Minderheiten und Frauen, und dass sie nicht zu einer Brutstätte des internationalen Terrorismus und Extremismus werden.

Aber dazu gehört auch Inklusivität der Regierung. Was wir jetzt sehen, ist, dass sie bei den ersten Weggabelungen grundsätzlich die falschen Abzweigungen nehmen. Dass sie A sagen, aber B machen. Da bedarf es noch einer Wirkung von unserer Seite. Aber ich glaube, dass hier besonders die Stimmen aus der arabischen Welt, der muslimischen Welt bedeutend sind, dass die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) eine Rolle spielen könnte, dass die Nachbarstaaten gehört werden. Dass weniger wir als Westen mit erhobenem Zeigefinger da sind, sondern dass wir gemeinsam alle Sprachkanäle nützen. Damit hier nicht ein neuer Inkubator für Extremismus entsteht, der diesem nicht nur einen sicheren Hafen bietet, sondern diesen sogar exportiert. Das ist eine Furcht, die wir teilen mit den Golfstaaten und der Nachbarschaft von Afghanistan.

APA: Am Rande der UNO-Generalversammlung war auch der U-Boot-Streit zwischen Frankreich, USA und Australien ein Thema. Da wurde Österreich auch mangelnde Solidarität vorgeworfen, auch weil Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Treffen mit Australiens Premier Scott Morrison eine bilaterale Partnerschaft vereinbart hat. Wie kommentieren Sie das?

Schallenberg: Die strategische Partnerschaft zwischen uns und Australien ist eine Idee, die viel weiter zurückreicht. Etwas ist mir aber wichtig: Wir müssen klar signalisieren, dass wir zusammenstehen. Dass Australien ein Partner des Westens ist, Europas und der USA. Da dürfen wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Jetzt ist da sicher bei der Kommunikation viel schiefgegangen bei diesem U-Boot-Kauf. Aber wir haben ein Interesse an einer strategischen Allianz gegenüber einem Staat, der durchaus aggressiv versucht, ein alternatives Gesellschaftsmodell zu propagieren. Der ein systemischer Rivale für uns ist, nämlich China. Daher: Solidarität ja, aber noch wichtiger ist die strategische Zusammenarbeit mit den USA und Australien in diesen Fragen.

APA: Sie haben in ihrer Rede vor der UNO-Vollversammlung auch die Themen Digitalisierung, neue Technologien, Künstliche Intelligenz angesprochen. Vor welchen Herausforderungen steht die Welt ihrer Meinung nach?

Schallenberg: Ich glaube, dass wir gesellschaftlich vor einem enormen Bruch stehen. Mit Artificial Intelligence, Quantum Computing. Wir müssen aufpassen, dass wir gerade als freie Welt darauf achten, dass dieser technologische Sprung nicht auf Kosten unserer Werte geht. Ich will weiterhin eine pluralistische, offene, freie Gesellschaft, und wir haben festgestellt, dass technologischer Wandel nicht neutral ist. Er kann auch missbraucht werden zur Unterdrückung, um diesen Digital Divide zu erweitern. Da müssen wir sehr vorsichtig sein.

Ein konkreter Ansatzpunkt, den wir haben, ist natürlich im Bereich Abrüstung. Die sogenannten Killer-Roboter. Also Systeme, wo automatisch ein Algorithmus in einer Hundertstelsekunde über Leben und Tod entscheiden kann. Da ist ethisch, moralisch und rechtlich nicht zulässig. Da müssen wir jetzt entsprechende internationale Regeln schaffen, bevor diese Killerroboter die Schlachtfelder der Welt erreichen. Das ist für uns das große Thema, wo wir hoffentlich einen Prozess in Gang setzen, der letztlich zu einem Verbot dieser automatisierten Waffensysteme führt.

Das ist aber nur ein Teilbereich. Ich glaube, dass wir bei der artifiziellen Intelligenz mit den Vereinigten Staaten eine neuen Zugang finden müssen, der sicherstellt, dass die Rechte des einzelnen Individuums, seine Privatsphäre gewahrt bleiben. Weil die Technologie kommt. Wir müssen nur sicherstellen, dass das nicht auf Kosten unserer freien pluralistischen Gesellschaft geht.

APA: Sie haben am Rande der Generaldebatte in der Österreichischen UNO-Vertretung an einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern im Rahmen der ReFocus-Initiative des Außenministeriums teilgenommen. Was ist das Ziel dieser Initiative?

Schallenberg: Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Wir haben letztes Jahr als Außenministerium den Österreichern im Ausland geholfen, dass sie nach Österreich zurückzukehren konnten. Wir haben konsularischen Schutz geboten. Jetzt geht es darum, dass wir den Österreichern im Inland helfen, dass sie ihren Arbeitsplatz behalten. Österreich ist eine Exportwirtschaft. Wir verdienen sechs von zehn Euro im Export. Daher ist dieses Projekt ReFocus Austria sehr wesentlich. Weil es ist der größte Business Outreach, den wir je gemacht haben. Das Motto ist: "We are back in Business", "Wir sind wieder da". Damit wir nicht nur wieder das alte Niveau erreichen, das wir vor der Pandemie hatten, sondern sogar besser werden.

APA: Gab es bezüglich österreichischer Wirtschaftsinitiativen in den USA neue Erkenntnisse?

Schallenberg: Ich lege großen Wert auf die transatlantischen Beziehungen. Weltweit gibt es nur noch 25 Prozent der UNO-Mitgliedsstaaten, die unseren Way of Life, unser Wirtschaftsmodell haben. Unter diesen sind die Amerikaner die wichtigsten und nach Deutschland auch unserer wichtigster Handelspartner. Aber wir haben da noch Luft nach oben, dass wir die USA stärker auf das österreichische Radar bringen und Österreich stärker auf die Landkarte in Amerika. Wir sollten mehr Schulter an Schulter als Rücken an Rücken sein mit den Vereinigten Staaten.

(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA in New York)