APA - Austria Presse Agentur

Separatisten in Katalonien kündigen "heißen Herbst" an

Hunderttausende Katalanen wollen am heutigen Mittwoch in Barcelona erneut für ihr Recht auf Selbstbestimmung und die Unabhängigkeit ihrer Region protestieren. Bis zu eine Million Menschen werden am katalanischen Nationalfeiertag ("Diada") zum Protestmarsch erwartet. Start ist um 17.14 Uhr auf der zentralen Placa d'Espanya.

Die Uhrzeit ist kein Zufall. Jedes Jahr am 11. September gedenken die Katalanen ihrer historischen Niederlage im spanischen Erbfolgekrieg im Jahr 1714. Damals verlor Katalonien seine Selbstverwaltungsrechte und wurde der spanische Krone eingegliedert. Doch an diesem Mittwoch wird unter dem Motto "Ziel: Unabhängigkeit" nicht nur für das Selbstbestimmungsrecht protestiert, sondern vor allem auch für die Freilassung der sogenannten "politischen Gefangenen". Es wurden bereits massenhaft Plakate mit den Bildern der inhaftierten Separatistenführer gedruckt.

Mitte Oktober soll in Madrid das Urteil im Gerichtsprozess gegen die separatistischen Bürgeraktivisten und Mitglieder der ehemaligen Regionalregierung von Carles Puigdemont verkündet werden. Ihnen wird wegen der verbotenen Durchführung eines illegalen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 unter anderem Rebellion, Veruntreuung öffentlicher Gelder und ziviler Ungehorsam vorgeworfen.

Einigen Angeklagten wie Puigdemonts damaligen Vize-Regierungschef Oriol Junqueras drohen bis zu 25 Jahre Haft. Puigdemont selber steht nicht vor Gericht, da er direkt nach dem Referendum nach Belgien ins Exil floh. Die meisten Angeklagten befinden sich seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft.

Kataloniens separatistischer Ministerpräsident Quim Torra warnte bereits, er werde nichts anderes als einen Freispruch akzeptieren und notfalls die Bevölkerung zum zivilen Ungehorsam aufrufen. Torra, der als Platzhalter für Puigdemont regiert, kündigte einen "heißen Herbst" mit zahlreichen Protestaktionen an, um den Druck auf die spanische Justiz und die Zentralregierung zu erhöhen. Der Massenumzug am heutigen Mittwoch soll nur der Anfang einer ganzen Serie von Protesten sein.

"Die inhaftierten Politiker sind ein Segen für die Separatisten", stellt jedoch der katalanische Politologe Oriol Bartomeus im Gespräch mit der APA klar. "Ohne sie wäre die Separatistenbewegung zwei Jahre nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum schon längst in sich zusammengebrochen".

Auch wenn die heutige Massendemo das Bild einer starken separatistischen Einheitsfront erzeugen werde, hätten sich tiefe Gräben zwischen Puigdemonts und Torras Parteienallianz "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) und den separatistischen Linksrepublikanern (ERC) des inhaftierten Junqueras gebildet, so auch Lola Garcia, stellvertretende Chefredakteurin der katalanischen Tageszeitung "La Vanguardi"a.

"Die Linksrepublikaner sind nicht mehr bereit, die Konsequenzen von Puigdemonts und Torras Konfliktkurs mit Madrid mitzutragen. Während ihr eigener Parteichef in Haft sitzt, macht Puigdemont, der Hauptverantwortliche, weiterhin in Freiheit Politik vom belgischen Waterloo aus", so Garcia. Die Linksrepublikaner würden auf "Realpolitik" setzen und würden zudem endlich die Möglichkeit sehen, die Hegemonie von JxCat im Separatistenlager zu brechen, meinte die Expertin gegenüber der APA.

Dennoch werden beide Lager am Mittwoch Seite an Seite für das "Selbstbestimmungsrecht" und vor allem für die "politischen Gefangenen" protestieren, die beide Parteien zu beklagen haben. Das Thema wühlt die katalanische Gesellschaft enorm auf und ist für die Separatistenparteien derzeit fast die einzige Möglichkeit, ihre Anhänger zu mobilisieren. Denn die Unterstützung für die Loslösung der Region von Spanien geht deutlich zurück. Laut einer jüngsten Umfrage des katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO fordern derzeit nur noch 44 Prozent die Abspaltung von Spanien, 48 Prozent wollen Spanier bleiben. Im Frühjahr waren beiden Lager noch fast gleichstark.

So mussten sich die Demo-Veranstalter, wie separatistischen Bürgerbewegungen ANC und Omnium Cultural, in diesem Jahr auch stärker anstrengen als in anderen Jahren, um die Straßen rund um die Placa d'Espanya mit Unabhängigkeitsbefürwortern zu füllen. Mit über Hundert Bussen wurden sie aus dem konservativ-separatistischen Hinterland Kataloniens in die Mittelmeermetropole gekarrt, um in den Straßen einen gigantischen Stern aus Menschen als "Symbol der Einheit" zu bilden. Eine Einheit, die es so einfach nicht mehr gibt.