"Spitzentuch" in Wien: Mehr Ringelpiez als "Moulin Rouge"

Das Leben ist ein düsteres Ringelspiel im Strauss'schen" Spitzentuch
Nach zwei Ausweichsaisonen im Museumsquartier und eines ob Bauverzögerung verschobenen szenischen Neustarts, hat das Musiktheater an der Wien am Samstagabend tatsächlich seine neue Ära eingeläutet. Am Programm stand mit der Johann-Strauss-Rarität "Das Spitzentuch der Königin" just ein Werk, das hier 1880 uraufgeführt wurde - nach einer längeren Renovierungspause des Hauses. Noch das jungfräuliche Strauss-Jubiläumsjahr obendrauf, und fertig wäre ein Bombenabend. Theoretisch.

Praktisch sieht das Ganze dann schon etwas anders aus. Der steirische Regisseur Christian Thausing traut sich nicht recht über eine bissige oder spektakuläre Interpretation des eigentlich als politische Satire angelegten Stücks, das die Zeitgenossen einst als Anspielung auf den Habsburger Hof und den Konflikt des konservativen Franz Joseph mit dem progressiveren Kronprinz Rudolph verstanden. (Ein Grund, weshalb das Werk nach anfänglichen Erfolgen in der Versenkung verschwand, war der Selbstmord des Karikierten.) Hie und da eingestreute Schlagworte wie "Volkskanzler" oder "Ibiza" in einem ansonsten märchenhaft-harmlosen Text reichen als Salz in der Wunde heutzutage nicht aus.

Thausing setzt stattdessen über weite Strecken eine nostalgische Handschrift, belässt die Figuren des portugiesischen Hofes, an dem sich eine Intrige zwischen dem korrupten Premierminister und dem gewitzten Dichter Cervantes entspinnt, in nur leicht modernisierten historischen Kostümen. Als zentraler Spielort dient ein - an der Stelle wohl nicht überraschend - ebenfalls nostalgisches Ringelspiel. Optisch erinnert der Abend somit ein wenig an Baz Luhrmanns "Moulin Rouge", nur in handzahm. Weniger orgiastisches Fin de Siècle als Ringelpiez mit Anfassen, bei dem die Figuren meist an der Rampe gehalten werden.

Zweite Hälfte nimmt Fahrt auf

Erst in der zweiten Hälfte des Abends gewinnt das Ringelspiel an Schwung, entscheiden sich Thausing und das Bühnenbildduo Timo Dentler/Okarina Peter, die neue Bühnenmaschinerie auch ein wenig ihre Tricks zeigen zu lassen. Nun endlich darf das Licht raumgebende Funktionen einnehmen, hebt sich das Dach des Karussells, bewegt sich die Drehbühne teils gegenläufig.

Und auch die Truppe grooved sich im Verlauf des Abends ein, das Schauspiel wird zunehmend flüssiger, schneller. Maximilian Mayer ist ein erotisch-flamboyanter Cervantes im Stile eines Jack Sparrow, István Horváth ein ungarischer Don Sancho als lustiger Sidekick. Michael Laurenz scheint einen kleinen Bühnenunfall während der Generalprobe gut verwunden zu haben und ist nun ein machtgeiler Premierminister Villalobos, während Beate Ritter als Irene und Diana Haller in der Hosenrolle des Königs die stimmlich souveränsten Leistungen abliefern. Insgesamt ist das Stimmtableau der Inszenierung passabel, auch wenn manchen der Darsteller bei kritischen Stellen immer wieder kleine Entgleisungen unterlaufen.

Zackiger Auftakt im Graben

Dafür führt der junge Litauer Martynas Stakionis das Wiener Kammerorchester anfangs so zackig durch die Partitur, als hätte "Radetzky-Marsch"-Autor Strauss (Vater) hinter der Komposition gestanden. Im Fortgang lässt der Dirigent dann auch zunehmend Cantilenen im Stile des Sohnes zu, die der heutigen Hörerschaft ungeachtet des vergessenen Stücks durchaus bekannt sind - schließlich hat Strauss Motive für seinen noch heute oft gespielten Walzer "Rosen aus dem Süden" verarbeitet.

Alles in allem ist das neue Musiktheater an der Wien also solide, aber wenig spektakulär in seine neue Ära gestartet. Positiv formuliert ist mithin noch Luft nach oben für die Saison.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Das Spitzentuch der Königin" von Johann Strauss im Musiktheater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung des Wiener Kammerorchesters: Martynas Stakionis, Inszenierung: Christian Thausing, Bühne/Kostüm: Timo Dentler/Okarina Peter. Mit König - Diana Haller, Königin - Elissa Huber, Donna Irene - Beate Ritter, Marquise von Villareal - Regina Schörg, Cervantes - Maximilian Mayer, Graf Villalobos - Michael Laurenz, Don Sancho - Istvan Horvath, Marquis de la Mancha - Alexander Strömer, Tanzmeister - Ilyà Dovnar, Polizeimeister - Carl Kachouh, Justizmeister - Daniel Llano Cano, Finanzmeister - David Neumann, u.a.. Weitere Aufführungen am 20., 22., 24., 26. und 28. Jänner. www.theater-wien.at)

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