Schröder geht mit "Chagall" in den Albertina-Endspurt
Es ist eine durchaus opulente Schau geworden, die Schröder - gemeinsam mit Kuratorin Gisela Kirpicsenko - für das Finale seiner mit Ende Dezember auslaufenden, 25-jährigen Amtszeit auf die Beine gestellt hat: üppig, farbenprächtig, mit Werken aus allen Lebensstationen, viele davon Großformate. Dabei hatte Marc Chagall (1887-1985) unter Schröders Direktion bereits 2004 ein Gastspiel im Haus nahe der Oper. Damals stand allerdings die Auseinandersetzung dieses "poetischsten Vertreters der klassischen Moderne" mit der Bibel im Mittelpunkt. Überschneidungen zur jetzigen Retrospektive gebe es somit nur in einem sehr kleinen Segment, meinte der Hausherr am Freitag bei der Presseführung.
Trotz der Vielseitigkeit, die dieser fast 100 Jahre alt gewordene Künstler im Laufe der Jahrzehnte seinem Werk angedeihen hat lassen, gibt es Konstanten. Da ist einerseits die Kleinstadt Witebsk, in der Chagall in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Sie war damals Teil des Zarenreichs und liegt heute in Belarus. Immer wieder nimmt der Maler in seiner Bilderwelt Bezug auf diese frühen Lebensjahre. Entsprechend seiner Herkunft aus dem orthodoxen östlichen Judentum können seine verformten Protagonisten, die durch die Luft schweben oder auf einem Dach Geige spielen, gemeinsam mit der Aushebelung der Gesetze von Raum und Perspektive gewissermaßen als originelle Überwindung des jüdischen Bilderverbots gesehen werden, erklärt ein Wandtext.
Andererseits fand Chagall in Witebsk viele jener Themen und (Tier-)Motive, die sein Œuvre durchziehen: Geburt, Mutterschaft und Tod nehmen einen zentralen Stellenwert ein, dörflicher Alltag, Kühe, Ziegen, Stiere, später auch Hähne, Geigenspieler oder Clowns sind fast unverzichtbare Bestandteile seiner oft verrätselten Kompositionen. "Man wird Chagall aber mit Witebsk allein nicht gerecht", betonte Schröder. Denn dazu komme freilich der internationale Einfluss - etwa als er dank eines Stipendiums 1910 nach Paris ging und dort mit Henri Matisse und den Fauves in Kontakt kam. Dort habe er die "Glut der Farben" entdeckt. Und er sei dort auch auf jenes Prinzip gestoßen, das zugleich ganz der chassidischen Glaubenstradition entsprochen habe: "Nicht den Sehsinn, sondern die Empfindung zum Primat zu erklären", wie Schröder sagte.
Statt eines geplanten Kurzaufenthalts zurück in Witebsk 1914 blieb Chagall infolge des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs und der Revolution acht Jahre lang in Russland. Diesen Zeitraum wollte Schröder eigentlich mit Leihgaben aus dem Russischen Museum in St. Petersburg und der Tretjakow-Galerie in Moskau abdecken. "Vor fünf Jahren, als ich beschlossen habe, dass Chagall meine letzte große Ausstellung der Moderne sein soll, habe ich natürlich angefragt und auch alles zugesagt bekommen - sogar mehr, als ich angefragt habe. Aber mit dem 24. Februar 2022 (dem Beginn des Ukraine-Kriegs, Anm.) hat sich das erledigt. Europa hat sämtliche Leihgaben aus Russland zurückgeholt, Russland hat keine Leihgaben mehr in den Westen gegeben. So wird es auch für Jahrzehnte bleiben", erklärte der Albertina-Chef im APA-Gespräch.
Also habe man statt von zwei russischen Institutionen nun gleichwertige Werke von rund 30 Leihgebern aus der ganzen Welt in der Ausstellung. "Das hat die Kosten deutlich in die Höhe getrieben, aber die Qualität nicht gemindert", zeigte sich Schröder überzeugt. Grundsätzlich sei es "eine Katastrophe, dass dieser Teil Russlands, der ein Kernbestand der europäischen Geschichte ist, jetzt von Europa abgeschnitten ist durch diesen entsetzlichen Angriffskrieg". Sollte die Kultur also Brücken bauen? "Es gab während der gesamten Ära des Kalten Krieges immer einen Kulturaustausch. Insofern könnte man natürlich sagen: Was damals möglich war, könnte auch jetzt möglich sein." Allerdings habe es sich damals um einen Konflikt zwischen zwei Blöcken gehandelt, in dem keiner dem anderen grundsätzlich die Existenzberechtigung abgesprochen habe. "Jetzt ist (von Russland, Anm.) so sehr gegen das Völkerrecht verstoßen worden, dass mit diesem Staat kein Staat zu machen ist", betonte Schröder.
Für Chagall waren die acht russischen Jahre bis 1922 jedenfalls die letzten in seiner Heimat. Er kehrte zurück nach Frankreich und verbrachte als erfolgreicher Künstler die wohl glücklichsten Jahre seines Lebens, meinte Kuratorin Kirpicsenko. Durch das Vorrücken der Nationalsozialisten fand diese Leichtigkeit, die auch in den Bildern in Form eines sehr zarten Farbauftrags oder durch Motive wie einem Liebespaar in einer Blumenvase zum Ausdruck kommt, ein recht jähes Ende. Chagall gelang schließlich die Flucht nach New York, wo er nicht nur seine Frau Bella verlor, sondern auch stets ein Fremder blieb, der nie die englische Sprache erlernte.
1948 kehrte der Maler schließlich nach Frankreich zurück und ließ sich an der Côte d'Azur nieder, wo er die restlichen knapp vier Jahrzehnte seines Lebens bleiben sollte. Gemeinsam mit Matisse und Picasso bildete er dort das große Dreigestirn der Moderne. Nicht nur zahlreiche Retrospektiven, sondern auch Aufträge zur Ausstattung der Opernhäuser in Paris und New York oder Kirchen und Synagogen mit Glasfenstern festigten mit fortschreitendem Alter seinen internationalen Ruhm. Diesen hat Schröder im Laufe seiner Direktion auch für die Albertina vermehrt. Die Ausstellung läuft bis 9. Februar 2025. Dann wird schon Ralph Gleis die Geschicke des Hauses leiten.
(S E R V I C E - Ausstellung "Chagall" in der Albertina, Wien 1, Albertinaplatz 1, bis 9. Februar 2025, tgl. 10-18 Uhr, Mo u Fr 10-21 Uhr, Katalog: 39,90 Euro. www.albertina.at)
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