APA - Austria Presse Agentur

Shetland-Roman: "Das Tal in der Mitte der Welt"

Es sind oft unspektakulär erscheinende Geschichten, die große Romane ausmachen. Wenn diese von Menschen handeln, deren Sorgen und Gefühle stellvertretend für unsere eigenen stehen und mit literarischer Qualität erzählt werden. So ein Buch hat Malachy Tallack mit "Das Tal in der Mitte der Welt" geschrieben. "Eine wunderbare Sprache, glaubhafte Charaktere", urteilte Nicola Sturgeon, Schottlands Premierministerin, über das Werk ihres Landsmanns. Politiker können Recht haben.

Tallack, Schriftsteller, Singer-Songwriter und Journalist, ist in Shetland aufgewachsen. Er kennt den Rhythmus der rund 160 Kilometer vom britischen Festland gelegenen Inselgruppe, wo es rund 250 Tage im Jahr regnet. Hier hat er seine Geschichte über Menschen angesiedelt, die Zuflucht, Heimat, einen Neuanfang, Vergessen, Liebe und Zufriedenheit suchen. Es sind universale Empfindungen, die im Mikrokosmos eines abgelegenen Tales mit viel Empathie und befreit von Pathos erforscht werden.

"Terry saß draußen, auf der grünen, halb verfaulten Bank neben der Haustür. Der Himmel war klar, und die Sonne hing träge über dem Tal. Er spürte sie auf dem Gesicht, auf seinen Wangen und Liedern. Er spürte sie in den Haaren und zwischen seinen Fingern." Terry trinkt und lebt von seiner Familie getrennt, wenn ihn sein Sohn an Wochenenden besucht, weiß er nicht, was er mit ihm anfangen soll - und der Sohn nicht, was mit seinem Vater. Es sind Menschen wie Terry, durchschnittliche Menschen mit Problemen und Sehnsüchten, die Tallack über einen Zeitraum von knapp einem Jahr beobachtet.

Im Mittelpunkt steht Sandy. Zu Beginn des Buches hat ihn seine Freundin Emma verlassen, um aus der Enge zu fliehen, des Tals und der Beziehung. Verlassen zu werden ist für Sandy keine neue Erfahrung: Seine Mutter suchte das Weite, als er noch ein Kind war. Vielleicht hält es ihn gerade deshalb in Shetland, wo er in Emmas Vater und Mutter, die im Haus nebenan wohnen, eine Ersatzfamilie gefunden hat. Tallack blickt tief in die Seelen seiner Protagonisten, es braucht gar nicht viel passieren, das Alltägliche ist aufregend genug. Es muss sich auch nicht alles aufklären, auch in den wahren Leben läuft nicht immer alles auf ein rundes Ende zu.

Tallacks Prosa ist zurückhaltend, der Roman entwickelt sich ruhig mit einem präzisen sprachlichen Rhythmus. Oft sind es kleine Gesten oder kurze Gedanken, die sehr viel von den Charakteren preisgeben. Allerdings geht in der deutschen Version der charmante (zugegeben mitunter schwierige) Dialekt im Original verloren. Übersetzer Klaus Berr hat aber grundsätzlich gute Arbeit geleistet, zumal er gar nicht versucht, Shetland-Schottisch in deutsches Kauderwelsch zu transformieren.

(S E R V I C E - Malachy Tallack: "Das Tal in der Mitte der Welt", aus dem Englischen von Klaus Berr, Luchterhand Verlag, 384 Seiten, 20,90 Euro)