APA - Austria Presse Agentur

Iran und Afghanistan: Außenminister Schallenberg zeigt sich besorgt

Außenminister Alexander Schallenberg hat sich in einem zum Jahresende geführten APA-Interview besorgt über jüngste Entwicklungen im Iran, in Afghanistan und der Türkei gezeigt.

Ein "starkes Signal" sah der ÖVP-Minister in der Verleihung des EU-Kandidatenstatus an Bosnien-Herzegowina. Der Balkanregion müsse eine Perspektive gegeben werden. Sollten sich die Korruptionsvorwürfe rund um das EU-Parlament bewahrheiten, wäre das hingegen ein "veritabler Skandal", so Schallenberg.

Teheran befinde sich momentan "total auf Konfrontationskurs mit dem Westen", analysierte Schallenberg angesichts der jüngsten Repressionen anlässlich regimekritischer Proteste, "aber auch mit der eigenen Bevölkerung, was noch sehr viel schmerzlicher ist." Die Europäische Union habe bereits einen Kurswechsel vollzogen und schon drei Sanktionspakete verhängt, betonte Schallenberg und ergänzte: "Ich befürchte, dass wir diesen Kurs noch weiter fahren müssen, weil es ist abzusehen, dass sie weiter mit großer Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vorgehen werden."

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Schallenberg pessimistisch über Atomverhandlungen

Solidarität äußerte Schallenberg mit den aufbegehrenden Frauen im Iran. Wenn die dortigen Führer glaubten, "50 Prozent der Bevölkerung ausschließen und unterdrücken zu können", seien "sie auf einem Holzweg". Das müssten sie irgendwann "selber kapieren". Bezüglich der Atomverhandlungen mit Teheran, die in der Vergangenheit vorwiegend in Wien stattgefunden hatten, zeigte sich Schallenberg pessimistisch: "Ich befürchte, dass der Iran selber das Fenster zugemacht hat."

Noch im Sommer habe es Chancen für diesen Deal gegeben. "Aber de facto haben die Iraner viel zu viele Bedingungen gestellt, es zu lange hinausgezögert." Dabei sei ein Deal wohl weiter wünschenswert: "Was es absolut zu vermeiden gilt, ist, dass der Iran im Besitz einer Atombombe ist und wir ein nukleares Wettrüsten in der Golfregion sehen. Das wäre ein wahnsinniger Rückschlag für die Sicherheit auf diesem Planeten."

Bezüglich der Lage in Afghanistan, wo seitens der radikalislamischen Taliban zuletzt sogar wieder Hinrichtungen vollzogen wurden, bedauerte der Außenminister die Entwicklungen seit dem Abzug der von den USA angeführten internationalen Kräfte im Jahr 2021. Die EU habe sich damals darauf geeinigt, die Taliban an ihren Taten messen zu wollen. "Jetzt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass auch hier ein Regime am Werk ist, das 50 Prozent der Bevölkerung unterdrückt und in Wirklichkeit in die Steinzeit zurückführen will." Afghanistan habe das Potenzial, weit über die Landesgrenzen hinaus destabilisierend zu wirken, äußerte Schallenberg Besorgnis.

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Verhältnis zwischen Ankara und Wien soll verbessert werden

Bezüglich der Türkei gab es in den vergangenen Monaten Initiativen, das etwas getrübte Verhältnis zwischen Ankara und Wien zu verbessern. So war Bundeskanzler Karl Nehammer Ende Juni beim NATO-Gipfel in Madrid mit Präsident Recep Tayyip Erdogan zusammengekommen. Schallenberg hatte mehrmals seinen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu getroffen. Das bedeute aber nicht, "dass wir jetzt bei allen Punkten einer Meinung sind", stellte der Minister gegenüber der APA klar.

Dass etwa der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu Mitte Dezember zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren und einem Politikverbot verurteilt wurde, sei ein "herber Rückschlag für die Demokratie" in der Türkei. "Gerade angesichts der kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei sollte das Land kein Interesse haben, diesen Weg weiter zu gehen und dafür sorgen, dass es keinen Schatten auf die Demokratie in der Türkei gibt", hielt Schallenberg fest. Imamoglu ist Politiker der landesweit stärksten Oppositionspartei CHP und gilt als einer der schärfsten Konkurrenten von Erdogan.

Dass Bosnien-Herzegowina beim jüngsten EU-Gipfel den Kandidatenstatus eingeräumt bekommen hat, ist aus Sicht Schallenbergs "mehr als ein symbolischer Akt". Es sei vielmehr "ein klares Signal", sagte Schallenberg und postulierte: "Diese Region gehört zu Europa. Das ist eine Region, die von EU Mitgliedstaaten umgeben ist. Es ist nicht der Hinterhof, sondern der Innenhof der Europäischen Union. Alle Probleme, die dort auftreten, in der Sicherheitspolitik, in der Stabilität, wirken sich unmittelbar auch bei uns in Zentraleuropa aus."

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Andere Werte als Problem?

Entweder kämen in der Balkanregion europäische Werte und das europäische Lebensmodell zum Durchbruch, "oder wir werden plötzlich mit anderen Werten und Lebensmodellen in dieser europäischen Gegend konfrontiert sein", sagte Schallenberg hinsichtlich möglicher Einflussnahmen von Russland oder China. "Das kann nicht unser Interesse sein. Da es sich um eine europäische Region handelt, sollte sie auch Teil der Europäischen Union werden." Erweiterung sei schließlich kein "buchhalterischer, legalistischer Prozess", sondern "wichtigster geostrategischer Hebel der EU".

Natürlich gebe es noch viele Probleme am Balkan, räumte Schallenberg ein, momentan gerade massive Spannungen zwischen Kosovo und Serbien. Aber auch in Zentraleuropa habe es genügend Konfliktpotenzial gegeben, erinnerte der Außenminister etwa an die "Südtirol-Frage" oder die "Benes-Dekrete": Der gemeinsame europäische Rahmen habe geholfen, diese Themen "ganz anders" anzugehen. "Was sind wir heute? Die besten Freunde und Nachbarn. Die Beziehungen zwischen Wien, Prag, Bratislava und anderen Nachbarn sind so eng wie noch nie in unserer Geschichte, vermutlich in den letzten 100 Jahren."

Über die rund um das EU-Parlament aufgepoppten Korruptionsvorwürfe zeigte sich Schallenberg bestürzt: "Wenn sich das wirklich bewahrheitet, was hier kolportiert wird, ist das ein veritabler Skandal. Und das ist insofern besonders bedauerlich, weil es das Herzstück der europäischen Demokratie betrifft." Gerade das Parlament sei ja der Ort für "offene Debatten und Meinungsaustausch". Es sei erfreulich, dass es bereits einen raschen Beginn der Aufklärung gegeben habe, betonte Schallenberg. "Aber der Schaden ist zweifellos immens und wird natürlich gerade den EU-Gegnern Wasser auf den Mühlen sein."

(Das Interview führte Edgar Schütz/APA)