Sexuelle Selbstbestimmung in Behindertenheimen ausbaufähig

Achitz: Thema ignorieren kann zu gewaltsamen Übergriffen führen
In heimischen Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung wird die UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung teils nicht erfüllt.

Österreich habe sich aber zu deren Umsetzung verpflichtet, betonte die Volksanwaltschaft am Donnerstag. In manchen Einrichtungen fehlen sexualpädagogische Konzepte und Bezugspersonen, teilweise sind Übernachtungsbesuche und das Recht auf Familienleben eingeschränkt, sagte SPÖ-Volksanwalt Bernhard Achitz.

Teil des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben

Die Kommissionen der Volksanwaltschaft hatten von April 2022 bis Juni 2023 insgesamt 161 Einrichtungen in ganz Österreich zur sexuellen Selbstbestimmung unter die Lupe genommen. Diese ist Teil des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben, wurde bei dem Pressegespräch in Wien erläutert. Die nun veröffentlichten Ergebnisse und Empfehlungen zeigen teils große Fortschritte in den vergangenen Jahren, es sei aber noch viel zu tun, berichtete Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung des Landes Kärnten.

Achitz hielt fest, dass zwar etwa zwei Drittel der untersuchten Einrichtungen ein sexualpädagogisches Konzept haben, aber nur ein Drittel davon in einer "Leichter Lesen"-Version aufliegend. Alle Einrichtungen sollten ein solches Konzept haben, es sollte im Haus bekannt sein und gelebt werden, empfahl der Volksanwalt. Sexualpädagogisch geschulte Bezugspersonen gibt es nur in genau der Hälfte der aufgesuchten Häuser. "Eigentlich müsste es diese Ansprechpartner in allen Einrichtungen geben und die müssen auch regelmäßig geschult werden", forderte Achitz.

Übernachtungsbesuche oft nicht möglich

Einzelzimmer stehen in 86 Prozent der Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen zur Verfügung, berichtete Achitz zur Privatsphäre. Übernachtungsbesuche sind aber nur in 49 Prozent der 161 Häuser möglich. In 70 Prozent der Einrichtungen erfolgt die Empfängnisverhütung selbstbestimmt, in 19 Prozent jedoch nicht und elf Prozent der Häuser machten dazu keine Angabe. Empfängnisverhütende Maßnahmen sollen nur mit informierter Zustimmung der betroffenen Personen gesetzt werden, empfahl die Volksanwaltschaft.

Recht auf Familienleben und Kinderwunsch

Achitz betonte außerdem das Recht auf Familienleben und Kinderwunsch. In einem Viertel der Betreuungseinrichtungen werden von den Bewohnerinnen oder Bewohnern Kinderwünsche geäußert. Die Volksanwaltschaft fordert daher, die Möglichkeiten der Begleiteten Elternschaft und Elternassistenz für Menschen mit Behinderung auszubauen. "Es kann nicht sein, dass die Kinder- und Jugendhilfe ein Kind abnimmt, nur weil die Eltern eine Behinderung haben", betonte Achitz.

"Eher problematisch" sehe es in jenen Einrichtungen aus, wo besonders beeinträchtigte Menschen leben. Dort werde das Thema Sexualität oft ignoriert oder tabuisiert, berichtete Achitz. Der Sexualtrieb könne aber nicht "wegignoriert" werden, das manifestiere sich sonst in gewaltsamen Übergriffen, wie Berichte aus den Einrichtungen zeigen. Diese reichen von Grapschen und verbalen Übergriffen bis zu schweren Übergriffen. "Je besser das Thema angesprochen wird, je offener umgegangen wird, desto weniger gibt es Übergriffe zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern und gegenüber dem Personal", betonte Achitz.

Sie werde nach wie vor mit Fragestellungen konfrontiert wie: "Was kann ich tun, wenn der Erwachsenenvertreter mir verbietet, mit meinem Freund zusammenzusein? Dürfen wir Sexualdienstleistungen haben? Was mache ich, wenn ich einen Kinderwunsch habe", berichtete die Kärntner Behindertenanwältin Scheiflinger. Eine Fachtagung im Vorjahr sei auf enorm hohes Interesse von Menschen mit Behinderung gestoßen. Mit den Ergebnissen der Tagung sei weitergearbeitet worden. Eine Stellungnahme wird demnächst der Kärntner Politik übergeben, sagte Scheiflinger.

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