Schallenberg: Sicherheitsratsreform für UN überlebenswichtig

Außenminister Alexander Schallenberg bei UN-Generaldebatte
Außenminister Alexander Schallenberg schätzt eine Reform des Sicherheitsrats für die Vereinten Nationen als überlebenswichtig ein. Österreich habe gemeinsam mit Kuwait federführend Grundparameter ausgearbeitet, für die es eine Einigung geben könne, freute sich der ÖVP-Minister zum Abschluss seines Kurzbesuchs bei der UNO-Generaldebatte in New York im APA-Interview. Gelinge dies nicht, laufe die UNO Gefahr, "irrelevant" zu werden.

Die Chancen, dass Österreichs Bewerbung für einen Sitz als nichtständiges Mitglied in den Jahren 2027 und 2028 erfolgreich sein könnte, stufte der ÖVP-Minister als gut ein. Aktuell besteht der Sicherheitsrat aufgrund von nach dem Zweiten Weltkrieg getroffenen Vereinbarungen aus fünf ständigen Mitgliedern, nämlich China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA. Dazu kommen zehn nichtständige Mitglieder. Insbesondere das Vetorecht der ständigen Mitglieder - etwa von Russland - gilt mitunter als hinderlich.

Generell schätzt Schallenberg Events wie die "High Level Week" der United Nations als Dialogforum, in dem auch der Westen Flagge zeigen kann. Zudem gelte es, auch mit "unangenehmen Partnern" Gespräche zu führen. In Europa stört den Außenminister jedoch der überhandnehmende Trend zur "Schwarzmalerei". Doch sei mehr Resilienz vorhanden, als oft vermutet werde.

Schallenberg hatte in New York am Donnerstag eine Rede vor der UNO-Vollversammlung gehalten und bis Freitagmittag zahlreiche bilaterale Termine absolviert. Samstag früh kehrte der Außenminister nach Wien zurück.

Im Folgenden das APA-Interview anlässlich der Generaldebatte der Vereinten Nationen im Frage-Antwort-Modus:

APA: Ein Thema, das in der UNO auch Österreich forciert, ist die Reform des Sicherheitsrats, des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen. Wie ist der Stand der Dinge? Warum ist eine Reform so wichtig?

Schallenberg: Zum Ersten muss ich unserem Team gratulieren. Österreich und Kuwait waren die beiden "Fazilitatoren" auf Expertenebene, die hier Monate gearbeitet haben. Es ist ein unglaublich wichtiger Durchbruch gelungen. In der Zukunftskonferenz, die Anfang dieser Woche stattgefunden hat, haben sich zum ersten Mal alle Staaten dieser Welt, insbesondere auch die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und USA, auf gewisse Grundparameter der Reform geeinigt. Erstens eine Erweiterung des Sicherheitsrats. Denn der Sicherheitsrat, den wir jetzt haben, spiegelt eine Welt von 1945 wider. Das ist eine Welt, die längst der Vergangenheit angehört. Wenn wir nicht in der Lage sind, das zu verbessern, wird die UNO irgendwann irrelevant werden. Es muss afrikanische Staaten im Sicherheitsrat geben, es braucht lateinamerikanische Staaten, asiatische Staaten.

Punkt zwei: Wir müssen das Veto einschränken, und es braucht einen Prozess der regelmäßigen Überprüfungen. Wenn wir jetzt eine Reform schaffen, müssen wir bereit sein, uns das in 50 Jahren wieder anzuschauen. Gerade Österreich will eine UNO, die relevant ist, die effizient ist und liefert. Das haben wir momentan nicht. Die UNO ist blockiert. Sei es bei der Ukraine, sei es im Nahen Osten, sei es bei afrikanischen Konflikten. Wenn das so weitergeht, wird die UNO irgendwann irrelevant werden. Das kann keiner von uns wollen.

APA: Beim Vetorecht werden sich aber zum Beispiel Großmächte wie Russland oder China ihre exklusiven Positionen nicht gerne einschränken lassen.

Schallenberg: Es hat jetzt schon die Entwicklung gegeben, dass die Staaten, wenn sie ein Veto einlegen, das auch begründen müssen. Also nicht so wie früher, du sagst einfach "Njet" und die Geschichte ist gelaufen. Also es gibt Bewegung. In Wirklichkeit, glaube ich, ist die Erkenntnis in Moskau, in Washington, auch in den anderen Staaten, da, dass sie, wenn sie auf Bestemm Reformen vermeiden, am Schluss einer Spitzenorganisation vorstehen, die irrelevant ist. Das ist dann auch strategisch nicht in ihrem Interesse.

APA: Österreich wirbt in New York unter anderem mit "Mannerschnitten" dafür, dass Österreich einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat für die Jahre 2027 und 2028 bekommt. Wie sehen Sie die Chancen?

Schallenberg: Also wir werben nicht nur mit "Mannerschnitten", wir werben mit unserer Geschichte von Österreich als verlässlichem Partner. Wir sind seit unserem Beitritt 1956 etwa bei den Blauhelmen engagiert, den Friedensmissionen. Denken wir an Zypern, denken wir an Kongo. Das heißt, wir haben ein unglaubliches Engagement in diesem Zusammenhang. Wir haben einen UNO-Amtssitz in Wien. Eigentlich ist Multilateralismus in unsere DNA reingeschrieben. Wir sind ein mittelgroßer Staat, der exportorientiert ist, der militärisch neutral ist, im Herzen des europäischen Kontinents. Wir brauchen internationale Regeln. Wir brauchen ein System, wo die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Da ist die UNO für uns ganz wesentlich. Wir sind in allen Organisationen dabei. Wir sind ein Staat, der immer auf der Seite der UNO steht, der immer auf der Seite vom Multilateralismus steht, auf der Seite des Völkerrechts. Es ist das Vertrauen, die Verlässlichkeit, die uns Österreichern zugeschrieben wird. Das ist unsere beste Visitenkarte.

APA: Jetzt gibt es aber mit Deutschland und Portugal zwei sehr ernsthafte Konkurrenten. Wie kann man da reüssieren?

Schallenberg: Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir uns in einem sehr fairen Wettbewerb durchsetzen und die meisten Stimmen auf uns vereinen werden.

APA: Sie haben bei Ihrer Rede in der UNO-Generaldebatte vor Weltuntergangspropheten gewarnt, aber auch eingeräumt, dass die Weltlage zunehmend beängstigender geworden ist. Jetzt nehmen Sie zum sechsten Mal als Außenminister an der UNO-Generaldebatte teil. Wie sehr hat sich die Weltlage seither zugespitzt?

Schallenberg: Wir haben in den letzten Jahren eine Abfolge von unerwarteten Stresstests erlebt. Als ich das erste Mal hier war, 2019, gab es keine Pandemie, gab es keinen Krieg auf dem europäischen Kontinent, nicht das Blutbad, das wir im Nahen Osten verfolgen. Es gab noch keine Putsche in der Sahelzone. Ich glaube aber, das ist nicht das, was uns wirklich herausfordert. Wenn man sich die Geschichte der letzten 70 Jahre anschaut, war das immer wieder eine Abfolge von Stresstests. Denken wir an den Koreakrieg, denken wir an die Kubakrise, an die Suezkrise. Also wir tun manchmal so, als wäre die Vergangenheit ein ruhiger, stiller Fluss gewesen. War es nie.

Was mir mehr zu denken gibt, ist unser Mindset, unsere intellektuelle Verfasstheit. Wenn wir nicht mehr an unsere eigenen Regeln glauben, wenn wir nicht mehr an unsere eigenen Prinzipien glauben, dann haben wir schon verloren, bevor die Herausforderung überhaupt dasteht. Ich habe manchmal das Gefühl, Europa ist ein Kontinent der Schwarzmaler und Untergangspropheten geworden. Das ist eine Disziplin, wo die Österreicher immer in den Medaillenrängen sein wollen: beim Schwarzmalen. Da muss ich schon vorsichtig sein, weil das könnten auch selbsterfüllende Prophezeiungen werden. Ob wir wollen oder nicht, wir sind in einer Auseinandersetzung. Es gibt Rivalen, die wollen die Weltordnung, so wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, umkrempeln. Das ist für einen Staat wie Österreich lebensgefährlich. Wir sind aber stärker, wir sind resilienter, als wir oft selber glauben.

APA: Jetzt haben Sie vorher erwähnt, dass Konflikte wie jene in Nahost und in der Ukraine die UNO-Tätigkeiten blockieren. Was für einen Sinn haben dann solche Treffen in New York?

Schallenberg: Punkt eins, man trifft sich ja nicht nur für Schönwetter, sondern auch, wenn Schlechtwetter ist. Das ist eben das Wesentliche der Außenpolitik. Und diese Generalversammlungswoche ist unglaublich wichtig. Zum Beispiel mein Gespräch mit dem iranischen Außenminister: Das war kein freundliches Gespräch, das war kein angenehmes Gespräch, aber es war ein notwendiges Gespräch. Ich kann mir die Welt nicht aussuchen. Ich kann nicht nur Außenpolitik mit der Schweiz und Liechtenstein machen. Ich muss auch mit schwierigen Partnern reden, weil wir uns diesen Planeten teilen. Daher ist es so wichtig, hier zu sein und den Dialog zu suchen. Das ist das, was Österreich sehr gut kann und das, was wir auch tun.

APA: Sie haben vor einem Jahr an dieser Stelle gefordert, man müsse die Gesprächskanäle mit Russland und Präsident Wladimir Putin offen halten. Jetzt hat Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in der UNO wieder gesagt, dass Verhandlungen mit Russland nichts bringen. Sind Sie weiterhin der Meinung, dass man den Dialog mit Moskau suchen soll?

Schallenberg: Absolut. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Wir brauchen Russland zum Beispiel bei der Klimafrage. Russland ist Mitglied der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die ich weiterhin für ganz entscheidend und wesentlich halte auf dem europäischen Kontinent. Dass es bei anderen Themen Schwierigkeiten gibt, ist genauso klar. Aber wir wissen doch alle, der Krieg in der Ukraine wird, so wie jeder andere Krieg, letzten Endes am Verhandlungstisch beendet. Der Verhandlungstisch kann nur dann Sinn machen, wenn beide Parteien, nämlich Russland und Ukraine, dran sitzen. Dass wir momentan den Eindruck haben, dass von russischer Seite nicht wirklich die ernsthafte Bereitschaft da ist, in sinnvolle Gespräche einzutreten? Ja! Aber ich hoffe, dass das doch irgendwann der Fall sein wird. Wir müssen aus unseren Echokammern ausbrechen. Es bringt letzten Endes nichts, wenn wir alle nur miteinander reden, aber Russland nicht dabei ist, China nicht dabei ist, Brasilien, Indien und so weiter fehlen. Wir müssen diese Staaten mit an Bord bringen. Das ist entscheidend, weil sonst werden wir keinen Frieden haben.

APA: Sie haben in New York auch Gespräche mit Vertretern des globalen Südens, also aus Afrika, gemacht. Man hat aber den Eindruck, dass dieser Kontinent in den Hintergrund gerät, eben wegen der Konflikte in Nahost und der Ukraine.

Schallenberg: Nein, ich würde sagen: Ganz im Gegenteil. Wir haben ja gerade im Ukraine-Konflikt gemerkt, dass die Zusammenarbeit mit dem, was man den globalen Süden nennt, völlig neu aufgestellt werden muss. Wenn es Russland gelingt, einen Nachbarstaat in einer neoimperialistischen Anwandlung zu überfallen und dann aber anderen Staaten zu erklären, der wirkliche Aggressor ist ja die NATO und ist die Europäische Union, dann muss man sich schon fragen, wie kann das eigentlich sein?

Ich glaube, dass wir sehr viel mehr Dialog suchen müssen, wirklich auf Augenhöhe. Wir haben uns ja auch geeinigt in der UNO, wer mit wem redet. Ich habe zum Beispiel mit Angola im Namen der Europäischen Union hier ein Gespräch gehabt. Wir haben insgesamt über 100 Gespräche geführt im Namen der Europäischen Union. Das ist essenziell, wir müssen uns erklären. Wir haben global auch einen Kampf der Narrative und wir dürfen es nicht mehr als selbstverständlich nehmen, als Westen, als Europäische Union, dass unser Narrativ ein Selbstläufer ist.

APA: Bundespräsident Alexander Van der Bellen war heuer wegen der Unwetterkatastrophe in Teilen Österreichs nicht bei der UNO-Woche in New York dabei. Wenn schon Österreich als hochentwickeltes Land in Mitteleuropa von solchen Ereignissen schwer getroffen wird, stellt sich die Frage, warum der Klimawandel bei so hochrangigen globalen Treffen offenbar kein großes Thema ist?

Schallenberg: Es gibt viele Themen, die uns als Menschheit betreffen. Der Klimawandel gehört dazu, künstliche Intelligenz gehört dazu. Es stimmt aber, dass wir momentan eine Situation haben, wo wir militärische Katastrophen haben, wo wir humanitäre Katastrophen haben. Die größte Schwierigkeit ist, dass wir zu viele Krisenherde haben und nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Aber es ist deswegen ein Thema wie das Klima nicht verschwunden. Aber damit wir eine Klimapolitik führen können, bedarf es letztendlich Sicherheit. Wir werden nicht in einem Staat, der gerade Krieg führt, sich verteidigt, von Mülltrennung reden können. Das heißt, die erste Rechnung muss sein: Friede, Konflikte bereinigen, humanitäre Krisen abwenden. Und dann können wir uns wieder mit voller Kraft auch dieser Debatte widmen.

(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA in New York)

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