APA - Austria Presse Agentur

Simone Stone bringt seine "Komplizen" ins Burgtheater

Im Sommer hatte Simon Stones "Yerma"-Version an der Schaubühne Berlin Premiere. Vor wenigen Tagen kam sein fünfeinhalbstündiger, von Ödön von Horváth inspirierter Abend "Unsere Zeit" am Residenztheater in München heraus. Am Sonntag folgt am Burgtheater schon seine nächste Produktion, "Komplizen" nach Maxim Gorki. Da darf die Frage erlaubt sein: Wie viele Klone hat Simon Stone? "Ich wünschte, ich hätte ein paar Klone", lacht er. "Aber es stimmt, zuletzt war es etwas viel."

Der australisch-schweizerische Regisseur ist mit seinem Ansatz, ausgehend von Literaturvorlagen eigene Stücke zu schreiben, Everybody's Darling der Theaterszene und hat sich auch in der Opernwelt - u.a. mit einer akklamierten "La Traviata" an der Wiener Staatsoper - einen Namen gemacht. "Ich habe alle sich mir bietenden Gelegenheiten angenommen, weil ich nichts verpassen wollte. Es ist ein Privileg, das alles machen zu dürfen. Ich habe das sehr geschätzt und auch viel Spaß dabei gehabt. Aber es ist die Zeit gekommen, sich auf einige wenige Dinge zu konzentrieren."

Das wird etwa seine Filmarbeit sein. Sein Netflix-Debüt "Die Ausgrabung", für das er vor zwei Jahren einige Theaterarbeiten kurzfristig absagen musste, habe ihn sehr befriedigt, erzählt der 37-Jährige im Gespräch mit der APA. Die Romanverfilmung mit Ralph Fiennes und Carey Mulligan in den Hauptrollen bestach mit stimmungsvollen Landschaftsbildern und wirkte in seiner langsamen, ruhigen Erzählweise ganz untypisch für die Filme des Streaming-Giganten. Eine bewusstes Nicht-Erfüllen von Erwartungen? "Ich mache immer die Sachen, die ich in meiner Fantasie sehe. Dabei suche ich stets nach dem Neues, dem Unerwarteten. Ich möchte ja auch selbst als Zuschauer verblüfft werden. Netflix fängt an, zunehmend Qualitätsfilme zu beauftragen. Das hat das Projekt spannend gemacht. Tatsächlich haben sie mich bei meiner Arbeit ganz in Ruhe gelassen. Wenn Feedback kam, war es immer schön und unterstützend." Weitere Filme für Netflix, aber auch für andere Auftraggeber, sind daher in Vorbereitung.

Für seine Wiener Gorki-Projekt "Komplizen" hat er die 1905/6 geschriebenen Stücke "Kinder der Sonne" und "Feinde" als Ausgangspunkt genommen. Ersteres wirft vor dem Hintergrund einer Cholera-Epidemie einen kritischen Blick auf Chemiker und Ärzte und das ihnen vorgeworfene Profitstreben - warum man sich heute für dieses Stück interessiert, liegt also auf der Hand. Warum aber "Feinde", in dem es um einen Arbeitskampf in einer Textilfabrik mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen geht? "Weil ich den Riss in unserer Gesellschaft größer werden sehe. Vielleicht ist es eine dystopische Fantasie, aber ich sehe, dass in diesem Land der Abstand zwischen Links und Rechts ebenso zunimmt wie die Aggression gegenüber dem Gegner. Dieses nicht miteinander Reden führt zu einer sehr banalen und konservativen Politik als Ersatz für den eigentlichen Kampf. Immer mehr Menschen auf beiden Seiten fühlen sich nicht mehr gemeint und gehört. Ich bin in einer Zeit des Konsenses aufgewachsen, heute werden moralische Fragen aber zunehmend zu ökonomischen gemacht. Ich habe das Gefühl, dass wir immer mehr auf einem Pulverfass sitzen. Auseinandersetzungen wie in Frankreich sind vielleicht gar nicht mehr so weit weg..."

"Komplizen" spiele in einer "lichtdurchfluteten, modernistischen Villa auf der Sonnenseite von Wien, voller Menschen, mit denen es das Leben nicht schlecht gemeint hat", fasst das Burgtheater Stones Stück zusammen. "Privatgelehrte und Industrielle, Schauspielerinnen und Filmemacher, Therapeuten und Anwältinnen, Geschäftsführer und Investorinnen - sie kreisen in ihrem kleinen Orbit um sich selbst und umeinander, häufen finanzielle und emotionale Schulden an und spinnen Pläne zur Rettung der Menschheit oder ihres eigenen kleinen Unglücks." Beim Lesen des über 160-seitigen Stücktexts denkt man unweigerlich an jene Fin-de-Siècle-Salons, in denen Arthur Schnitzler viele seiner Stücke spielen ließ. "Schnitzler kann man nicht vermeiden, wenn man von der Oberschichte in Wien redet", schmunzelt Simon Stone, der noch nie Schnitzler inszeniert hat, den das aber durchaus reizen würde. Anders als bei Schnitzler wird jedoch in seinem Stück mit Hausangestellten, Handwerkern und Arbeitern gesprochen, als gäbe es keine Standesunterschiede. "Wir geben uns offen, liberal und verständnisvoll, wenn wir mit dem Taxler, dem Kellner oder dem Lieferando-Boten so reden. Tatsächlich ist es eine Art von Arroganz, die die bestehende Ungerechtigkeit des Systems nur weiterführt."

Mit "Unsere Zeit", dem jüngsten, in einem hyperrealistischen Tankstellenshop spielenden Münchener Abend, und nun der Wiener Produktion versuche er die heutige Welt, wie er sie wahrnehme, zu spiegeln, sagt Stone. "Ich reagiere auf aktuelle Ereignisse und halte dann in meiner Bibliothek nach passender Literatur Ausschau", schildert er seine Arbeitsweise. Dann empfinde er die vergangenen eineinhalb Jahre wohl als enorm spannendes Arbeitsmaterial? "Nein, es turnt mich nicht an, dass es Chaos gibt auf der Welt. Aber man soll auch nicht übertreiben: Diese Coronakrise ist schwierig, aber sie ist kein Bürgerkrieg, kein Weltkrieg und kein Genozid. Ich selbst war im ersten Lockdown ja zunächst erleichtert, weil ich nicht arbeiten musste. Ich habe viel von meiner Frau gesehen - das war sehr schön. Später kam dann allerdings durch die ganzen Verschiebungen von Projekten der Druck, der immer größer wurde. Wir haben geprobt und geprobt. Immer, wenn ich später gehört habe: 'Was habt ihr eigentlich mit dem ganzen Staatsgeld gemacht, als ihr nicht spielen durftet?', habe ich mich geärgert. Denn faul waren wir nicht!"

Faul wird Simon Stone auch in Zukunft nicht sein. Nur wird "Komplizen" seine letzte Sprechtheaterarbeit für längere Zeit bleiben. Fixiert sind, neben seinen Filmprojekten, dagegen drei Operninszenierungen: Im März bringt er an der Wiener Staatsoper "Wozzeck" heraus, danach folgen "Lucia di Lammermoor" an der MET und "Die Teufel von Loudun" von Krzysztof Penderecki an der Bayerischen Staatsoper. Vorerst freut er sich aber auf die Premiere am Sonntag und hofft auf regen Besuch: "Die Leute sollen sich keine Sorgen machen. Mit der neuen Klimaanlage gibt es im Burgtheater so viel frische Luft, als würde man einen Spaziergang im Park machen."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Komplizen" von Simon Stone, nach "Kinder der Sonne" und "Feinde" von Maxim Gorki, Regie: Simon Stone, Bühne: Bob Cousins, Kostüme: Aino Laberenz, Komposition: Alva Noto. Mit Bardo Böhlefeld, Rainer Galke, Lilith Hässl, Mavie Hörbiger, Stacyian Jackson, Roland Koch, Annamaria Láng, Michael Maertens, Birgit Minichmayr, Dalibor Nikolic, Felix Rech, Safira Robens, Falk Rockstroh und Peter Simonischek. Uraufführung am Burgtheater, Premiere: 26.9., 18 Uhr, Weitere Vorstellungen: 3., 17., 24., 31.10., www.burgtheater.at)